Zwischen Flut und Pandemie Der mühsame Wahlkampf
Nur noch sieben Wochen bis zur Bundestagswahl - und doch schleppt sich der Wahlkampf dahin. Laschet, Scholz, Baerbock - sie alle können die Wählerinnen und Wähler im Moment nicht so richtig überzeugen.
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet muss sich inzwischen ernsthaft fragen, ob seine Art des Wahlkampf-Mikados - wer sich bewegt, verliert - noch zu einer Situation passt, in der viele Menschen eindeutige Handlungen, klare Aussagen von Spitzenpolitikerinnen und -politikern erwarten sowie konkrete Rezepte, wie sie dramatische Herausforderungen künftig bewältigen wollen.
Also all das, was die Wahlkampagne der CDU bisher nicht war. Die wollte mit maximaler Vagheit beruhigen, einlullen, der Konkurrenz möglichst keine Angriffsfläche bieten, um zu vermeiden, dass die ihre Anhänger in großer Zahl mobilisieren kann - auch asymmetrische Demobilisierung genannt. Kanzlerin Angela Merkel ist viele Jahre gut mit dieser Strategie gefahren, aber sie hatte das Amt, um das Armin Laschet sich zunächst nur bewirbt, bereits inne. Und ohne Amt kein Amtsbonus.
Die CDU hat sich zudem mit Blick auf den Wahlkampfsommer verkalkuliert, wurde von der Delta-Variante des Corona-Virus kalt erwischt. Die Impfkampagne sollte schneller laufen. Die Urlaubszeit sollte erholte und zufriedene Reiserückkehrerinnen und -rückkehrer bringen, die gut und gerne im wieder geöffneten Deutschland leben und quasi automatisch CDU wählen. Stattdessen vielerorts Ärger und Verwirrung, weil die unionsgeführte Bundesregierung kurzfristig die Einreiseregeln für Reiserückkehrer änderte, um die erneute Ausbreitung des Virus im Land zu verlangsamen. Und Sorgen vor dem nächsten Corona-Herbst.
Seit der Flut konnte Laschet bisher in seinem Bundesland nicht als Krisenmanager überzeugen und scheint insgesamt noch nach seiner Rolle zu suchen, tritt mal als Wahlkämpfer, mal als Landesvater in Erscheinung.
Kann er Krisenmanager? Unionskandidat Laschet in den Hochwassergebieten.
Söder macht Druck
Die Schwesterpartei CSU, deren Vorsitzender Markus Söder sich vermutlich insgeheim noch immer für den Kanzlerkandidaten der Herzen hält, drängt dagegen seit Wochen auf einen Strategiewechsel. Er will aktiver sein, stärker mobilisieren, Wahlkampf nach vorne machen, anstatt von den Fehlern der anderen, speziell der Grünen, zu profitieren.
Eine Garantie dafür, dass die Union auch in Umfragen wieder zu alter Stärke zurückfindet, wäre das allerdings nicht zwingend. Zu Beginn der Corona-Krise schien sich die Binsenweisheit, Krisen seien die Zeit der Exekutive, noch zu bewahrheiten. Wer regierte, legte zu - die Union allerdings deutlich stärker als die SPD. Oppositionsparteien wie die FDP gerieten zeitweise ins Hintertreffen. Doch das hat sich spätestens seit der dritten Corona-Welle geändert. Seither ist es schwieriger geworden, mit hemdsärmeligen oder betont staatsmännischen Macher-Auftritten zu punkten, denn viele Menschen sind krisenmüde und haben in den vergangenen 18 Monaten gesehen, dass die erfolgreichen Krisenmanager von heute schon morgen überfordert sein können.
Kanzlerkandidat der Herzen? CSU-Chef Söder will den Strategiewechsel im Wahlkampf.
Scholz-Bonus hilft der SPD nur wenig
Der amtierende Vizekanzler und Kanzlerkandidat der SPD, Olaf Scholz, hat dieses Problem bisher noch nicht, muss dafür aber eine Lücke schließen: die zwischen seinen persönlichen guten Umfragewerten und den weiterhin vergleichsweise schlechten Werten seiner Partei. Und Scholz muss als geeignetster Kandidat überzeugen, um eine zweite Lücke zu füllen: die Lücke, die Merkel im Kanzleramt hinterlassen wird.
Auch, weil Scholz in seiner recht geräuschlosen Kampagne bisher keine Fehler passiert sind, hat er diesbezüglich im direkten Vergleich mit Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock und Laschet die Nase vorne, muss sich aber bis September als erfahrene, auch auf der politischen Weltbühne anerkannte, Führungskraft in Szene setzen und deutlich mehr Menschen davon überzeugen, dann tatsächlich die SPD zu wählen. Lange für sein stoisches Festhalten an seinem Anspruch aufs Kanzleramt belächelt, ist Scholz inzwischen in einer Situation, in der diese Vorstellung zumindest nicht mehr absurd wirkt. Ob es so kommt, ist eine andere Frage.
Scholz beim Treffen der G20: Beliebt - aber seine guten Werte zahlen nicht bei der SPD ein.
Tief verunsicherte Grüne
Für die Grünen kommt es im bisherigen Wahlkampfverlauf hingegen knüppeldick - oft genug selbst verschuldet, was die Kanzlerkandidatin Baerbock auch offen einräumt. Wer den Grünen genau zuhört, kann den Eindruck gewinnen, dass es für die Partei inzwischen vor allem darum geht, im Herbst zweitstärkste Kraft zu werden, die eigenen Themen möglichst stark zu vertreten. Unter anderem durch die Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ist das Thema Klimaschutz neben der Corona-Pandemie für mehr Menschen wieder in den Mittelpunkt gerückt.
Hier - bei ihrem Markenkern - wollen die Grünen ansetzen, nach dem Motto: Wenn die Gesellschaft jetzt keine Veränderungen angeht, riskiert sie, vieles zu verlieren. Von der Leichtigkeit des Frühjahrs ist nichts mehr zu spüren, jetzt scheint die Devise zu sein: Mehr Kontrolle, über Themen diskutieren statt Personen - und vor allem keine weiteren Fehler mehr. Das ist bis jetzt nicht vollständig gelungen, ein weiteres Indiz dafür, wie tief die Verunsicherung inzwischen offenbar sitzt.
Nur noch Platz 2 im Visier? Kandidatin Baerbock machte im Wahlkampf viele Fehler.
Selbstbewusste FDP
Im Vergleich dazu wirkt die FDP derzeit ganz bei sich. In ihrer selbst gewählten Funktion als Wächterin über die Bundesregierung in der Corona-Pandemie hat sie ihr Thema gefunden und sich keine größeren Fehler geleistet. Wenn Parteichef Christian Lindner, wie mit seinem unlängst öffentlich geäußerten Anspruch auf das Bundesfinanzministerium, gelegentlich die Mitbewerber aufschreckt, dann ist das vor allem ein taktisches Signal: Seht her, ohne uns wird im Herbst nichts gehen. Die FDP kann tatsächlich, zumindest theoretisch, in mehreren Konstellationen eine Rolle spielen: Der sogenannten Ampel mit SPD und Grünen, einem Jamaika-Bündnis mit Union und Grünen oder der "Deutschland-Koalition" aus Union, SPD und FDP. Entsprechend selbstbewusst tritt die Partei derzeit auf.
Könnte mal wieder Zünglein an der Waage spielen: FDP-Chef Christian Lindner.
Vertane Chancen
Der Wahlkampf für die bevorstehende Bundestagswahl hätte der spannendste seit Jahren werden können. Mit Angela Merkel tritt eine prägende Figur nicht wieder für die Union an, alle Parteien müssen die Wählerinnen und Wähler für die Nach-Merkel-Ära von sich überzeugen - personell und vor allem inhaltlich. Große Themen gibt es reichlich: Klimawandel, die Auswirkungen der Corona-Pandemie, Generationengerechtigkeit, bezahlbarer Wohnraum, Digitalisierung, Bildung, soziale Gerechtigkeit - also viel Raum, um mit Visionen zu glänzen. Stattdessen ging es lange um Nebensächlichkeiten. Abgeschriebenes, Geschöntes, Lacher, Patzer, Unsicherheiten.
Nun geht der Wahlkampf in die entscheidende Phase und womöglich erfüllen alle Parteien nun ihr lange gegebenes Versprechen, dass es endlich um Themen und Inhalte gehen soll. Den Wählerinnen und Wählern wäre zu wünschen, dass es dabei möglichst ehrlich zugeht, denn sie müssen am Ende entscheiden, wem sie zutrauen, wichtige Weichenstellungen für die Zukunft vorzunehmen.