Christian Lindner Minister zwischen allen Stühlen
So mancher FDP-Anhänger vermisst das klare Profil. Die Ampel-Partner SPD und Grüne dagegen grummeln ob der Steuerpolitik des Finanzministers. An Lindner perlt die Kritik ab.
Christian Lindner ist ein Meister der Worte. Erneuerbare Energien nennt er seit dem russischen Überfall auf die Ukraine "Freiheitsenergien". Sein Ministerium bezeichnet er als "Ermöglichungsministerium". Und angesprochen auf die Frage, wann denn die Legalisierung von Cannabis kommt, zeigt der Finanzminister, dass er auch Jugendsprache beherrscht: 2023 werde "Bubatz" legal, so seine Prognose.
Doch zu seinem Markenzeichen hat er die Verlässlichkeit in Finanzfragen erkoren. Was er beim Steuerforum des Zentralverbands des deutschen Handwerks so in Worte fasst: "Fürchtet euch nicht - mit dieser Koalition und diesem Bundesfinanzminister wird es keine Steuererhöhungen geben."
Zwei Bedingungen hatte er vor einem Jahr für den Eintritt seiner FDP in die Koalition mit SPD und Grünen benannt: keine Steuererhöhungen und kein Aufweichen der Schuldenbremse. Beides gelingt nur begrenzt. So musste Lindner erst vor wenigen Tagen auf Druck der EU einer Übergewinnsteuer für einzelne Energieunternehmen zustimmen. Und das, obwohl diese aus seiner Sicht rechtlich auf wackeligen Beinen steht.
Solider Haushalter oder Rekord-Schuldenmacher?
Was sein Versprechen angeht, die Schuldenbremse einzuhalten, halten ihm Oppositionspolitiker wie Mathias Middelberg von der CDU die vielen schuldenfinanzierte Schattenhaushalte vor. Lindner sei "Rekord-Schuldenmacher" - der Haushalt des Finanzministers sei nicht ehrlich und nicht nachhaltig.
Ähnliche Kritik muss sich Lindner vom Bundesrechnungshof gefallen lassen. Zwar hat Lindner für das kommende Jahr einen Bundeshaushalt ohne eine Ausnahme von der Schuldenbremse aufgestellt - immerhin der erste seit 2019. Doch zugleich hat er sich noch in diesem Jahr Kreditermächtigungen mit einem Volumen von 360 Milliarden Euro für die kommenden Jahre genehmigen lassen. Damit werden die Kosten der Energiepreisbremsen, die Milliarden für die Bundeswehr und Ausgaben für den Klimaschutz finanziert.
Wunsch, "nach Lehrbuch zu arbeiten"
Lindner gibt zu, dass das "nicht ideal" sei: "Es wäre auch mein Wunsch, in einer idealen Welt nach Lehrbuch zu arbeiten." Doch die Krise lasse keine andere Wahl. Sein Motiv sei nicht, zu verschleiern, sondern schnellstmöglich in eine normale Haushaltsführung zurückzukehren.
Aufgrund der konkreten Festlegung, welche Ausgaben über die sogenannten Sondervermögen abgewickelt werden dürfen, bleibe der Haushalt vor Sonderwünschen der Ministerien geschützt. Er jedenfalls lasse sich daran messen, dass er "nach der Krise und nach dem akuten Krieg zur Solidität der öffentlichen Finanzen zurückkehre".
Beharrlich beim Kampf gegen Kalte Progression
Doch auch in der Krise setzt Lindner Akzente. Beharrlich setzt er steuerliche Entlastungen durch, insbesondere, um die Folgen der sogenannten Kalten Progression abzumildern. Eigentlich sei das gar keine Entlastung, sagt Lindner: Ohne Korrekturen am Steuertarif würde der Staat heimlicher Gewinner der Inflation.
Bei den Koalitionspartnern SPD und Grüne ist ein deutliches Grummeln zu vernehmen, schließlich profitieren von solchen Korrekturen höhere Einkommensbezieher in absoluten Zahlen am meisten. Doch Lindner setzt sich durch - und genießt dabei die Unterstützung des Kanzlers. Beide sagen, die Politik müsse nicht nur die untersten Einkommensschichten unterstützen, sondern auch etwas für "die arbeitende Mitte der Bevölkerung" tun.
Lindner und Habeck - "wie Tom und Jerry"?
Innerhalb der Regierung pflegt Lindner zu Beginn ein freundschaftliches Verhältnis zu Robert Habeck, der wohl auch gerne Finanzminister geworden wäre. Es gibt Diskussionen, bei denen sich die beiden humorvoll auf den Arm nehmen - so, wenn Lindner bekennt, er sei ein Freund des Fünf-Liter-Autos, was sich im Unterschied zu Habeck aber nicht auf den Verbrauch, sondern auf den Hubraum beziehe.
Das vertraute Du der beiden wird im Lauf der Zeit aber seltener. Auch zwischen den beiden Ministerien hakt es mehrfach. Beim Streit um die Atomkraft muss am Ende der Kanzler mit einem Machtwort klären. CDU-Fraktionsvize Jens Spahn spottet, Habeck und Lindner seien nicht "Plisch und Plum" wie man Ende der 1960er-Jahre über die damaligen Finanz- und Wirtschaftsminister Franz Josef Strauß (CSU) und Karl Schiller (SPD) sagte; sie seien vielmehr wie "Tom und Jerry, wie Katz und Maus".
Aber auch das ficht Lindner nicht an. Er sitzt bei solchen Sätzen auf der Regierungsbank und lächelt. Als er im Juli auf Sylt seiner Lebensgefährtin, der TV-Journalistin Franca Lehfeldt, das Ja-Wort gibt, ist Kanzler Olaf Scholz dabei, ebenso wie CDU-Chef Friedrich Merz. Was nebenbei zeigt: Trotz Ampel hält Lindner weiter Kontakt zu Politikern der Union - zumal er als FDP-Vorsitzender im Wahlkampf 2021 die Gemeinsamkeiten mit CDU/CSU betont hatte.
Seine Botschaft an "fremdelnde" FDP-Anhänger
Für seine FDP dagegen läuft es nicht so gut: In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein fliegt die Partei aus der Regierung, in Niedersachsen sogar aus dem Landtag. Viele FDP-Anhänger fremdeln mit der Ampel, stellen prominente Liberale wie Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki fest.
Lindner, der 2017 meinte, es sei besser nicht zu regieren als falsch zu regieren, sagt jetzt in Richtung dieser Kritiker: "Es ist besser ein Land aus der Mitte heraus nach vorne zu führen, als von außen zu beobachten, wie es nach links gerückt wird."
Im Übrigen, so fügt Lindner mit einem Augenzwinkern hinzu, sei es eine "beklagenswerte Realität, aber auch ich muss sie anerkennen: Die FDP hat bei der Bundestagswahl die absolute Mehrheit verfehlt." Da ist er wieder: der Meister des Wortes, der bei aller Kritik immer auch bemüht ist, Gelassenheit und Zuversicht auszustrahlen.