Kritik an Lindner "Entlastungspläne zum falschen Zeitpunkt"
Die "Wirtschaftsweise" Grimm meint, Lindners Steuerreform komme zum falschen Zeitpunkt. Andere halten sie für "unausgewogen". Der Finanzminister verteidigt seine Pläne gegen Kritik - und bekommt Rückendeckung von Kanzler Scholz.
Die Pläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner zur Entlastung der Steuerzahler passen nach Einschätzung der "Wirtschaftsweisen" Veronika Grimm nicht in die Zeit. "Eine Reform, bei der nominal die Besserverdienenden mehr gewinnen, kommt einfach zum falschen Zeitpunkt", sagte Grimm der "Rheinischen Post". Prinzipiell sei es zwar richtig, die sogenannte kalte Progression auszugleichen und die Mitte der Gesellschaft angesichts der hohen Inflation zu entlasten.
"Andererseits brauchen wir zurzeit eine Entlastung vorwiegend der unteren und mittleren Einkommen, die die Härten durch die Preissteigerungen nicht allein tragen können", sagte das Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Man müsse versuchen, zielgerichtet untere und mittlere Einkommensgruppen zu entlasten, bis in die Mitte der Gesellschaft. "Entlastungen mit der Gießkanne, wie etwa beim Tankrabatt oder einer Mehrwertsteuersenkung, sind nicht angezeigt", riet die Erlanger Ökonomin.
Grüne und SPD: Pläne sind "sozial unausgewogen"
Lindner will nach eigener Aussage 48 Millionen Bürger bei der Steuer entlasten. Insgesamt sollen sie im kommenden Jahr mehr als zehn Milliarden Euro sparen, wie der FDP-Politiker gestern ankündigte. Zusätzlich zu einer Anpassung des Einkommensteuertarifs sollen auch das Kindergeld und der Kinderfreibetrag erhöht werden.
Die beiden Koalitionspartner Grüne und SPD halten Lindners Pläne für sozial unausgewogen. Der Minister argumentierte hingegen, dass die vorgeschlagenen Steuerentlastungen gedeckelt seien. "Bei 62.000 Euro Jahreseinkommen endet die zusätzliche Entlastung - beziehungsweise ab dort gibt es keinen zusätzlichen Vorteil mehr." Das sei etwa das 1,5-fache des mittleren Einkommens in Deutschland. Die maximale Steuerentlastung für einen Einzelnen liegt nach Lindners Plänen im kommenden Jahr bei 479 Euro.
Kritische Stimmen mehren sich
Auch der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bezeichnete die Pläne in den tagesthemen als "sehr unausgewogen". "70 Prozent davon kommen den 30 Prozent mit den höchsten Einkommen zugute", kritisierte er. "Menschen mit geringen Einkommen, die keine oder wenig Einkommensteuer zahlen, bekommen praktisch gar nichts davon." Diese Menschen seien von der Inflation aber besonders betroffen.
Der Deutsche Städtetag warnte vor Steuerausfällen in Milliardenhöhe und forderte einen Ausgleich für Kommunen. Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy sagte der Nachrichtenagentur dpa, mit Lindners Plänen gegen die kalte Progression seien auch Steuerausfälle für die Kommunen von rund 4,2 Milliarden Euro in den Jahren 2023 und 2024 verbunden. "Bund und Länder müssen deshalb sicherstellen, dass die Städte die dafür erforderlichen Mittel trotz Steuerentlastungen zur Verfügung gestellt bekommen."
Lindner verteidigt seine Steuerpläne
Lindner verteidigte seine Steuerpläne gegen die Kritik. "Die starken Schultern werden weiter auch eine große Last tragen. Aber sie werden eben nicht stärker belastet. Und vor allen Dingen sorgen wir dafür, dass nicht Menschen, die in Wahrheit keine breiten Schultern haben, durch die Inflation plötzlich mehr Steuern zahlen." Es sei eine "reine Inflationsanpassung", sagte der FDP-Chef im ZDF-"heute journal".
Er verwies auf andere Maßnahmen der Ampelkoalition, die auf Menschen mit geringem Einkommen abzielen. So nannte er die bereits beschlossenen Entlastungspakete mit einer Einmalzahlung für Hartz-IV-Empfänger und einem Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger. Er erinnerte zudem an Koalitionspläne für eine Reform des Wohngelds und den Umbau von Hartz IV zu einem neuen "Bürgergeld".
"Grundsätzliches Wohlwollen"
SPD-Chef Lars Klingbeil signalisierte Zustimmung. "Dass wir viel Geld in die Hand nehmen müssen, um die Menschen durch die Krise durchzubringen, ist ein richtiges Signal", sagte er im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF - obwohl er andere Vorstellungen als der Finanzminister habe, wie kleine und mittlere Einkommen entlastet werden könnten. "Jetzt geht es darum, im Detail zu klären, wie wir das konkret und schnell machen."
Rückendeckung bekommt Linder auch von Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Kanzler sehe die Vorschläge mit "grundsätzlichem Wohlwollen", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Er machte klar, die Pläne seien als Teil eines größeren Gesamtkonzepts zu sehen, das angesichts immenser Kostensteigerungen etwa für Energie in den nächsten Wochen entwickelt werden solle. Die Ressortabstimmung beginne nun, so Hebestreit. Das Konzept werde so entwickelt, dass es vom Kabinett die nötige Unterstützung finde.
Hebestreit verwies auf Aussagen von Scholz, dass die Bürgerinnen und Bürger mit den steigenden Preisen nicht allein gelassen werden sollten. Scholz habe in seiner früheren Funktion als Finanzminister zweimal die kalte Progression korrigiert. Nun stehe diese Korrektur ein drittes Mal an.