FDP-Experte zur Nahost-Politik "Dann muss man eben mit ihnen sprechen"
Einen Tag nach Unterzeichnung des Abkommens mit der radikal-islamischen Hamas kommt Palästinenserpräsident Abbas nach Berlin. Trifft Merkel nun einen gestärkten Abbas? Und muss Deutschland künftig auch mit Hamas-Vertretern reden? Notfalls ja, sagt FDP-Außenexperte Gerhardt im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Die Deutschlandreise von Palästinenserpräsident Machmud Abbas wird geprägt von der angekündigten Aussöhnung zwischen den beiden Palästinserorganisationen Fatah und Hamas. Kommt ein gestärkter oder geschwächter Abbas zu Besuch?
Wolfgang Gerhardt: Meines Erachtens hat Abbas keine Alternative. Wenn man in dieser Region weiter kommen will, dann muss man den Versuch unternehmen, diese Spaltung zu überwinden. Jeder weiß, dass die Hamas sehr ideologisch ausgerichtet ist. Abbas hat sich aber auch ein Stück Vertrauensvorschuss verdient: Er kann auch die Hamas auf einen gemäßigteren Kurs bringen.
Wolfgang Gerhardt vertritt die FDP im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Die FDP-Fraktion führte er von 1998 bis 2006, die Bundespartei von 1995 bis 2001. Beide Ämter musste Gerhardt Guido Westerwelle überlassen. Seit 2006 ist Gerhardt Vorstandvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.
tagesschau.de: Bundesaußenminister Guido Westerwelle bleibt dabei: Gespräche mit der Hamas seien kein Thema, "solange das Existenzrecht Israels mit Gewalt infrage stellt". Ist das überhaupt machbar, sich zu verweigern, wenn Fatah und Hamas sich aussöhnen und vereinigen? Wenn es nur noch eine Palästinenserorganisation gibt?
Gerhardt: Wenn es nur eine Organisation gibt, dann muss man eben mit dieser einen Organisation sprechen. Es ist für den Repräsentanten einer Bundesregierung natürlich schwieriger als für mich als "freier Mitarbeiter". Aber wir haben uns überall auf der Welt mit Persönlichkeiten und Beweggründen auseinanderzusetzen, die uns nicht gefallen. Wir müssen sie aber überwinden, und dann muss man notfalls auch ein Gespräch führen. Wenn Abbas als Repräsentant der Palästinenser kommt und Fatah und Hamas sich verständigt haben, erst recht, wenn gewählt worden ist - dann muss man mit den Gewählten sprechen. Da führt kein Weg daran vorbei.
tagesschau.de: Deutschland hat im Nahost-Konflikt in den vergangenen Jahren oft eine wichtige Rolle gespielt, da man gute Kontakte zu Israel und den Palästinensern pflegt. Wie groß ist die Bedeutung Deutschlands derzeit?
Gerhardt: Klar ist: Der entscheidende Player in der Region sind die USA. Aber an der Seite anderer hat Deutschland Gewicht. Deutschland hat sein Gewicht und das der europäischen Partner sehr geschickt eingebracht. Das sollte auch weiter so geschehen. Europa hat seit dem Oslo-Abkommen in den Palästinenser-Gebieten geholfen, unabhängige Institutionen aufzubauen. Deutschland genießt Vertrauen in dieser Region und sollte dieses Vertrauen nutzen, aber auch seine Erwartungen nennen. Es wird keinen Frieden geben, wenn man nicht aus den "Schützengräben" kommt. Die beiden politischen Führungen müssen ihren jeweiligen Anhängern, ihren jeweiligen Gesellschaften vermitteln, was an Kompromissen notwendig ist.
Gegründet von Jassir Arafat stellt die gemäßigte Fatah mit Machmud Abbas seit 2005 den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde. Innerhalb der Dachorganisation PLO bildet die Fatah die stärkste Kraft. Ihr Ziel ist die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates. Viele Palästinesern halten die Fatah für korrupt.
Die Wurzeln der radikal-islamischen Hamas liegen in der ägyptischen Muslimbruderschaft. Ihr Ziel ist die Errichtung einer islamischen Gesellschaftsordnung. Bei den palästinensischen Parlamentswahlen 2006 erzielte die Hamas eine klare Mehrheit. Israel, die USA und die EU stufen die Hamas als Terrorgruppe ein.
Nach jahrelanger Fehde haben Fatah und Hamas ein Versöhnungsabkommen unterzeichnet. Das Abkommen sieht die Bildung einer gemeinschaftlich nominierten Koalitionsregierung mit parteifernen Persönlichkeiten sowie Wahlen innerhalb eines Jahres vor. Auch elf kleinere palästinensische Fraktionen schließen sich dem Versöhnungspakt an. Die Vereinbarung soll den Weg zu einem unabhängigen Palästinenserstaat ebnen. An ihrem Zustandekommen hatte Ägypten maßgeblichen Anteil. Israel reagierte auf das Abkommen sehr kritisch, die USA zeigten sich skeptisch.
tagesschau.de: Der Umbruch in der arabischen Welt verändert das Kräfteverhältnis auch in Nahost nachhaltig. Inwieweit sollte Deutschland sich hier einbringen? Und welche konkreten Schritte würden Sie sich wünschen?
Gerhardt: Für uns Deutsche war die Situation immer klar: Es gibt ein Existenzrecht des Staates Israel. Da lassen wir niemanden zweifeln, dabei bleibt es auch. Wir müssen mithelfen, dass die Palästinenser und Israel die revolutionäre Entwicklung in der arabischen Welt richtig verstehen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Die Hamas verliert ja im Grunde genommen auch an Rückhalt, zum Beispiel im Hinblick auf Syrien. Niemand glaubt doch, dass Syrien wieder ins alte System zurückfallen kann. In Ägypten hat es, Gott sei Dank, eine Bewegung hin zur Demokratie gegeben. Das schadet den Interessen Israels überhaupt nicht. Auch Israel kann seine Existenz nicht dauerhaft auf Autokratien im Nahen Osten aufbauen. Israel muss sich sogar wünschen, dass neben seiner eigenen Demokratie mehr Demokratien entstehen. Insofern haben Deutschland und die Bundesregierung alle Chancen, zu einer guten Lösung beizutragen.
tagesschau.de: Hat Deutschland an Ansehen verloren, weil man sich in der Abstimmung über die Libyen-Resolution im Weltsicherheitsrat enthalten hat?
Gerhardt: Das kann man so sehen, das will ich nicht abstreiten. Ich selbst, das sage ich auch sehr offen, hätte der Resolution zugestimmt, ohne Soldaten zu entsenden. Das hätte man jedermann klar machen können. Ich glaube aber, dass Deutschland nicht entscheidend an Ansehen in Nahost verloren hat. Deutschland wird als stark und als kompromissfähig wahrgenommen. Ich glaube, dass wir weniger Vorurteilen dort begegnen als manche Länder, die der Resolution zugestimmt haben.
Die Fragen für tagesschau.de stellte Ute Welty.