Misthaufen auf der Fahrbahn Wo bleibt die Empörung?
In Brandenburg sind mehrere Menschen durch Misthaufen auf der Fahrbahn verletzt worden. Aber anders als bei der "Letzten Generation" regt sich kaum jemand über diesen Protest der Bauern auf.
Es ist noch dunkel, als Bianca Reim aus Potsdam an jenem Tag auf der Bundesstraße 5 in Brandenburg fährt. Erst im letzten Moment sieht sie den Misthaufen auf der Fahrbahn und weicht aus. Ihr Auto streift das Hindernis mit der Stoßstange.
Andere haben nicht so viel Glück. Zwei weitere Autos prallen direkt auf. Die Motorhauben sehen so zerstört aus wie nach einem schweren Verkehrsunfall, Airbags werden ausgelöst. Fünf Personen werden bei der Aktion verletzt und kommen ins Krankenhaus.
Protestierende Landwirte hatten die dampfenden Haufen auf die Straße gekippt, als Zeichen ihres Protests. Es ist laut Polizei ein "gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr". Angemeldet war die Aktion nicht.
Vergleich mit Debatte um "Klima-Kleber"
Im Netz reagieren viele mit Unverständnis. "Haben die Bauern kein Gewissen mehr, was sie anderen Menschen damit antun?", kommentiert beispielsweise ein Nutzer bei RBB24.
Schnell wird der Vergleich zu Protestaktionen der "Letzten Generation" gezogen: "Ist schon interessant, Jugendliche, die sich an die Straße kleben sind nach Meinung der Konservativen (CDU/CSU) 'Terroristen' und es werden Hausdurchsuchungen vorgenommen", schreibt Mattias aus Heidesee.
Kritik kommt vom Präsidenten des Brandenburger Landesbauernverbands, Henrik Wendorf: "Das, was jetzt passiert ist, darf nicht passieren. Hier wurden Grenzen überschritten."
Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke kritisiert beim Landesbauerntag, es sei eine rote Linie überschritten worden. "Man kann gegen Beschlüsse protestieren und demonstrieren", so der SPD-Politiker. "Aber das ist keine Rechtfertigung, das Leben anderer zu riskieren."
"Klima-RAF" und "Terroristen"
Doch insgesamt fällt die Kritik verhalten aus. Es gibt keinen bundesweiten Aufschrei, keine Forderung nach härteren Strafen. Der Protestforscher Dieter Rucht hat dafür eine Erklärung. "Bauern gelten als bodenständig, als abwartend und gelassen", sagt er. Wenn diese Gruppe auf die Straße gehe, hätten viele den Eindruck, die müssten gute Gründe haben. Der Protest sei also quasi legitim.
Bei der "Letzten Generation" sehen die Menschen das anders, sagt Rucht. "Wenn Jugendliche auf die Straße gehen, die vielleicht in der Ausbildung sind, die studieren, die noch nicht mit beiden Beinen, fest im Leben stehen, gilt der Protest als unberechtigt, überzogen." Daraus resultiere die unterschiedliche Wahrnehmung und Wertschätzung. Der Status der Gruppe entscheide darüber, ob Protest von der Gesellschaft als zulässig angesehen wird.
Das empört vor allem im Netz viele. Man stelle sich vor, die "Letzte Generation" hätte andere Verkehrsteilnehmer derart gefährdet - "da wäre schon lebenslange Haft gefordert worden", kommentiert ein Nutzer.
Tatsächlich hatten mehrere Bundespolitiker in Bezug auf die "Letzte Generation" und ihre Proteste die Aktivisten als "Terroristen" bezeichnet. Kanzler Olaf Scholz (SPD) nannte sie "bekloppt". Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt sprach von einer "Klima-RAF" und forderte "Mindest-Haftstrafen und vorbeugende Ingewahrsamnahme".
Konstantin Kuhle von der FDP wollte die Klima-Aktivisten sogar vom Verfassungsschutz beobachten lassen. CDU Generalsekretär Carsten Linnemann forderte "Freiheitsstrafen von mehreren Monaten, vielleicht sogar einigen Jahren".
Die Misthaufen-Blockade in Brandenburg bleibt auf Bundesebene dagegen unkommentiert. In der ARD-Sendung Hart aber fair wird CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann darauf angesprochen, ob die Landwirte jetzt auch härter bestraft werden müssten.
Die CDU hatte im Zuge der Klima-Proteste im vergangenen Jahr einen Antrag im Bundestag eingebracht, um Straßenblockierer härter zu bestrafen. "Da ging es um die Klima-Kleber, da war es offensichtlich. Und ich finde, dass man die Landwirte nicht mit den Klima-Klebern vergleichen kann", so Linnemann.
Trotzdem gelte die Forderung nach härteren Strafen für beide Protest-Gruppen, so Linnemann. Wenn jemand eine Straftat begangen habe, dann unterscheide er nicht, wer die begangen hat.
Die Landwirte, die die Misthaufen in Brandenburg auf die Fahrbahn gekippt haben, haben sich nach der Aktion öffentlich entschuldigt.