Union vor Sondierungen Laschets letzte Chance
Ein gescheiterter Kandidat, eine verunsicherte Union und die Gefahr, dass alte Machtkämpfe neu ausbrechen: Für CDU-Chef Laschet wird es eng. Über eine Tragödie mit ungewissem Ausgang.
Was sich derzeit in der Union abspielt, ist für viele im politischen Berlin der letzte Akt einer Tragödie im klassischen Sinne: Der tragische Held Armin Laschet hat das schlechteste Wahlergebnis für die Union eingefahren und die Bundestagswahl verloren. Statt die Niederlage einzuräumen und seiner Partei einen Neustart zu ermöglichen, hofft Laschet aber noch immer, als Sieger vom Platz gehen zu können.
Je länger er daran glaubt, Kanzler einer Koalition mit Grünen und FDP zu werden, desto weiter scheint er seine Partei, die CDU, in den Abgrund zu reißen. Viele in der Unionsfraktion glauben nicht mehr an eine Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP, fürchten sich aber gleichzeitig vor quälenden Jahren in der Opposition - gemeinsam mit AfD und Linken.
Was, wenn Lindners junge, dynamisch wirkende FDP die bürgerliche Mitte in einer Ampelkoalition brillant vertritt? Die CDU könnte mittel- und langfristig in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Ausgerechnet die CDU - die Partei Adenauers, Kohls und Merkels.
Von den Jungen kaum verstanden
Von der jüngeren Wählerschaft wird sie ohnehin kaum noch verstanden und im Osten des Landes droht immer wieder ein Abgrenzungsproblem von der rechtsradikalen AfD. Nicht nur Laschet, die gesamte Union steckt also in einem Dilemma: Würde die CDU ihren Parteivorsitzenden noch vor den Gesprächen mit FDP und Grünen absägen und durch Jens Spahn, Norbert Röttgen oder Friedrich Merz ersetzen, würde das in der eigenen Wählerschaft wie eine Selbstzerfleischung wahrgenommen.
Nach vielen Telefonaten von führenden Unionspolitikern im Hintergrund bekommt Laschet nun eine letzte Chance: Er darf die unionsinternen Vorgespräche am Wochenende sowie die Gespräche mit der FDP am Sonntagabend und mit den Grünen am Dienstag für die CDU leiten. In der Tragödie wäre das ein "retardierendes Moment", also der Moment in der Tragödie, in dem der Protagonist noch Hoffnung schöpfen darf - vor dem endgültigen Fall.
Laschets Karriere am Ende?
Sollte Laschet bei diesen Verhandlungen der Erfolg wieder verwehrt bleiben, dürfte seine politische Karriere vorbei sein. Schließlich sei es "schwer vorstellbar", dass Laschet als Oppositionsführer im Bundestag einen personellen und inhaltlichen Aufbruch der Union verkörpern könne, so die Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp von der Freien Uni Berlin.
Die nun schwelende Diskussion über einen möglichen Wechsel des Spitzenpersonals sei eine "Beschädigung des Vertrauens der Wählerinnen und Wähler", ärgert sich hingegen Roderich Kiesewetter, der Laschet gegen sämtliche Anfeindungen im Wahlkampf verteidigt und trotzdem in Baden-Württemberg die meisten Stimmen für die CDU ergattert hat. "Armin Laschet war unser Spitzenkandidat und ist erster Verhandler für Jamaika. Für Jamaika bedarf es gerade der ausgleichenden integrativen Kraft von Armin Laschet. Auch sehe ich auf Seiten von FDP und Grünen keine Grundlage für einen anderen Verhandler als Armin Laschet."
Jamaika in weiter Ferne
Dass die Vorgespräche für eine mögliche Jamaika-Koalition in den kommenden Tagen erfolgreich verlaufen könnten, scheint jedoch unwahrscheinlich. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat die Hoffnung längst aufgegeben.
Und von Grünen und FDP heißt es hinter vorgehaltener Hand recht ungeniert: Die Union sei in diesem Zustand doch gar nicht verhandlungsfähig. Offenbar geht es den beiden kleineren "Zitrus"-Parteien in erster Linie um eine Drohkulisse gegenüber der SPD - also darum, den Sozialdemokraten im schlimmsten Fall mit der Option Jamaika drohen zu können, falls Olaf Scholz bei den Ampel-Verhandlungen zu forsch auftreten sollte.
Zwar haben einige Liberale und sogar manche Grüne die vage Vorstellung, dass sie mit der Union mehr solide Finanzpolitik und mehr Klimaschutz durchsetzen könnten als mit der Scholz-SPD. Doch auch den Anhängern von Jamaika ist klar: Laschet haftet zu sehr das Image des Verlierers an. Ohnehin seien Laschets Werte nach der Wahl weiter in den Keller gesackt, ergänzt Professorin Kropp. Er wäre ein Kanzler, der nicht gewollt sei. Und selbst im Falle von erfolgreichen Sondierungsgesprächen müsste Laschet von der Fraktion der Grünen im Bundestag zum Kanzler gewählt werden. Im Moment - kaum vorstellbar.
In der Partei müsse die nächste Generation "jetzt stärker sichtbar werden", sagte der 41-Jährige weiter. Inhaltlich verlangte Spahn von der CDU, einen "ideologiefreien Blick": "Themen taktisch abzubügeln, weil sie angeblich andere Parteien stark machen, gehört ab sofort in die Mottenkiste."
Der Frust sitzt tief
Wie zerknirscht Laschet selbst sein mag, ist von außen schwer zu beurteilen. Dass er im Wahlkampf nicht nur für Fehler objektiv kritisiert, sondern auch für Missgeschicke übel verhöhnt wurde, dürfte ihm auch persönlich zugesetzt haben. Zudem muss er in diversen Gremiensitzungen nach dem desaströsen Wahlergebnis den Frust seiner Partei gespürt haben. Umso mehr fragen sich viele Beobachter: Warum sagt ihm kein namhafter CDU-Politiker, dass er aufhören soll?
Nun, dafür hält die griechische Tragödie die Figur des Antagonisten bereit, gemeint ist die des Gegenspielers. In dieser Rolle triumphiert seit Monaten CSU-Chef Markus Söder, der vermeintliche "Kandidat der Herzen". Bei einer Pressekonferenz Mitte der Woche hätte sich Söder von Laschet kaum deutlicher distanzieren können. Für die einen mag das schlicht die Kaltblütigkeit in einem brutalen Bruderkampf sein. Für andere hingegen ist es eine Art Heldentat. In der CDU traut sich keiner, Laschet zum Aufgeben zu zwingen. Wer also soll der "Königsmörder" sein, wenn nicht der Antagonist?
Markus Söder und Armin Laschet - Antagonist und tragischer Held?
Vorbereitungen auf Zeit nach Laschet
Unterdessen bereitet sich die Union auf eine Zeit nach Laschet vor. Die könnte schon am Dienstagabend beginnen, wenn sich herausstellen sollte, dass es - zumindest unter einer Führung von Laschet - nicht zu einer Jamaika-Koalition kommen wird. Die CDU wird vermutlich einen Sonderparteitag auf die Beine stellen und einen neuen Parteichef wählen lassen.
Für Rita Süssmuth, frühere Bundestagspräsidentin und Grande Dame der Union, ist die entscheidende Frage, ob die Union die richtigen Lehren aus dem Wahlergebnis zieht. Jetzt komme es nicht so sehr darauf an, nach einem Schuldigen zu suchen. Vielmehr sei wichtig, sich auf das zu besinnen, wofür die Union stehe, also auf grundlegende Werte der Partei, die Herausforderungen der Zukunft und Geschlossenheit. Da gebe es viel zu tun. Im Wahlkampf seien die entscheidenden Fragen von keiner Partei beantwortet worden: etwa wie der Kampf gegen den Klimawandel finanziert werden solle.
Anstatt also in alte Machtkämpfe zurückzufallen, fordert Süssmuth ein Team, das kluge Gedanken weiterentwickelt und Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit findet.
Auf der Suche nach glaubwürdigem Personal
In einer prekären Lage ließen sich personelle Veränderungen am schnellsten treffen, sagen andere altgediente Unionspolitiker in Hintergrundgesprächen. Figuren, die glaubwürdig für große Themen wie den Kampf gegen den Klimawandel streiten, am besten vom Kaliber eines Klaus Töpfer. Nur welche Figuren könnten das sein?
Selbst bei den einstigen Kernkompetenzen Wirtschaft und innere Sicherheit habe die Union an Kompetenzzuschreibung verloren, sagt Politikwissenschaftlerin Kropp. Eine neue Person oder ein neues Team an der Spitze müsste in der Lage sein, glaubwürdig für diese Kompetenzen zu stehen. Dass sich die Union in kurzer Zeit berappeln und all diese Anforderungen erfüllen kann, scheint derzeit kaum vorstellbar.
Ob sich Röttgen, Spahn oder gar Merz insgeheim Hoffnungen machen? Sollte einem dieser drei der Sprung an die Parteispitze gelingen und sollten gleichzeitig die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP scheitern, dann gäbe es sogar noch eine winzige theoretische Chance, dass der Nachfolger von Laschet Kanzler einer Jamaika-Koalition werden könnte. "Verfassungsrechtlich ist das vorstellbar", sagt Sabine Kropp. Nur, was würden die Wähler sagen, wenn ein Kanzler gewählt würde, der gar kein Kandidat war? Wieder so ein Dilemma. Schnelle, einfache Lösungen wird es für die Union auf absehbare Zeit nicht geben.
Mehr zu diesem Thema im Bericht aus Berlin am Sonntag um 19:35 Uhr im Ersten.