Meinungsforscher Hilmer zur Lage der FDP vor dem Parteitag "Steuer-Kompetenz auf dem Niveau der Linkspartei"
Die Zeiten, in denen der FDP Kompetenz in Steuerfragen zugeschrieben wurde, sind wohl vorbei. Die Liberalen bewegten sich inzwischen in dieser Frage auf dem Niveau der Linkspartei, meint Meinungsforscher Hilmer von Infratest dimap im tagesschau.de-Interview. Die Partei müsse dringend ihr Profil erweitern.
tagesschau.de: Verglichen mit 2009 glauben inzwischen viel mehr Menschen, dass die FDP im deutschen Parteiensystem nicht mehr gebraucht wird. Woran liegt das?
Richard Hilmer: Die FDP hat in sie investiertes Vertrauen enttäuscht. Das ist ihr größtes Problem. Die Bürger haben den Eindruck, die FDP habe viel versprochen, als sie 2009 im Wahlkampf so erfolgreich aufgetreten ist. Als sie dann in die Regierung kam und über entsprechende Möglichkeiten verfügte, hat sie zu wenig davon durchgesetzt. Das gilt insbesondere für die Steuerversprechen, die die FDP groß gemacht haben und die sie nicht umsetzen konnte. Das wird der Partei offensichtlich nach wie vor verübelt.
"Die FDP verliert an Terrain"
tagesschau.de: Nach vielen Personalquerelen will sich die FDP auf dem Bundesparteitag inhaltlich neu aufstellen. Welche Themen werden entscheidend sein?
Hilmer: Es ist an der Zeit, dass die FDP ihr inhaltliches Profil erweitert, soweit es überhaupt noch vorhanden ist. Sie hat bei der Bundestagswahl dadurch gepunktet, dass ihr sehr viel Kompetenz in Steuer- und Wirtschaftsfragen zugeschrieben wurde. Auf beiden Feldern ist sie deutlich zurück gefallen. Was die steuerliche Kompetenz angeht, bewegt sie sich auf dem Niveau der Linkspartei. Da ist sehr viel Vertrauen und sehr viel Profil verloren gegangen.
Dabei umfasst Liberalismus sehr viele Lebensbereiche. Datenschutz oder Verbraucherschutz sind für die Bürger relevante Themen. Aber auch da hat die FDP zum Beispiel an die Grünen und zuletzt auch in Richtung Piraten Terrain verloren. Das sollte sie zumindest versuchen, wieder zu gewinnen.
Mehrheitsmeinung vs Klientelpolitik
tagesschau.de: Bisher war es liberales Mantra, einen Mindestlohn abzulehnen. Inzwischen ist auch diese liberale Position nicht mehr eindeutig. Wie oft kann sich die FDP erlauben, ihre Meinung zu ändern?
Hilmer: Die große Mehrheit will eine Abgrenzung der Löhne nach unten. Die FDP muss in dieser Frage Klarheit schaffen, und zwar gemeinsam mit der Union. Es wird nicht gut ankommen, wenn die beiden Regierungsparteien keinen gemeinsamen Standpunkt finden und weiter im Wahlkampf rumwackeln.
tagesschau.de: Gilt ähnliches auch für die Begrenzung von Banker-Boni nach dem Schweizer Modell?
Hilmer: Die FDP tut sich natürlich schwer in dieser Frage, auch wenn sie Zugeständnisse macht, was das Mitspracherecht der Anteilseigner über eine Lohndeckelung angeht. Ob das aber ausreicht, darf bezweifelt werden. Auch wenn die Schweiz in dieser Hinsicht zurückhaltender ist als Deutschland: Die Volksbefragung dort hat gezeigt, dass der Eindruck vorherrscht, dass da etwas auseinander läuft. Dass sich eine Partei gegen diese Einsicht sträubt, dürfte ihr nur schwerlich nachgesehen werden. Also muss die FDP die Interessen der eigenen Wählerschaft und die Sinnhaftigkeit des eigenen Nachgebens austarieren.
tagesschau.de: Erschließt sich die FDP damit neue Wählerpotenziale oder verschreckt sie Stammwähler?
Hilmer: Die Partei muss versuchen, den Unmut in der Bevölkerung zu kanalisieren. Das versucht sie über den Umweg des Mitspracherechts der Anteilseigner bei der Festlegung von Boni und Spitzengehältern – ein Ausdruck liberaler Beweglichkeit. Auf der anderen Seite macht die Partei deutlich, dass es sich aus ihrer Sicht in erster Linie um eine Angelegenheit der Unternehmer und der Anteilseigner handelt.
tagesschau.de: Können Sie schon erkennen, ob diese Rechnung aufgeht?
Hilmer: Nein. Dafür ist die potenziell angesprochene Gruppe einfach zu klein. Die FDP hat in den letzten Wochen auch nicht zugelegt. Insofern hat der Versuch, in verschiedenen Bereichen an Profil zu gewinnen, (noch) keine zählbaren Auswirkungen. Das muss aber nicht so bleiben.
"Der einfache Angestellte ist enttäuscht"
tagesschau.de: Wie sieht der typische FDP-Wähler aus? Gibt es ihn überhaupt noch?
Hilmer: Die traditionelle Klientel der FDP besteht aus Selbstständigen und Unternehmern, die sie besser als bisher binden muss. Aber das reicht nicht aus, um über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Sie braucht Zuspruch von anderen Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel den der Angestellten. Das sind aber gerade die Gruppen, die das Vertrauen verloren haben. Von daher wird es der FDP schwer fallen, die Teile der Bevölkerung zu erreichen, die sie noch 2009 mit dem Motto „Mehr Netto vom Brutto“ so erfolgreich angesprochen hat: die einfachen Angestellten. Die sind inzwischen enttäuscht.
tagesschau.de: Und was heißt das letzten Endes für die Bundestagswahl im September?
Hilmer: Die FDP könnte darauf spekulieren, dass sie am Schluss auch für eine schwarz-gelbe Regierung gebraucht wird. Das war die Ausgangslage für die Landtagswahl in Niedersachsen. Aber schon dort hat diese Überlegung unterm Strich nicht gereicht. Im Bund müssen wir aber als fünfte Partei die Linkspartei mit auf die Rechnung setzen, die sowohl Schwarz-Gelb als auch Rot-Grün verhindern kann. Insoweit ist es für die Liberalen riskant, darauf zu spekulieren, am Ende ausreichend eher CDU-geneigte Wähler zu finden, die aus taktisch-strategischen Gründen der FDP ihre Zweitstimme geben. In der Summe wird es ja dann nicht mehr. Es wäre sicherlich sinnvoll, wenn die FDP für die Bundestagswahl ein eigenes Angebot vorlegt und daraufhin ausreichend Unterstützung erfährt.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de