Straße in Berlin mit neuem Namen Die Geschichte einer unbemerkten Umbenennung
Seit September gibt es in Berlin die Audre-Lorde-Straße. So gut wie niemand wusste davon - nicht die Post, nicht die Lieferdienste und nicht die Anwohner. Nun wurde der Straßenabschnitt eingeweiht. Doch die Verwirrung bleibt.
Es ist ein wunderschöner Freitagnachmittag in Berlin-Kreuzberg, und in einer abgesperrten Nebenstraße wird es gleich um die ganz großen Fragen von Politik und Gesellschaft gehen. Rund 200 Menschen sind gekommen, um die "Audre-Lorde-Straße" feierlich einzuweihen.
Die Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann betritt die Bühne und entschuldigt sich als erstes. Dafür, dass es "länger gedauert hat" mit der Straßenumbenennung eines ehemaligen Teils der Manteuffelstraße. Das Stück, das nun den Namen Audre-Lorde-Straße trägt, heißt offiziell bereits seit September 2023 so. Es hatte nur niemand mitbekommen.
"Es ist so ziemlich alles schiefgelaufen, was schiefgehen kann", sagt die Grünen-Politikerin. Dann spricht sie darüber, dass die Straßennamen in Berlin "mehr Diversität" vertragen könnten, "weil das auch Machtverhältnisse ausmacht". Diese Idee stand auch am Anfang der Umbenennung.
Knapp ein Jahr nach der offiziellen Umbenennung wurde der Straßenabschnitt jetzt eingeweiht.
Feministin statt Royalist
Die Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg hatte sich entschlossen, einen Teil der Manteuffelstraße nach der Feministin Audre Lorde zu benennen. Otto Theodor Freiherr von Manteuffel, der Namensgeber der alten Straße, war im 19. Jahrhundert preußischer Ministerpräsident und galt als glühender Royalist.
Lorde war eine afroamerikanische Feministin, die in den 1980er- und 1990er-Jahren an der FU Berlin lehrte. Sie selbst nannte sich "a black feminist lesbian woman" - "eine schwarze feministische lesbische Frau".
Da der Bezirk bereits vor fast 20 Jahren beschlossen hatte, Straßen und Plätze möglichst nur noch nach Frauen zu benennen, passte die Idee zu Vorgaben und Zeitgeist. Im September wurde die Namensänderung vollzogen. Damit begannen die Probleme. Denn bis auf Liebhabern öffentlicher Bekanntmachungen fiel das niemandem auf.
Ein Teil der Manteuffelstraße in Berlin-Kreuzberg heißt jetzt Audre-Lorde-Straße
Neuer Name, alte Schilder
Erst nach Monaten wurde einigen Bewohnern der Manteuffelstraße plötzlich klar, dass sie zu Bewohnern der Audre-Lorde-Straße geworden waren. Einige Krankenkassen hatten die Namensänderung offenbar intern schon in ihren Datensätzen nachvollzogen - was irgendwann auch einzelnen Versicherten auffiel. Die Geschichte von der unbemerkten Umbenennung machte schnell die Runde. Kurz darauf offenbarte sich das Chaos, das die Entscheidung ausgelöst hatte.
Zwar trug der betroffene Straßenabschnitt nun offiziell den neuen Namen - schließlich war die Änderung im Amtsblatt veröffentlicht worden. Doch überall prangten noch die alten Straßenschilder mit der Aufschrift "Manteuffelstraße".
Die knapp 1.600 betroffenen Anwohner waren überrascht, die Presse wurde aufmerksam, das rbb-Fernsehen kam vorbei und sammelte Zitate verwunderter Bewohner: "Ich verstehe nicht, warum", "Nicht mal unsere Hausverwaltung wusste, dass wir eine neue Adresse haben" und "Ich find‘s nicht gut", so die Nachbarn.
Stress für die Anwohner - und für die Zusteller
Zur Verwirrung trug auch bei, dass einzelne Postsendungen und Pakete bereits an die neuen Adressen versandt wurden - von denen die Adressaten aber gar nicht wussten, dass sie mittlerweile dort wohnten. Die Folge: Pakete stapelten sich bei örtlichen Annahmestellen und wurden nicht abgeholt. Der Bezirk riet Betroffenen, sich mit den Dienstleistungsunternehmen ins Benehmen zu setzen und die Probleme selbst zu klären.
Als Grund, warum über Monate keine neuen Straßenschilder montiert wurden, führte die Verwaltung an, dass der Vorgang der Umbenennung unvorhersehbare Probleme verursacht habe. Es handele sich in diesem Fall lediglich um eine Teilumbenennung, weil das südliche Ende der Manteuffelstraße ja den alten Namen behalte. Eine Komplettumbenennung wäre wohl einfacher gewesen.
Europawahl mitten im Namenswirrwarr
So aber ergebe sich ein ganz spezielles Problem: Die alten Hausnummern könnten so nicht bleiben. Im Grunde müssten beide Straßen nun neu durchnummeriert werden, denn eine Unterbrechung in der Ziffernfolge sehe die Rechtslage nicht vor.
Zudem habe es noch eine weitere Panne gegeben. Offenbar hatte niemand bedacht, dass kurz vor Wahlen Straßen nicht umbenannt werden sollen. Damit sollen Missverständnisse im Wählerverzeichnis vermieden werden. Die Europawahl am 9. Juni fand nun aber mitten im Namenswirrwarr statt. Warum all das nicht absehbar gewesen sein soll, hat bislang niemand genau erklärt.
Neue Hausnummern im August
An diesem Freitagnachmittag ist die Stimmung bei den Anwesenden trotzdem prächtig. Es gibt Musik und Reden von Wegbegleiterinnen von Audre Lorde. Oft geht es um Selbstbestimmung und Emanzipation und wie schwierig es zu den Lebzeiten Lordes von 1934 bis 1992 war, lesbisch, schwarz und feministische Aktivistin zu sein.
Bürgermeisterin Herrmann sagt, dass sie sich sehr freue, die Straße heute endlich einweihen zu dürfen. Nur die Neunummerierung der nunmehr zwei Straßen - Manteuffel- und Audre-Lorde-Straße - steht noch aus. Auf die Frage, wann das erledigt werde, antwortet sie mit "Richtung August". Genaueres könne das Bezirksamt nicht sagen.