Interview

Überlebende beklagen billige Bauweise in China "Auf dem Land fehlt einfach das Geld"

Stand: 16.05.2008 16:51 Uhr

Warum sind viele öffentliche Gebäude wie Schulen in der Provinz Sichuan eingestürzt? Der Erdbebeningenieur Achermann meint im tagesschau.de-Interview, auf dem Land fehle das Geld, um erdbebensicher zu bauen. Auch die Korruption sei ein Problem. Der Staat müsse sich jetzt durchsetzen.

Durch das verheerende Erdbeben in China sind allein in der Provinz Sichuan fast fünf Millionen Menschen obdachlos geworden. Mehr als 4,8 Millionen Menschen hätten ihr Zuhause verloren, hieß es aus offiziellen Quellen. Warum wurden so viele Häuser bei dem Erdbeben zerstört? Warum so viele Schulen? tagesschau.de sprach darüber mit dem Schweizer Bau- und Erdbebeningenieur Marcel Achermann. Er ist seit zehn Jahren in China beruflich tätig.

tagesschau.de: Wie haben Sie das Erdbeben in China erlebt?

Marcel Achermann: Ich habe es nicht gemerkt, ich war in Peking auf einer Baustelle. Aber unsere Mitarbeiter im 29. Stock, die haben Panik bekommen, die mussten da ganz zu Fuß runter.

tagesschau.de: Wie ist die Stimmung in der Stadt, in Ihrem Unternehmen?

Achermann: Das ist schon eine komische Stimmung – besonders auf den Baustellen. Wir haben hier viele Wanderarbeiter aus der betroffenen Provinz. Auf einer Baustelle am Flughafen hieß es jetzt, dass 50 Arbeiter verschwunden seien. Und wir wurden zu Spenden aufgerufen, damit sich die restlichen Bauarbeiter Telefonkarten leisten können, um zu Hause anrufen zu können.

tagesschau.de: Nun werden Vorwürfe laut, dass die Bauweise von vielen Häusern sehr schlecht sei. Inwieweit können Sie dies bestätigen?

Achermann: Die Bauweisen sind natürlich nicht die besten. Das sind ja auch keine modernen Gebäude, sondern eher so 30 bis 40 Jahre alt. Die sind entstanden, als es eine starke Bevölkerungszunahme gab.

tagesschau.de: Besonders auf dem Land soll schlechtes Material benutzt worden sein, dazu wurden angeblich Baupläne nicht eingehalten. Wie groß ist der Unterschied zwischen den großen Städten und der Provinz?

Achermann: Das ist ein wesentlicher Unterschied, das sind zwei Welten. Da müssen sie nur außerhalb Pekings schauen, da sind gleich ganz andere Zustände.

tagesschau.de: Angeblich ist die Korruption im Baugewerbe ein großes Problem. Inwieweit trifft das aus Ihrer Sicht zu?

Achermann: Diese Korruption ist sicher vorhanden. Man kann Korruption sagen, man kann auch anderer Lebensstil sagen. Aber Einfluss auf die Erdbebensicherheit der Gebäude hat das aus meiner Sicht nicht. Erdbebengerechter Bau ist nicht wesentlich teurer als ein normaler Bau.

tagesschau.de: Und warum wurde dann offenbar nicht sicher gebaut?

Achermann: Unkenntnis. Da fehlte es einfach an fachlichem Hintergrund. Heute sieht das schon anders aus.

tagesschau.de: Warum sind so viele Schulen eingestürzt?

Achermann: Meistens fallen Gebäude ein, weil sie einfach zu wenig Stützwände haben. Wenn es offen sein soll – möglichst einfach gebaut – dann fällt das Ganze wie ein Kartenhaus zusammen. Schulen sind typische Gebäude, wo man große Räume haben will und wenig Trennwände. Ich glaube nicht, dass da absichtlich gespart wurde. Es ist einfach Unkenntnis. Wir haben vor zehn Jahren schon deutliche Empfehlungen gegeben. Die Chinesen haben das nicht zur Kenntnis genommen. Aber das war in Deutschland oder der Schweiz vor 20 bis 30 Jahren auch noch nicht anders. Der Staat muss sich jetzt durchsetzen – das ist beim Thema Korruption sicher auch so.

tagesschau.de: Was müsste sich ändern, damit beim nächsten Erdbeben nicht wieder so viele Häuser einstürzen?

Achermann: Das kann man nicht auf die Schnelle ändern. Man hat ja einen Gebäudezyklus von vielleicht 100 Jahren. Und um die Gebäude wieder richtig instandzusetzen – dafür fehlt einfach das Geld hier auf dem Land.

tagesschau.de: Aber was würde helfen?

Achermann: Beispielsweise müssten Stahlrahmen eingebaut werden in die Gebäude, damit die nicht umknicken können. Aber China hat 1,3 Milliarden Einwohner – und nächstes Mal kann es in einer ganz anderen Region ein schweres Erdebeben geben.

tagesschau.de: Wenn es nun in einem anderen Teil Chinas ein solch schweres Erdbeben gibt, dann werden die Auswirkungen ähnlich katastrophal sein?

Achermann: Ja. Auf dem Land fehlt einfach das Geld, um erdbebensicher zu bauen.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de