Europaparteitag der FDP Auf dem Weg zum Bundesstaat Europa
Der FDP-Europaparteitag ist gestartet. Ziel der Liberalen: Die Abgeordneten-Zahl im EU-Parlament zu verdreifachen. Dabei helfen soll eine Spitzenkandidatin, die auch die eigenen Anhänger manchmal irritiert.
Gerade einmal drei Abgeordnete stellt die FDP derzeit im Europäischen Parlament. Seitdem mit Alexander Graf Lambsdorff der prominenteste Vertreter in den Bundestag gewechselt ist, agieren die deutschen Liberalen in Brüssel und Straßburg ohne bekannte Gesichter. Das soll sich wieder ändern. Mit der FDP-Generalsekretärin Nicola Beer kürt die Partei jetzt eine ihrer bekanntesten Politikerinnen zur Spitzenkandidatin für die Europawahl.
FDP-Generalsekretärin Beer irritiert gelegentlich auch die eigenen Anhänger.
Verständnis für Orban?
Beer ist nicht unumstritten. Immer wieder irritiert sie, manchmal auch ihre eigenen Anhänger: 2017 relativiert sie in einem Tweet den menschengemachten Klimawandel, im vergangenen Jahr stimmt sie der viel kritisierten Aussage von Partei-Vize Wolfgang Kubicki zu, Kanzlerin Angela Merkels Politik sei ursächlich für die Ausschreitungen in Chemnitz. Und ganz aktuell sorgt ein Zeitungsbericht für Wirbel, der Beer Verständnis für den ungarischen Autokraten Viktor Orban unterstellt.
Sie widerspricht den Vorwürfen, aber bisher wohl nicht laut genug. Nun demonstriert Beer am Morgen des Parteitags gemeinsam mit der FDP-Jugendorganisation Junge Liberale gegen Ungarns europafeindliche Politik. Der Wunsch nach einem öffentlichen Bekenntnis zu ihrer Orban-kritischen Haltung war wohl groß.
Eigentlich ist man sich in der FDP sehr einig in der Ablehnung der "illiberalen Demokratie" Ungarns. Parteichef Christian Lindner etwa nutzt die Tatsache, dass CDU und CSU unter dem Banner der Europäischen Volkspartei EVP Seite an Seite mit Orbans Partei Fidesz in den Europawahlkampf ziehen, gerne für Angriffe gegen die Christdemokraten: Man könne nicht auf der einen Seite pro-europäisch sein und auf der anderen gemeinsame Sache mit Orban machen.
Weniger Bürokratie, mehr Bürgerbeteiligung
Mit ihrem Wahlprogramm hat die FDP ein klares Bekenntnis zur europäischen Einigung vorgelegt. Sie spricht darin vom Ziel eines bundesstaatlichen Europa, ihre Vision ist eine politische Union. Auf dem Weg dahin wollen die Freien Demokraten das Europäische Parlament stärken, die Fraktionen sollen zukünftig eigene Gesetzesinitiativen einbringen können. Gleichzeitig soll die Zahl der EU-Kommissare von derzeit 28 auf höchstens 18 gesenkt werden.
Die FDP träumt von einer europäischen Verfassung, an der die Bürger mitschreiben können, und die am Ende in einer großen europäischen Volksabstimmung abgesegnet wird. Angesichts der jüngsten Erfolge nationalistischer Parteien und Bewegungen in den meisten europäischen Staaten klingt das alles allerdings wie eine unrealistische Utopie. Vielleicht ist das Visionäre aber auch Strategie. Vielleicht wollen die Freien Demokraten deutlich machen: Es geht jetzt ums Ganze.
Mehr Austausch bei Kultur und Bildung
Lindner nennt diese Europawahl eine Richtungswahl - keine, in der die Bürger und Bürgerinnen ihrem Frust über die Innenpolitik ihrer Länder Luft machen sollten. Die FDP will Europa den Bürgern schmackhaft machen: Im Kultur- und Bildungsbereich fordert die Partei mehr Austausch, will vielleicht sogar so etwas wie eine europäische Identität schaffen.
Englisch soll die zweite Verkehrssprache Europas werden. Junge Menschen sollen nicht nur mit Erasmus in einem anderen europäischen Land studieren können, sondern auch dort ihre Ausbildung machen - oder schon zur Schule gehen.
Ein freies Interrail-Bahnticket für alle jungen Erwachsen zum Kennenlernen Europas, europäischer Freihandel, eine europäische Digitalisierungsstrategie, ein europäischer Investitionsfond, eine europäische Glasfaser-Infrastruktur, eine europäische Klimapolitik: alles Europa.
FDP-Chef Lindner (l.) lehnt einen gemeinsamen Haushalt für die Eurozone strikt ab.
Schreckensbild "Transferunion"
Aber auch das Europa der FDP hat seine Grenzen. Etwa in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, wo die Kompetenzen bei den Mitgliedsstaaten verbleiben sollen. Eine "Transferunion" ist das Schreckensbild der Freien Demokraten, genauso wie ein Eurozonenhaushalt. Hier könnten die größten Differenzen zu anderen liberalen Parteien liegen, mit denen die FDP im Europaparlament gemeinsam in der Fraktion ALDE sitzt. Denn neuerdings gehört auch die Partei "La République en Marche" von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dazu.
Besonders, was den Eurozonenhaushalt angeht, hat Macron ganz andere Vorstellungen als Lindner. Die Ausrichtung der gemeinsamen Fraktion in diesen Fragen wird also interessant. Umfragen sehen die FDP derzeit bei etwa acht Prozent, vielleicht auch darüber. Das bedeutet acht bis zehn Sitze im neuen Europaparlament. Europaweit könnte die liberale Fraktion ALDE zweitstärkste Kraft werden und die Sozialdemokraten auf den dritten Platz verdrängen. Manche träumen davon, dann vielleicht sogar nach der Kommissionspräsidentschaft zu greifen.