In der Landeshauptstadt Wiesbaden hängt ein Schild für eine Waffenverbotszone.
Kontext

Sicherheitsdebatte Was bringen Waffenverbotszonen?

Stand: 12.09.2024 13:50 Uhr

Seit der Messerattacke in Solingen hat die Diskussion über Waffenverbotszonen Fahrt aufgenommen. In Bundesländern mit solchen Bereichen ist der Effekt bislang eher gering einzuschätzen.

Von Julia Kuttner und Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Nach dem Anschlag in Solingen, bei dem der Tatverdächtige mit einem Messer drei Menschen tötete und acht weitere verletzte, wird verstärkt über Waffenverbotszonen diskutiert. So forderte Vizekanzler Robert Habeck am Tag danach "mehr Waffenverbotszonen und strengere Waffengesetze". Innenstädte sollten "völlig frei" von Waffen gehalten werden. Viele weitere Politiker stimmten mit ein, forderten ebenfalls mehr Waffenverbotszonen.

Der Bundestag hat nun in erster Beratung über eine Reihe von Gesetzesänderungen zur inneren Sicherheit debattiert. Die Entwürfe sehen unter anderem eine Ausweitung von Messerverbotszonen und der Befugnisse der Sicherheitsbehörden vor. Doch was bringen solche Zonen?

Waffenverbotszonen bereits in mehreren Bundesländern

Eine Anfrage des ARD-faktenfinders an die Innenministerien aller Bundesländern zeigt, dass es darauf keine eindeutige Antwort gibt. In neun Bundesländern gibt oder gab es bereits Waffenverbotszonen, in Hamburg schon seit dem Jahr 2007, in Bremen seit 2009. Auch in Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Sachsen gibt es zum Teil in mehreren Städten solche Zonen.

In Kiel in Schleswig-Holstein gab es von 2013 bis zum vergangenen Jahr eine Waffenverbotszone. Diese wurde jedoch "aufgrund des deutlichen Rückgangs an Vorkommnissen" nicht erneut verlängert, wie das dortige Innenministerium mitteilt.

In Thüringen beschloss das Kabinett Ende August diesen Jahres eine Rechtsverordnung, auf deren Grundlage Landkreise und kreisfreie Städte Waffen- und Messerverbotszonen künftig eingeführt werden können, das Saarland plant einen ähnlichen Schritt. In Bayern wird solch eine Ermächtigung derzeit geprüft.

In Brandenburg gibt es derzeit keine Waffenverbotszonen. "Sobald eine Änderung des Bundeswaffengesetzes die vereinfachte Etablierung von Waffenverbotszonen ermöglicht, werden diese an geeigneten Orten eingeführt", erklärt das Innenministerium auf Anfrage. Das sei so auch auf der Landrätekonferenz der Landesregierung vergangene Woche in Potsdam festgehalten worden.

Leichte Veränderung in Leipzig

Wie sich die Anzahl der begangenen Straftaten unter Einsatz von Waffen oder generell die Gewaltkriminalität in den Waffenverbotszonen verändert hat, liegt nicht allen Bundesländern mit solchen Zonen vor.

In Sachsen zeigt eine Evaluation der Waffenverbotszone in Leipzig, dass die Zahl der Rohheitsdelikte seit Einrichtung der Zone temporär sank, wenn mehr Polizeikontrollen durchgeführt worden sind. Allerdings sind sie im Anschluss jeweils wieder angestiegen - wenn auch auf niedrigerem Niveau als im ersten Zeitraum der Einführung der Waffenverbotszone.

"Die Evaluierungsergebnisse zeigen, dass die Waffenverbotszone als zusätzliches Instrument zur Senkung von bewaffneten Angriffen im Öffentlichen Raum beigetragen hat. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass die Waffenverbotszone kaum positive Auswirkungen auf das übrige Kriminalitätsgeschehen hat", heißt es in der Ergebniszusammenfassung der Evaluation.

Etwa gleiches Niveau an Gewaltkriminalität in Wiesbaden

Auch in Sachsen-Anhalt ist innerhalb der Waffenverbotszonen die Zahl der Gewalttaten nicht zurückgegangen. In Magdeburg gibt es seit 2021 einen kontinuierlichen Anstieg, in Halle (Saale) ebenfalls. Allerdings wurde die Waffenverbotszone in Halle (Saale) auch im Laufe der Jahre erweitert, so dass ein Vergleich mit den Vorjahren nicht valide möglich ist.

In Hessen liegen Zahlen für die Waffenverbotszone in der Wiesbadener Innenstadt vor, die 2019 eingeführt wurde. Dort hat sich die Anzahl der Gewalttaten im Vergleich zu den Vorjahren zunächst verringert, stieg dann jedoch zwischenzeitlich über das Niveau von dem Jahr vor der Einführung der Verbotszone. Insgesamt ist das Niveau in etwa gleich geblieben - mit Ausnahme des Corona-Jahres 2020, bei dem jedoch auch Faktoren wie Corona-Maßnahmen eine Rolle gespielt haben können.

Ältere Zahlen in Hamburg zeigten keinen Rückgang

Das Hamburger Innenministerium schreibt, dass es keine Zahlen zur Entwicklung der Straftaten in den Waffenverbotszonen zuliefern könne. In einer Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage des SPD-Politikers Arno Münster aus dem Jahr 2014 heißt es, die Anzahl der Straftaten habe sich seit Einführung der Waffenverbotszonen noch nicht merklich verringert. "Die Anzahl der Straftaten, die mit einem Tatmittel durchgeführt wurden, ist leicht gestiegen. Bei den Ordnungswidrigkeiten gegen die waffenrechtlichen Bestimmungen hat es ebenfalls noch keine durchgreifenden Veränderungen gegeben."

Auch aus Niedersachsen heißt es, dass die Straftaten innerhalb der Waffenverbotszonen nicht extra ausgewiesen werden. Daher seien die Daten nicht valide darstellbar. Für Baden-Württemberg gibt es ebenfalls keine Zahlen. Das dortige Innenministerium teilt mit, dass Waffen- und Messerverbotszonen kein Allheilmittel seien, "aber ein Baustein eines umfangreichen Maßnahmenpakets."

Aus dem Bremer Innenministerium heißt es, dass eine erste Evaluation der Waffenverbotszone um den Bremer Hauptbahnhof im Jahr 2013 die Wirksamkeit bestätigt habe. Die Straftaten unter Einsatz von Waffen sei dort zurückgegangen. Genaue Zahlen dazu gibt es jedoch nicht. Die Zahl der Straftaten insgesamt ist einem Medienbericht zufolge in der Zone in den vergangenen Jahren kontinuierlich angestiegen, allerdings gibt es dort unter anderem auch mehr Kontrollen.

Rückläufige Zahlen in Kiel

In Schleswig-Holstein war nach Angaben des Innenministeriums die Zahl der Straftaten unter Einsatz von Gegenständen in der Waffenverbotszone in Kiel von einem mittleren zweistelligen Bereich 2013 nach und nach zurückgegangen.

So seien in den Jahren 2022 und 2023 jeweils nur noch zwei Verstöße unter Einsatz von Gegenständen festgestellt worden. Wie sich die Gewalttaten ohne Einsatz von Waffen entwickelt haben in diesem Zeitraum, ist nicht bekannt.

"Effekte eher klein"

Laut Dirk Baier, Kriminologe und Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, sind die Effekte von Waffenverbotszonen differenziert zu betrachten. "Wenn sinnvoll meint, dass man effektiv und nachhaltig Kriminalität reduziert, bin ich skeptisch. Zwar zeigt die Forschung zum sogenannten Hot Spots Policing, wozu man Waffenverbotszonen zählen könnte, dass Kriminalität reduziert wird. Allerdings sind die Effekte klein."

Waffenverbotszonen könnten beispielsweise Sinn ergeben mit Blick auf das Sicherheitsgefühl, so Baier. Zudem sei die Präsenz von Polizei "hilfreich, Ängste und Unsicherheit zumindest an bestimmten Orten zu reduzieren, wie beispielsweise an Bahnhöfen oder anderen Hotspots". Baier weiter: "Von daher sollten Waffenverbotszonen durchaus einen entsprechenden Effekt haben. Daneben erleichtern sie die Tätigkeit der Polizei, indem niedrigschwelliger Personenkontrollen durchgeführt werden können."

Sicherheitsgefühl in Sachsen nicht verbessert

In Sachsen zeigte eine Befragung der Anwohner jedoch, dass die Waffenverbotszone dort keinen positiven Einfluss auf das Sicherheitsgefühl hat. Viele Befragte lehnten daher die Waffenverbotszone ab und formulierten auch Bedenken, dass diese im Kern als Instrument zur Legitimierung anlassloser Präventivkontrollen durch die Polizei genutzt worden sei. Die Waffenverbotszone in Leipzig soll aufgrund der Evaluationsergebnisse wieder abgeschafft werden.

In den anderen Bundesländern gibt es keine vergleichbaren Befragungen. Das Innenministerium in Hessen schreibt jedoch, dass die Polizisten vor Ort grundsätzlich positive Rückmeldungen über die Einführung der Waffenverbotszone erhielten, da sich die Bürger dadurch sicherer fühlten. Das gelte sowohl für Wiesbaden als auch für Limburg.

Das Innenministerium in Sachsen-Anhalt teilt mit, dass insbesondere die Kontrollmaßnahmen insgesamt zu einer Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung führe.

Sichergestellte Waffen in Verbotszonen

Die Bundesländer mit Waffenverbotszonen verweisen jedoch auch auf die konfiszierten Waffen. So wurden in Leipzig innerhalb von gut zwei Jahren (November 2018-Dezember 2020) 345 Gegenstände sichergestellt, in Hamburg seit 2019 mehr als 1.250 Messer. In Frankfurt am Main wurden seit November 2023 79 Waffen in der Verbotszone konfisziert. In Niedersachsen gab es im vergangenen Jahr in Hannover 220 Verstöße, in Osnabrück seit Einführung der Waffenverbotszone im Juni 2024 bislang zehn Verstöße. In Sachsen-Anhalt wurden in Magdeburg und Halle zwischen 2021 und 2023 insgesamt 414 Messer sichergestellt, in Nordrhein-Westfalen seit Einrichtung der Zonen in Düsseldorf und Köln 1.064 Gegenstände.

Aus Sicht des Kriminologen Baier ist das allerdings kein überzeugendes Argument für Waffenverbotszonen. "Dieser Effekt liegt in der Natur der Zonen - wenn er nicht feststellbar wäre, würde die Polizei ihre Arbeit nicht machen", sagt er. Sicherlich sei es positiv, "wenn Messer von den Straßen verschwinden". Das sollte allerdings nicht als einziges Maß der Beurteilung der Sinnhaftigkeit der Zonen herangezogen werden.

Baier warnt vor "inflationärer Einführung"

"Generell muss man sagen, dass die Zonen nicht an den zentralen Ursachen von Gewalt und Messertragen ansetzen, wie die Zugehörigkeit zu einer delinquenten Gruppe, Gewaltaffinität, positive Einstellung zu aggressiver Männlichkeit", so Beier. Deshalb sei der präventive Effekt begrenzt.

Ein Nachteil sei außerdem Racial Profiling, das heißt die rein von Äußerlichkeiten geleitete polizeiliche Kontrolltätigkeit, sagt Baier. Es sei davon auszugehen, "dass auch die Kontrolle nach Waffen von äußerlichen Merkmalen geleitet sein wird". "Gleichzeitig finde ich, dass man der Polizei nicht pauschal Rassismus in ihrem Agieren vorwerfen darf", fügt Baier hinzu. Daten, welche Nationalitäten die Menschen hatten, die in den Waffenverbotszonen kontrolliert wurden, liegen für kein einziges Bundesland vor.

Angesichts der Tatsache, dass derzeit einige Bundesländer zumindest die Grundlagen für weitere Waffenverbotszonen einführen wollen, warnt Baier vor einer "inflationären Einführung solcher Zonen". "Da die Forschung bislang zeigt, dass der kriminalpräventive Effekt eher gering ist, wäre das nicht gerechtfertigt", sagt er. Da in diesen Zonen gewisse Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen geschähen, sollten sie zurückhaltend implementiert werden. "Es sollten klare Kriterien definiert werden, wann sie eingeführt und wann sie auch wieder aufgehoben werden", sagt Baier.