Digitaler Wahlkampf Wenn Parteien ins Netz gehen
Wahlkampf - das bedeutet längst nicht mehr nur Plakate, Infostand und Talkshows, sondern auch Facebook, Twitter und Instagram. Wie sind die Parteien in den sozialen Netzwerken aufgestellt?
Im Wahlkampf wollen die Parteien "dahin, wo die Menschen sind". Mit Infoständen und Haustürgesprächen ist es deshalb nicht mehr getan - denn Wählerinnen und Wähler verbringen immer mehr Zeit im Internet: 326 Minuten waren die Deutschen im Jahr 2020 im Schnitt täglich online, so geht es aus dem "Digital 2021 Global Overview Report" hervor. Mehr als fünfeinhalb Stunden also, in denen Parteien die Chance haben, auf sich aufmerksam zu machen.
Einen Anhaltspunkt für den Stellenwert, den soziale Medien für die Parteien haben, geben deren Online-Budgets für den Bundestagswahlkampf. Auf Anfrage von tagesschau.de gaben nur Grüne und Linke Auskunft. Die Grünen setzen etwa 2,5 Millionen Euro ein, das sind 20 Prozent des Wahlkampfbudgets. Der Linken stehen laut einer Sprecherin 500.000 Euro zur Verfügung. Die FDP spricht lediglich von einem "erheblichen Anteil", der in "digitale Formate" fließt.
Möglichkeiten, dieses Geld auszugeben, gibt es genug: Die wichtigsten Plattformen für die Wahlkämpfer sind Facebook, Twitter, Instagram und YouTube - alle Parteien sind dort vertreten, meist mit mehreren Accounts.
Zunehmende Professionalisierung
Die Notwendigkeit, Wahlkämpfe auch digital zu führen, haben alle großen Parteien seit Mitte der 2000er-Jahre erkannt und bauen ihre Online-Präsenz kontinuierlich aus - die Corona-Pandemie hat diesen Trend nur fortgesetzt. Politikberater Martin Fuchs spricht von einem "enormen Professionalisierungsschub in den letzten Jahren".
Ein Maßstab für Erfolg in den sozialen Medien ist die Followerzahl. Betrachtet man die Hauptaccounts der Parteien zeigt sich: Auf Facebook und YouTube liegt die AfD an der Spitze. Gegenüber tagesschau.de legt sie sich auch als einzige auf ihren Online-Schwerpunkt fest: Facebook sei die wichtigste Plattform.
Fuchs erklärt das mit der Entstehung der Partei: "Die AfD hat sich komplett auf der Infrastruktur von Facebook aufgebaut. Jeder, der sich über die Partei informieren wollte, aber auch, wer etwas werden wollte in der AfD, der musste zu Facebook gehen und sich dort in den AfD-Gruppen organisieren." Zudem verstehe es die Partei, Emotionen einzusetzen, agiere populistisch und überschreite damit Grenzen - "etwas, wozu die anderen Parteien nicht bereit sind", so Fuchs.
Poli-TikTok
Auf Twitter und Instagram haben die Grünen die meisten Follower. Während Twitter von Medienschaffenden dominiert ist, wird Instagram viel von jüngeren Menschen genutzt. Sie neigen tendenziell eher grünen Standpunkten zu, interessieren sich etwa für Klimaschutz, Antirassismus oder Feminismus. Junge Politikerinnen wie Aminata Touré verbinden grüne Botschaften auf Instagram mit Persönlichem und Blicken hinter die Kulissen des Politikbetriebs. Damit erreichen sie Menschen, die nicht unbedingt dem Hauptaccount der Grünen folgen würden.
Auch TikTok als die jüngste Plattform eignet sich nur bedingt für Parteikommunikation von oben. Auf der Video-App sind Persönlichkeiten erfolgreich, deswegen sind dort partei- und altersübergreifend eher einzelne Mitglieder zu finden, die politische Inhalte produzieren - möglichst authentisch und selbstironisch, wie etwa der 72-jährige FDP-Bundestagsabgeordnete Thomas Sattelberger oder Lilly Blaudszun, die 20-jährige Social-Media-Expertin der SPD.
Kleinere Parteien sind online im Vorteil
Die jetzigen Regierungsparteien CDU und SPD liegen bei den Followerzahlen auf keiner Plattform vorn. Ihre Mitgliederstruktur ist älter - und der Online-Organisierungsgrad entsprechend geringer. Ihre vergleichsweise breite Wählerschicht ist im Netz außerdem nicht ganz leicht zu bedienen. Politikberater Fuchs sieht dort andere im Vorteil: "Kleinere Parteien haben es im digitalen Wahlkampf leichter, weil sie anders kommunizieren können. Die FDP etwa kann Themen stärker zuspitzen, weil sie eine viel kleinere Basis an Menschen hat, die sie überhaupt mobilisieren kann."
Auch die Linkspartei sei hier gut aufgestellt und habe besonders auf Facebook über Jahre hinweg eine Community aufgebaut. "Sie begreift ihre Facebook-Seite nicht nur als Absendestation von Themen, sondern versucht, die Menschen einzubinden in ihre Kommunikation", so Fuchs.
Geschlossene digitale Räume werden wichtiger
Wählerinnen und Wähler direkt einzubinden versuchen die Parteien auch, indem sie digitale Räume erobern, die noch vor Kurzem der privaten Kommunikation vorbehalten waren: Messengerdienste. Fast alle Parteien nutzen inzwischen Telegram.
Besonders die AfD hat das Potenzial des Dienstes erkannt: Sie ist dort mit diversen Kanälen vertreten, die alle paar Stunden Statements und Videos verbreiten - stets so aufbereitet, dass sie leicht zu teilen sind. Die AfD werde auf Telegram zudem anschlussfähig für andere Szenen, etwa Corona-Skeptiker, sagt Politikberater Fuchs. Mit ihnen könne sich die Partei verbinden und so neue Wählergruppen erschließen.
Die SPD setzt auf einen eigenen Telegram-Bot, der Interessierte mit Partei-Inhalten versorgt. Seit neuestem gibt es auch eine Wahlkampf-Gruppe, die virtuelle "Sozenbande". Dort bekommen Motivierte exklusiven Content zu sehen und können in gemeinsamen Netzaktionen dezentral vom Sofa aus Wahlkampf für die SPD machen - so sinkt die Hemmschwelle für politische Betätigung. Gerade Jüngere könnten sich im geschützten Raum des Messengerdienstes politisch ausprobieren, sagt Fuchs.
Digitale "fails" mit Reichweite
Bei moderner Wahlkampf-Kommunikation war die CDU 2017 noch Vorreiterin - etwa mit ihrer App "CDUconnect", über die Teile des Wahlkampfs organisiert wurden. In diesem Jahr entdeckte die Softwareentwicklerin Lilith Wittmann allerdings eine Sicherheitslücke. Dafür kassierte sie von der CDU eine Strafanzeige, was viel Kritik auslöste. Trotz Entschuldigung war es eine Datenschutz-Blamage für die Partei - und ein echter Nachteil bei der aktuellen Wahlkampf-Planung.
Erheblich geschadet hat der CDU aber wohl auch das unpassende Lachen ihres Spitzenkandidaten im Hochwassergebiet, das bei Twitter unter dem Hashtag #Laschetlacht trendete.
Zuletzt holte die CDU dann auch noch ein Social-Media-Debakel von vor zwei Jahren ein: Damals hatte der YouTuber Rezo ein Video veröffentlicht, in dem er unter dem Titel "Die Zerstörung der CDU" mit der Partei abrechnete. Die reagierte unsouverän. Jetzt veröffentlichte Rezo eine Neuauflage in zwei Teilen: Das erste Video hatte innerhalb der ersten Woche rund drei Millionen Views. Im zweiten Teil der Neuauflage stellt Rezo die Klimakrise in den Mittelpunkt - und macht vor allem die CDU für viele der politischen Versäumnisse im Kampf gegen den Klimawandel verantwortlich. Dieses Video erreichte binnen 24 Stunden mehr als zwei Millionen Views. Die Strategie der CDU bisher: Ignorieren.
Auch die Grünen haben Probleme: Nachdem die anfängliche Euphorie über Spitzenkandidatin Annalena Baerbock verflogen war, reihte sich im Wahlkampf Fehler an Fehler. Hinzu kommt, dass Kernthemen der Grünen wie Klimawandel und Umweltschutz sehr komplex sind. Damit in den sozialen Medien Reichweite zu erzeugen, ist schwierig. Wenn die Partei dann versucht, das mit Wahlwerbespots wie "Ein schöner Land" auszugleichen, der ein Volkslied umdichtet, wird das im Netz von vielen als altbacken und peinlich empfunden.
SPD tritt leise auf, aber niemandem auf die Füße
Die SPD ist bislang relativ fehlerfrei durch diesen Wahlkampf gekommen. Sie war bisher zwar nicht auffällig in ihrer Digitalstrategie, das scheint ihr derzeit aber eher zu nützen. Wenn das einzige, wofür man online Spott erntet, voreilig veröffentlichte Wahlplakate sind, auf denen noch Blindtext anstelle von politischen Aussagen zu sehen ist, macht man vermutlich vieles richtig im Internet - und wenn das nur heißt, wenig Angriffsfläche zu bieten.