"Blue Card" für Flüchtlinge Zwei-Klassen-System oder Chance?
Flüchtlingen soll der Weg zu einer "Blue Card" - und damit in den deutschen Arbeitsmarkt - vereinfacht werden, fordern Arbeitgeber und Arbeitsagentur. Migrationsforscher halten das für sinnvoll - aber längst nicht für ausreichend.
Es klingt nach einer einfachen Lösung: die "Blue Card" für Flüchtlinge. Denn einerseits ist der Bedarf an Ingenieuren, Ärzten oder anderen Facharbeitern in Deutschland groß und wird in den kommenden Jahren noch massiv steigen, wie Arbeitsmarktforscher aufgrund der alternden Bevölkerung vorhersagen. Andererseits kommen jeden Monat Tausende Flüchtlinge nach Deutschland. Doch arbeiten dürfen sie zunächst nicht. Drei Monate müssen sie grundsätzlich warten, auch in den Monaten danach ist ihre Chance auf einen Job gering.
Eine "Blue Card" können Ausländer eines Nicht-EU Landes beantragen, die
a) entweder über einen deutschen oder einen anerkannten ausländischen oder einen dem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss verfügen und
b) einen Arbeitsvertrag mit einem Bruttojahresgehalt in Höhe von mindestens 48.400 € (4.034 Euro monatlich), in sogenannten Mangelberufen (Naturwissenschaftler, Mathematiker, Ingenieure, Ärzte und IT-Fachkräfte ) in Höhe von 37.752 € (3.146 Euro monatlich) haben.
Die Forderung von Arbeitgebern und der Bundesagentur für Arbeit, sie leichter in den Arbeitsmarkt zu integrieren, halten Migrationsforscher deshalb grundsätzlich für sinnvoll. So begrüßt auch Helen Schwenken, Professorin für Migration und Gesellschaft an der Universität Osnabrück, diese Öffnung im Gespräch mit tagesschau.de, weist aber darauf hin, dass der aktuelle Zuschnitt der "Blue Card" nur für sehr wenige Flüchtlinge eine Möglichkeit darstelle. "Denn die Einkommenshöhen sind als Einstiegsgehalt extrem schwierig zu erreichen: Da muss eine Person mehr verdienen als ein promovierter Mitarbeiter im öffentlichen Dienst in Deutschland." Schließlich liegt das Mindestgehalt eines "Blue Card"-Bewerbers in Deutschland derzeit bei 48.400 Euro. Schwenken spricht sich deshalb dafür aus, die Einkommenshöhe bei einer solchen Regelung herunterzusetzen.
Spurwechsel vom Asyl zum Visum?
"Eine 'Blue Card' für Flüchtlinge ist zwar ein gutes Mittel, wird aber nur sehr beschränkt Wirkung haben", räumt auch Herbert Brücker, Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, ein. "Es wäre grundsätzlich sinnvoll, wenn wir Menschen, die Chancen auf Integration haben, die Möglichkeit für einen Spurwechsel bieten und sie aus dem Asylverfahren herausnehmen." Einen solchen Wechsel vom Asyl- ins Visumverfahren hatte auch der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Raimund Becker, bereits gefordert.
Denn bislang haben Flüchtlinge nur einen "nachrangigen Arbeitsmarktzugang", wie Migrationsforscher Brücker vom IAB erklärt. "Sie haben erst dann die Chance auf einen Job, wenn kein Deutscher, kein EU-Bürger und kein Vorrangiger aus Drittstaaten den Job will." In der Praxis bedeutet das: Bewirbt sich ein Flüchtling innerhalb der ersten eineinhalb Jahre im Land auf eine Stelle und entscheidet sich ein Arbeitgeber für ihn, muss er trotzdem eine Vorrangprüfung durchlaufen. Das heißt die Bundesagentur für Arbeit prüft nach der Zusage, ob es andere Menschen gibt, die das Unternehmen auf dem Posten vorziehen muss. "Das dauert - und schränkt die Beschäftigungschancen für Flüchtlinge ein, weil sie eben nicht in einem freien Wettbewerb um die Stellen stehen", kritisiert der Arbeitsmarktforscher Clemens Ohlert vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung. Die Hürde für Arbeitgeber Flüchtlinge einzustellen, ist daher hoch.
Perspektive für jugendliche Flüchtlinge
Auch ganz konkrete Wirtschaftsbereiche und Berufe haben die Arbeitsmarktforscher im Blick: die Gastronomie, die Landwirtschaft oder Pflegeberufe. Denn diese Bereiche stellen nach Ansicht von IAB-Forscher Brücker "zwar hohe Anforderungen an die Menschen, aber zugleich werden keine formal hohen Berufsabschlüsse vorausgesetzt".
Brücker geht noch einen Schritt weiter: Denn etwa 30 Prozent der Flüchtlinge seien unter 18 Jahre alt, insofern solle man auch jugendlichen Flüchtlingen eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt bieten: "Wenn sie eine Ausbildungsstelle bekommen, sollten sie für diese Zeit und die zwei Jahre danach ebenfalls das Aufenthaltsrecht bekommen", fordert Brücker. Der einfache Grund für sein Plädoyer für die Zuwanderung ist ein wirtschaftliches Argument, denn der demographische Wandel in Deutschland könne sonst in den kommenden Jahren nicht bewältigt werden.
Trotzdem sieht das Bundesinnenministerium keinen Bedarf für solche "Spurwechsel" vom Asyl- ins Visumverfahren.
Problem: Zwei-Klassen-Einteilung
Doch die Diskussion über eine "Blue Card" für Flüchtlinge birgt auch Gefahren, warnt Migrationsprofessorin Schwenken, "wenn es einer Argumentation Vorschub leistet, die Flüchtlinge in gute und schlechte sortiert". Auch Extremismusforscher Andreas Zick warnt vor einer solchen Einteilung. Der Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld beobachtet in Umfragen, dass sich bei sozialen Fragen, vor allem aber im Hinblick auf Migranten ein "ökonomischer Extremismus" eingeschlichen habe, der von etwa einem Drittel der Bevölkerung geteilt werde. Gerade deshalb sei die Vermittlung von Maßnahmen wie der "Blue Card" besonders wichtig: "Ich würde raten, die 'Blue Card' nicht mit Nützlichkeitsüberlegungen zu verbinden." Stattdessen solle das Ziel der schnellen Einbindung der Menschen betont werden.
Auch ein ganz praktisches Problem stellt sich, hat die Soziologin Schwenken beobachtet, als sie eine Erstaufnahmeeinrichtung besuchte: Denn schon jetzt sollen die Sozialarbeiter Flüchtlinge nach ihrer Bleibewahrscheinlichkeit unterscheiden. "Das ist natürlich schwierig, denn aus ethischer Perspektive wollen sie alle gleich behandeln", erzählt Schwenken. Bei dieser Aufgabe sieht die Wissenschaftlerin deshalb den Staat in der Pflicht, "das ist nicht die Aufgabe der Sozialarbeiter und -arbeiterinnen".
Auf Dauer sieht Schwenken für die Diskussion über Flüchtlinge und deren Perspektiven auf dem deutschen Arbeitsmarkt deshalb vor allem eine Lösung: mehr legale und sichere Zuwanderungsmöglichkeiten.