Merkel zur Flüchtlingskrise Vorangehen, Verantwortung übernehmen
Eine Führungsrolle Deutschlands in Europa? Kanzlerin Merkel hatte dies immer abgelehnt - bis die Flüchtlingskrise kam und die Einzelstaaterei innerhalb der EU offenbarte. Deutschland müsse in der Flüchtlingspolitik vorangehen, forderte Merkel im Bundestag.
Zur Flüchtlingskrise waren von Angela Merkel im Bundestag ungewohnte Töne zu hören. So klar wie selten betonte sie, dass es nun "ganz besonders" auf Deutschlands "Kraft und Stärke" ankomme. "Wenn wir mutig sind und manchmal vorangehen, dann wird es wahrscheinlicher, dass wir eine europäische Lösung in der Flüchtlingskrise finden", sagte Merkel in der Generaldebatte im Bundestag.
Wider Europas Egoismus
Ungewöhnlich sind diese Töne deshalb, weil Merkel bislang eine Führungsrolle in Europas vehement abgelehnt hatte. Doch die Flüchtlingskrise offenbarte schonungslos die Schwäche der EU, plötzlich war es vorbei mit europäischer Solidarität, plötzlich dominierten wieder Einzelstaaterei und Egoismus. Der Kampf um feste Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Gemeinschaft steht stellvertretend für diesen Egoismus.
"Wenn Europa in der Flüchtlingsfrage versagt, dann ginge ein entscheidender Gründungsimpuls eines geeinten Europas verloren, nämlich die enge Verbindung mit den universellen Menschenrechte", führte Merkel aus. Und sie nahm die anderen EU-Staaten in die Pflicht. Innerhalb Europas sei Solidarität bei der Versorgung der Flüchtlinge gefordert, wiederholte die Kanzlerin und drängte erneut auf eine faire Verteilung der Zuflucht suchenden Menschen in Europa gemäß den Plänen von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Nur dann würden sich alle EU-Mitglieder um die Behebung von Fluchtursachen und internationalen Konflikten kümmern.
Deutschland gehört zu den Ländern in der EU, die die mit Abstand meisten Flüchtlinge aufnehmen. Dies stößt auch in der Union auf Bedenken, vor allem bei der bayerischen Schwesterpartei CSU. Die Aufnahme von bis zu 800.000 Flüchtlingen sei eine große Herausforderung für Deutschland, räumte Merkel denn auch ein. Aber das Land könne dies bewältigen. Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Finanzen seien in einer guten Verfassung, betonte die CDU-Chefin.
Integration hat Priorität
Nun komme es darauf an, die Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge schnell zu integrieren. Deutschland müsse den Menschen helfen, Deutsch zu lernen und Arbeit zu finden. "Wenn wir es gut machen, dann bringt es mehr Chancen als Risiken", sagte die Kanzlerin. Sie forderte Behörden und Bürger auf, "kreativ" zu sein. Gleichzeitig mahnte Merkel die Neuankömmlinge, dass auch sie sich integrieren müssten. Es würden keine Parallelgesellschaften in Deutschland geduldet. Und wer nicht als Asylbewerber anerkannt wird, will Merkel schnell abschieben lassen - so schwer das im Einzelfall für die Betroffenen auch sei.
Sehr deutlich verurteilte Merkel den Fremdenhass. "Wir werden nicht zulassen, dass unsere Grundwerte, unsere Menschlichkeit von Fremdenfeinden verraten werden." Die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte oder Flüchtlinge selbst seien abstoßend und beschämend. "Wir werden mit der ganzen Härte des Rechtsstaates dagegen vorgehen, auch im Internet."
Gysi macht Regierung mitverantwortlich
Als erster Redner in der Generaldebatte hatte Linkspartei-Fraktionschef Gregor Gysi zu einer gemeinsamen Anstrengung aller Demokraten gegen rechtsextremen Hass auf Migranten aufgerufen. Er appellierte an die Abgeordneten, man müsse "gemeinsam gegen den rechten Mob auftreten".
Zugleich wies er auf die Ursachen für Flucht und Vertreibung hin und machte die Bundesregierung mit dafür verantwortlich. Er verwies darauf, dass Deutschland drittgrößter Waffenexporteur der Welt sei. Scharfe Kritik äußerte Gysi an der Haltung vieler EU-Staaten gegenüber Flüchtlingen. Er verlangte, denjenigen Ländern die Zuschüsse zu kürzen, die sich weigerten, einen fairen Anteil von Flüchtlingen aufzunehmen. Hier müsse Kanzlerin Angela Merkel "mehr Mumm zeigen".
Mit Blick auf die Kosten der Flüchtlingskrise nannte Gysi die für das kommende Jahr vorgesehenen, zusätzlichen Ausgaben von sechs Milliarden Euro nicht ausreichend. Er regte an, den Solidaritätszuschlag beizubehalten und "gerecht" auf alle 16 Bundesländer zu verteilen.
Grüne kritisieren zu spätes Handeln
Für die Grünen hielt Co-Fraktionssprecherin Katrin Göring-Eckardt der Koalition vor, sie habe die Flüchtlingskrise verschleppt und verwalte sie nur. Die Regierung habe viel zu lange geglaubt, das Problem weit von Deutschland weghalten zu können und auf eine Abschottung der Außengrenzen gesetzt, sagt sie im Bundestag. Jetzt sei sie überfordert.
Göring-Eckardt sprach sich für einen nationalen Flüchtlingspakt zur Integration der vielen Hunderttausend Schutzbedürftigen aus. An dieser gemeinsamen Anstrengung müssten Länder, Kommunen, Gewerkschaften und Arbeitgeber, Kirchen und Wohlfahrtsverbände teilnehmen, sagte sie . Der für den 24. September geplante Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern müsse vorgezogen werden und "so schnell wie möglich" stattfinden.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann räumte ein, dass die Koalition beim Einwanderungsrecht noch uneinig sei. Die von der Koalition geplante Vergabe einer begrenzten Zahl an Arbeitsvisa für Westbalkan-Bürger "ein erster Schritt in die richtige Richtung".
Mit der Generaldebatte setzt der Bundestag seine Beratungen über den Bundeshaushalt 2016 fort. Anlass hierfür sind die Beratungen über den Einzeletat des Kanzleramts.