Politologe bewertet GroKo-Start 2014 "Jetzt wird mal Luft abgelassen"
Nach den Böllern fliegen die Fetzen: In den Auseinandersetzungen zu Jahresbeginn geben sich die Großkoalitionäre nicht zimperlich. Im Interview mit tagesschau.de erklärt Politologe Dittberner, welche Streitthemen an die Substanz gehen.
tagesschau.de: Armutszuwanderung, PKW-Maut, Vorratsdatenspeicherung - alles Themen, über die die Große Koalition keine drei Wochen nach Regierungsbildung streitet. Welches Licht wirft dieses Verhalten auf die Regierungsfähigkeit dieser Koalition?
Jürgen Dittberner: Streit in einer Koalition kommt nie gut an, und das wissen die handelnden Personen auch. Dass sie trotzdem streiten, könnte man sich mit einer Art Gegenbewegung zur strengen Disziplin aus der Zeit der Koalitionsverhandlungen erklären: Jetzt wird mal Luft abgelassen. Das war bei Schwarz-Gelb übrigens ähnlich, als die Temperamente zu Anfang überschäumten. Der Führungsstil der Kanzlerin dürfte daran nicht ganz unschuldig sein.
tagesschau.de: Inwieweit?
Dittberner: Angela Merkel haut nicht auf den Tisch oder pocht bei jeder Gelegenheit auf ihre Richtlinienkompetenz. Sie ist keine Basta-Kanzlerin, sondern sie wartet ab, wie sich eine Sache entwickelt und gibt dann die Richtung vor. Ein solcher Führungsstil begünstigt das Palaver im Vorfeld.
Jürgen Dittberner lehrte bis 2009 als Professor für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam. Sein besonderes Interesse gilt der Parteienforschung. So schrieb Dittberner über die Große Koalition nach 2005 und beschäftigte sich intensiv mit der FDP. Zwischen 1975 und 1985 war er als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses.
Minister wollen Entscheidungen treffen
tagesschau.de: Der Regierungsbildung vorausgegangen sind lange Koalitionsverhandlungen, die in einen entsprechenden Koalitionsvertrag gemündet sind. Ist der jetzt schon nicht mehr das Papier wert, auf dem er geschrieben steht?
Dittberner: Das ist vielleicht etwas übertrieben. Aber ein Koalitionsvertrag ist immer eine Konstruktion, die im günstigeren Fall mit Leben gefüllt wird. Im ungünstigeren Fall ist ein solcher Vertrag ein Stück Papier, das vor allem für Politologiestudenten und Parteihistoriker von Interesse ist.
Schon während der Verhandlungen dürfte sich der eine oder die andere gesagt haben: Sollen die doch aufschreiben, was sie wollen - wenn ich erst in verantwortlicher Position bin, setze ich eh meine Linie durch. Nicht zuletzt kann man ja auch wirklich nicht voraussehen, was tatsächlich kommt. Insoweit ist ein Koalitionsvertrag für vier Jahre ein recht ehrgeiziges Unterfangen.
tagesschau.de: Ist denn der aktuelle Vertrag zu unklar formuliert oder werden jetzt weitere Forderungen erhoben, die bei den Verhandlungen noch keine Rolle gespielt haben?
Dittberner: Sowohl - als auch. Dann kommt aber noch ein Drittes dazu, wenn wir zum Beispiel auf die Vorratsdatenspeicherung schauen: Da will jetzt ein frischer Bundesjustizminister Heiko Maas vor allem dokumentieren, dass er ein selbstständiger Minister ist, dass er die Entscheidungen trifft. Als Spitzenpolitiker fühlt man sich in der besonderen Verantwortung, Treibender zu sein und nicht Getriebener.
Energiewende geht an die Substanz
tagesschau.de: Welches der zurzeit diskutierten Themen geht womöglich am ehesten an die Substanz?
Dittberner: Ich finde die Handhabung des Themas "Energiewende" und der Strompreisfinanzierung schon merkwürdig. All das hat man während der Koalitionsverhandlungen ausführlich besprochen. Die Fakten lagen auf dem Tisch, auch was alles schief läuft. Sonst wäre der ehemals zuständige Minister wohl noch im Amt.
Der Vorschlag, die Energiewende über einen Kredit zu finanzieren, und dann noch zu behaupten, das mache alles billiger, erscheint mir allerdings absurd. Einen Kredit muss man ja irgendwann einmal bezahlen. Diese Scheinlösung dient allenfalls dazu, deutlich zu machen, dass man eine eigene Politik betreibt. Wenn es allerdings zum Schwur kommt, verschwinden solche Vorschläge sehr schnell wieder in der Schublade.
tagesschau.de: Die Große Koalition scheint sich an den eher kleinen Themen abzuarbeiten. Was passiert, wenn es ans Eingemachte geht?
Dittberner: Jede Partei hat das Bedürfnis, im Sinne der eigenen Wähler Maximalforderungen aufzustellen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen dem, was man extern sagt, und dem, wie man intern handelt. Gerade bei der CSU in Bayern kann man oft erleben, dass die Maximalforderungen im Angesicht anderer Meinungen sehr rasch aufgegeben werden.
CSU muss sich positionieren
tagesschau.de: Hat die CSU als der kleinste Koalitionspartner ein überproportionales Bedürfnis, sich zu positionieren?
Dittberner: Die CSU steht sicher geschwächt da. Jetzt hat man das Innenministerium abgeben müssen, vorher schon das Verteidigungsministerium. Im Gegensatz dazu ist CSU-Chef Horst Seehofer in den Verhandlungen sehr forsch aufgetreten, und das muss er jetzt ausgleichen. Damit signalisiert er den Menschen in Bayern, dass er und die Partei wichtig, stark und bedeutsam sind. Davon lebt die CSU.
tagesschau.de: Wie bewerten Sie die heutige Situation verglichen mit der von 2009 und 2005?
Dittberner: 2009 bestand das Problem darin, dass die FDP so stark war und auch zulasten der Union gepunktet hatte. Daraus wurde aber der Anspruch abgeleitet, man könne die Richtung vorgeben, und das stieß in der Union aus Widerstand und Widerspruch. Ich weiß aber nicht, ob die Union beim Versuch, die FDP in die Schranken zu weisen, nicht zu weit gegangen ist.
2005 glaubte die SPD, auf Augenhöhe mit der Union zu sein. Deswegen beanspruchte man auch dieselbe Anzahl an Ministerposten. Aber die Union hat am Ende diese Regierung für sich entschieden. Das wurmt die SPD bis heute.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de