Bauernproteste gegen Agrarpakt "Es gibt ja noch gar kein Gesetz"
Agrarministerin Klöckner hat Verständnis für die Proteste der Bauern geäußert. Diese bräuchten Planungssicherheit und mehr Respekt in der Gesellschaft. Und sie beruhigt: Noch sei nichts in Stein gemeißelt.
tagesschau24: Können Sie den Landwirten bei ihren Forderungen entgegenkommen?
Klöckner: Ich verstehe die Landwirte und habe großen Respekt, dass sie sich so viele Stunden auf den Weg gemacht haben, um die Anliegen des ländlichen Raums in die Hauptstadt zu bringen. Und was für die Landwirte wichtig ist, ist auf der einen Seite Planungssicherheit, aber auch Wertschätzung. Und es ist ein Mix, was sie auf die Straße treibt. Politische Entscheidungen hin zu einem besseren Grundwasser. Oder dass wir mehr Tierwohl und mehr Umwelt- und Insektenschutz brauchen. Das sind Anpassungsleistungen, die die Landwirte bringen müssen.
Das kostet Geld, und deshalb müssen wir dafür sorgen, dass wir sie dafür entschädigen und sie dabei auch unterstützen. Aber ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass in Medien, in der Öffentlichkeit und bei vielen Verbrauchern sehr, sehr einseitig über Landwirtschaft gesprochen wird, dass wir viel von ihnen erwarten, hohen Verbraucherschutz und Umwelt- und Tierschutz. Aber wir selbst kaufen an der Ladentheke nicht so ein.
Julia Klöckner (CDU) ist seit 2018 Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft.
Seit 2012 ist sie eine von fünf stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden, außerdem ist sie Landesvorsitzende ihrer Partei in Rheinland-Pfalz.
tagesschau24: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, ziehen Sie das Agrarpaket durch, ohne Wenn und Aber und ohne Kompromisse.
Klöckner: Das Agrarpaket bezieht sich auf mehr Tierwohl. Das Agrarpaket bezieht sich auf mehr Insektenschutz und auch auf mehr Umweltschutz. Da geht es um sogenannte Umschichtungen. Und bei dem sogenannten Insekten-Schutzprogramm haben wir nur politische Ziele formuliert. Jetzt gehen wir ja erst in die Tiefe, das heißt zu den einzelnen Maßnahmen. Wir wollen, dass überall eine Bewirtschaftung weiterhin möglich sein wird.
Deshalb haben wir zu einem runden Tisch eingeladen - auch die Landwirtschaft -, um jetzt detailliert mit ihnen Maßnahmen zu besprechen. Dass wir zum Beispiel Anreize schaffen, dass wir mit den Ländern zusammen mehr als 80 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Denn Landwirtschaft macht schon viel: indem sie Blühstreifen anlegen; indem sie Vertrags-Naturschutz betreiben; indem Landschaftslemente, Hecken und andere Rückzugsorte auch auf den großen Feldern breitflächig angelegt sind. Aber diese Schritte müssen wir noch weiter gehen zusammen.
tagesschau24: Sie sagen: Entschädigungen, darüber kann man reden. Aber sie sagen eben auch: Die Beschränkungen müssen so durchgezogen werden.
Klöckner: Nein, da haben Sie mich jetzt falsch verstanden. Wenn ich Sie korrigieren darf. Wir haben das Ziel "Mehr Insektenschutz" formuliert und haben deskriptiv beschrieben in unserem Agrarpaket, wo wir hin wollen. Die Maßnahmen selbst, die werden wir jetzt zusammen mit den Landwirten mit Rücksicht auf die Praxistauglichkeit besprechen, denn es gibt ja noch gar kein Gesetz. Insofern kann man auch kein Gesetz durchziehen, was es noch gar nicht gibt.
tagesschau24: Aber es gibt eben geplante, strengere Regeln beim Düngen und beim Insektenschutz. Und da sagen die Bauern, dass das ihre Existenz gefährdet. Würden Sie sagen, dass die Landwirte übertrieben?
Klöckner: Die Existenz von Bauern ist dann gefährdet, wenn es keine Artenvielfalt mehr gibt. Sie sind auf die Leistung von bestäubenden Insekten massiv angewiesen. Insofern liegt Klimaschutz und Artenschutz absolut im Interesse der Landwirte. Wir haben es ja gesehen: Wir hatten - Stichwort Klimaschutz - einen Dürresommer im vergangenen Jahr, der sehr heftig war, und in diesem Jahr auch.
Und das geht auf die Erträge, das geht auf die Erlöse, und am Ende geht das auch auf die Existenz. Deshalb sind es Anpassungsleistungen, die wir hier brauchen, und da unterstützen wir die Landwirte.
tagesschau24: Würden Sie es denn in Kauf nehmen, dass es künftig in Deutschland weniger Betriebe gibt, die dann auch weniger produzieren, es aber dafür umweltfreundlicher tun? Eben mit weniger Düngung und mit mehr Insektenschutz?
Klöckner: Ich glaube, dieser Widerspruch ist falsch, denn wir müssen Erträge sichern. Auf dieser Welt hungern Menschen, und wir werden es nicht schaffen, indem wir teilweise aus der Landwirtschaft aussteigen. Im Jahre 1900 hat ein Landwirt für etwa vier, fünf Verbraucher produziert, heute für 155. Und das ist erst einmal eine Errungenschaft, das Menschen satt werden und nicht hungern müssen. Auf der anderen Seite hat das natürlich Umweltauswirkungen. Und jetzt sind wir in einer Zäsur.
Das heißt, wie können wir Erträge sichern und ein Auskommen für die Landwirten haben? Und wie können wir andererseits das nachhaltig gestalten? Deshalb werde ich eine Ackerbau-Strategie vorlegen. Deshalb werden wir massiv investieren in die Präzisions-Landwirtschaft. Mithilfe der Digitalisierung können Pflanzenschutzmittel und Düngemittel viel präziser und in einem viel geringeren Maße aufgetragen werden. Das ist sehr effektiv.
tagesschau24: In der Agrarstrategie der vergangenen Jahrzehnte war es so, dass die Betriebe immer größer geworden sind, auch mit dem Segen von Politikern Ihrer Partei, der CDU. Jetzt ist es so, dass die kleinen Landwirte sagen: Wieso sollen wir nun gerade die politischen Fehler von damals ausbaden?
Klöckner: Sie machen gerade einen Gegensatz auf, den es bei den Landwirten nicht gibt. Und das sind auch Stereotypen, mit denen häufig auch Medien arbeiten: Klein gegen Groß. Oder die Fragestellung: Bio gegen konventionell. Da müssen wir ein bisschen acht geben, denn diese Spaltung gibt es in der Landwirtschaft gar nicht. Es gibt große Betriebe, die sehr nachhaltig arbeiten. Es gibt kleine Betriebe, die müssen noch ein bisschen für den Tierschutz tun. Am Ende kommt es auf die Qualität an, wie man wirtschaftet im Stall, im Keller oder auf dem Acker.
Das Gespräch führte Gerrit Derkowski, tagesschau24.