Die Flagge der Ukraine (M) weht am Morgen vor dem Reichstagsgebäude im Wind zwischen denen der Europäischen Union und Deutschlands.

Aufstockung des Wehretats Redebedarf in den Ampel-Fraktionen

Stand: 01.03.2022 09:02 Uhr

Waffen für die Ukraine und eine massive Aufstockung des Wehretats: Scholz' Kurswechsel in der Verteidigungspolitik hat viele überrascht - auch in den eigenen Reihen. Es gibt viel zu besprechen.

Von Mirjam Meinhardt, ARD-Hauptstadtstudio

Als Bundeskanzler Olaf Scholz in der Sondersitzung des Bundestags die neue Marschrichtung in der deutschen Verteidigung- und Rüstungspolitik und das neue Sondervermögen für die Bundeswehr verkündet, ist der Applaus lautstark zu hören.

Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen. … Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in unsere Verteidigung investieren.

Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär, zur Aufrüstung der Bundeswehr

Morgenmagazin

"Einstieg ins weltweite Wettrüsten"

Aber in den eigenen Reihen - in der SPD - reiben sich manche verwundert die Augen. "Ehrlich gesagt, mir fehlen die Worte" - so beschreibt es ein Abgeordneter der parlamentarischen SPD-Linken dem ARD-Hauptstadtstudio. Mit der notwendigen schnellen Hilfe für die Ukraine habe das nichts zu tun. Das sei der Einstieg ins weltweite Wettrüsten, sagt der Sozialdemokrat, der namentlich nicht genannt werden möchte. 

Solidarität mit den Menschen in der Ukraine, das habe jetzt Priorität. Da müsse die deutsche Regierung Flagge zeigen. Als diejenigen, die eine neue Aufrüstungsspirale in Gang gesetzt habe, solle die Regierung aber nicht in die Geschichte eingehen, betont der SPD-Linke.

In den Fraktionssitzungen vor Scholz' Rede sei nicht über Details gesprochen worden, heißt es auch aus Fraktionskreisen der Ampel-Parteien. Öffentlich sagen wollen das aber nur wenige.

"Übers Knie gebrochene Hauruck-Aktion"

Schnell reagiert hingegen hat die Grüne Jugend. Ihr Co-Chef Timon Dzienus ist irritiert. Der Vorschlag für das Sondervermögen sei "eine mittel- bis langfristige Grundsatzfrage der Ausrichtung der Bundeswehr und leistet überhaupt keinen Beitrag zu aktuellen, akuten Lösung des russischen Angriffskriegs". Statt "einer übers Knie gebrochenen Hauruck-Aktion samt Grundgesetzänderung" müsse es eine breite politische und gesellschaftliche Debatte darüber geben.

Auch das Problem bei der Bundeswehr und ihrer Ausrüstung sei nicht nur das Geld, meint der grüne Nachwuchspolitiker: Der "vermeintliche Investitionsbedarf" bei der Bundeswehr sei insbesondere das Resultat von "Missmanagement und Fehlplanung aus den letzten Jahren" und eben nicht aus fehlendem Budget.

"Für viele nicht im Detail klar"

Insgesamt waren offenbar einige Mitglieder der Ampel-Parteien von den Ankündigungen des Kanzlers überrascht, sagt auch die grüne Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger. Gemeinsam habe man zwar in den vergangenen Tagen erklärt, dass Sicherheit wieder mehr wert sein müsse. Und dass das natürlich auch den Verteidigungsbereich betreffe - den klassischen militärischen Bereich, aber auch Energiesouveränität oder humanitäre Hilfe. Aber: "Diese ganz konkreten Vorschläge waren, glaube ich, für viele Abgeordnete nicht im ganzen Detail klar, wenn man sich so nach links und rechts im Bundestag umgeschaut hat." 

Die Ankündigung von Kanzler Scholz sei noch nicht in Stein gemeißelt: "Für mich und für Grüne ist an der Stelle wirklich sehr wichtig, dass wir Sicherheit nicht allein auf die militärische Perspektive reduzieren, die trotzdem auch dazugehört." Da gebe es keinen Zweifel, und natürlich werde der Verteidigungsetat erhöht werden müssen: "Aber Sicherheit ist deutlich mehr als Militär, auch das lehrt uns dieser Konflikt auf unserem Kontinent."

Also trotz lautem Applaus für Scholz' Ankündigungen, künftig deutlich mehr Geld in Rüstung zu stecken, noch gibt es offensichtlich Redebedarf in der Ampel-Koalition.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD-Morgenmagazin im Ersten am 01. März 2022 um 08:18 Uhr.