Merkel und die EU-Ratspräsidentschaft Immer wieder Krisenmanagerin
Am Mittwoch beginnt für Merkel die zweite EU-Ratspräsidentschaft. Schwerpunkte sollen Klimaschutz und Digitalisierung sein. Doch in Pandemiezeiten ist die Kanzlerin zunächst wieder als EU-Krisenmanagerin gefragt.
Sie lächelt. Sie genießt den Moment. Es ist der 27. Juni 2007. Angela Merkel sitzt im EU-Parlament und bekommt auch von ungewohnter Seite Lob. Der grüne Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit sagt: "Das Ergebnis ist ok, es ist sogar sehr gut." Hinter Merkel lag zu diesem Zeitpunkt eine erfolgreiche erste Ratspräsidentschaft. Nach gescheiterten Volksabstimmungen über einen Verfassungsvertrag hatte sie die Reform der EU mit ihren Verhandlungen wieder auf Kurs gebracht. Auch in der Klimapolitik erreichte Merkel Fortschritte.
Dreizehn Jahre später folgt ihre zweite Ratspräsidentschaft, und die Corona-Pandemie hat Europa fest im Griff. "Wir übernehmen diese Verantwortung in einer Zeit, in der die Europäische Union der größten Herausforderung ihrer Geschichte gegenüber steht", so Merkel in ihrer Regierungserklärung. Wieder - wie schon so oft in ihrer Kanzlerschaft - gilt es eine europäische Krise zu bestehen. Was aber wird aus den langfristigen Zielen? Kommen sie unter die Räder?
Erwartungen an Merkel sind groß
Alle sechs Monate wechselt in der Europäischen Union die Ratspräsidentschaft. Die Aufgabe: Vermittler sein, als "ehrlicher Makler" im EU-Betrieb Kompromisse schmieden. Realistisch betrachtet: Die Bedeutung und der Einfluss dieser Rolle haben sich seit 2007 verändert. Gibt es doch mittlerweile einen ständigen Ratspräsidenten. Aktuell ist das der Belgier Charles Michel. Er führt auch die Verhandlungen über den siebenjährigen EU-Haushaltsrahmen. Für die Brexit-Verhandlungen ist der Franzose Michel Barnier zuständig.
Und dennoch: "Die Erwartungen an die deutsche Ratspräsidentschaft sind groß. Und das ist sehr diplomatisch ausgedrückt", sagte Außenminister Heiko Maas kürzlich bei einem Besuch in Sofia. Deutschland ist der größte und finanziell stärkste EU-Mitgliedsstaat. Vor allem: Merkel ist eben Merkel - die mit Abstand dienstälteste Chefin auf der europäischen Bühne. Seit ihrer ersten Präsidentschaft hat sie viele europäische Krisen erlebt. Ihre Erfahrung und ihr pragmatischer politischer Stil könnten in der jetzigen Situation hilfreich sein, meint Günter Bannas, der Merkel als Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" jahrzehntelang beobachtet hat: "Sie nimmt die Herausforderungen an, wie sie kommen."
Gradmesser "Corona-Aufbaufonds" und Sieben-Jahres-Etat
Wird das auch zum Ziel führen, wenn die 27 EU-Staaten kurzfristig um sehr viel Geld ringen? Es geht unter anderem um einen Corona-Aufbauplan von 750 Milliarden Euro. Umstritten sind verschiedene Fragen: Wieviel gibt es als Zuschuss, wieviel als Kredit? Unter welchen Bedingungen? "Die Brücken, die wir noch zu bauen haben, sind groß", so Merkel nach einem Video-Gipfel der EU-Chefs. An den Verhandlungen über Aufbaufonds und das Sieben-Jahres-Budget werde die deutsche Ratspräsidentschaft gemessen, sagt Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Wenn es Deutschland gelingt, das auszuhandeln, dann war es wirklich eine erfolgreiche Ratspräsidentschaft."
Einen großen und überraschenden Schritt hatte Merkel kürzlich gemacht. Gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron legte sie einen Vorschlag für den Aufbaufonds vor. Merkel räumte dabei eine für sie und ihre Partei dicke rote Linie ab: In der Pandemie soll die EU zeitweise über ihren Haushalt gemeinsam Schulden aufnehmen dürfen. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" und anderen europäischen Medien sagte Merkel, es sei geboten, dass Deutschland nicht nur an sich selbst denke, sondern zu einem "außergewöhnlichen Akt der Solidarität" bereit sei.
Keine Feierlichkeiten am Mittwoch
Ihr ursprüngliches Arbeitsprogramm für die Ratspräsidentschaft hat die Bundesregierung längst überarbeitet, will aber weiter an den großen langfristigen Zielen festhalten: Klimaschutz, Digitalisierung, die Reform der EU-Asylpolitik, das Verhältnis zu China und den USA. Wieviel Kraft wird dafür bleiben im akuten Krisenmodus?
Die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner fordert, die milliardenschweren Aufbauhilfen müssten "verbindlich in die Zukunft investiert werden, nicht in die Vergangenheit". Ihr FDP-Kollege Alexander Graf Lambsdorff betont, die Präsidentschaft müsse sich zunächst um Unternehmenspleiten und Arbeitsplätze kümmern: "Und dann kann man auch über andere Themen wieder reden - über den Klimaschutz, über die Weiterentwicklung der Europäischen Union."
Wenn am Mittwoch dann offiziell die deutsche Ratspräsidentschaft beginnt, wird es in Berlin keine größeren Feierlichkeiten geben. Zu ernst sind die Zeiten. Und Merkel ist wieder in der Rolle, die sich wie ein roter Faden durch ihre Kanzlerschaft zieht: europäische Krisenmanagerin.