Eine Drohnenaufnahme zeigt den Templeberg mit dem Felsendom (hinten), der Al-Aksa-Moschee (vorne) und der Klagemauer (links).
Kontext

Geplantes Opferritual in Jerusalem Das Spiel mit dem Feuer

Stand: 22.04.2024 07:53 Uhr

Jerusalem ist Symbolort für mehrere Weltreligionen. Mitten im Nahostkrieg heizt dort eine fundamentalistische Gruppe den Konflikt zwischen den Religionen weiter an. Was steckt dahinter?

Der Tempelberg ist der Standort der ersten beiden jüdischen Tempel. Sie wurden 586 vor Christus von Neubabyloniern beziehungsweise 70 nach Christus von den römischen Besatzern zerstört. Seitdem gibt es Bestrebungen, dort einen dritten jüdischen Tempel zu errichten - wofür die Al-Aksa-Moschee, die drittwichtigste Kultstätte des Islam, sowie der Felsendom zerstört werden müsste.

Yitzhak Pindrus, Knesset-Abgeordneter der ultraorthodoxen Regierungspartei Vereinigtes Tora-Judentum, kündigte in einem Fernsehinterview an, dass der dritte Tempel am Ort der Al-Aksa-Moschee gebaut werde.

Nun versucht eine extremistische Gruppe, diese Pläne konkret werden zu lassen. Das "Tempel-Institut" in Jerusalem hat angekündigt, zum heutigen Beginn des jüdischen Pessach-Fests eine rote Kuh am Tempelberg opfern zu dürfen. Dieses Opfer einer "fehlerlosen, einwandfreien roten Kuh, die noch nie ein Joch getragen hat", soll laut dem 4. Buch Mose die Voraussetzung für die Wiedererrichtung des jüdischen Tempels sein.

Nicht der erste Versuch

Schon mehrfach waren in den vergangenen Jahren solche Tiere speziell gezüchtet oder ausgesucht worden, ohne jedoch den Anforderungen zu genügen. Jetzt sollen, so meldeten auch US-Quellen, von christlichen Bauern in Texas aufgezogene Kühe nach Israel gebracht worden sein. Schon seit Monaten kursieren in sozialen Medien Bildern der Tiere.

Screenshot der Website von "Temple Institute"

Auf seiner Homepage präsentiert das "Tempel-Institut" angeblich bereits ausgewählte Opfertiere.

In einer Rede 100 Tage nach dem Überfall auf Israel nannte Abu Ubaida, Sprecher der radikal-islamischen Hamas-Miliz, die Ankündigung als einen der Gründe für die Attacke: Juden hätten "rote Kühe" importiert, um ihren Tempel auf dem Tempelberg errichten zu können. Dass dieser Rechtfertigung erst so spät und nach der Ankündigung des "Tempel-Instituts" erfolgte, lässt jedoch vermuten, dass die Aktion instrumentalisiert wurde.

Konkretes Datum für Opferritual genannt

In sozialen Medien wurde eine angebliche Genehmigung des Opferrituals für den 22. April veröffentlicht. Tatsächlich handelt es sich aber um den Antrag einer öffentlichen Versammlung mit 10.000 Teilnehmern, bei der unter anderem Schlachtermesser, Priestergewänder, ein Altar und ein Opfertier mitgeführt werden sollen.

Die tatsächliche Genehmigung einer solchen Demonstration ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Allerdings kursiert in sozialen Medien ein angeblich von der Hamas stammender Aufruf an alle Palästinenser, sich an der Al-Aksa-Moschee zu versammeln und diese gegen eine "Entweihung" durch das "Tempel-Institut" zu verteidigen.

Problematische Interpretation von Talmud und Bibel

Aus jüdisch-theologischer Sicht ist die Aktion kaum zu rechtfertigen, meint der Judaist und Journalist Eik Dödtmann im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder. "Das nach der zweiten Tempelzerstörung entstandene rabbinische Judentum hatte nie die Absicht, zu einer Tempelkult-Religion zurückzukehren." Erst die Verbindung von jüdischem Nationalismus, angestrebter staatlicher Souveränität Israels über ganz Jerusalem und die Herausbildung eines messianischen, militanten, nationalreligiösen jüdischen Fundamentalismus habe die Option einer Wiedererrichtung des jüdischen Tempels denkbar und letztendlich auch praktisch umsetzbar gemacht.

Dödtmann befürchtet für den Fall, dass das "Tempel-Institut" sein Ritual durchführt, das Schlimmste, nämlich "eine Ausweitung des aktuellen Flächenbrandes im Nahen Osten auf die gesamte muslimische Welt". Die von den Protagonisten des "Tempel-Instituts" angestrebte Zerstörung von Al-Aksa-Moschee und Felsendom hätte mutmaßlich eine fürchterliche Welle von Gewalt - Terrorattentate, kriegerische Auseinandersetzungen - zur Folge.

Fundamentalistische Christen zündeln mit

Dabei spielen auch christliche Zionisten eine wichtige Rolle. Diese arbeiteten aktiv auf ein apokalyptisches Szenario hin, sagt Dödtmann. So würden unter anderem US-Evangelikale massiv die Bemühungen des "Tempel-Instituts" unterstützen und dafür spenden - unter ihnen die republikanische US-Abgeordnete Marjorie Taylor Greene.

Die strategische Koalition zwischen Evangelikalen einerseits und orthodoxen jüdischen Gruppen andererseits sei dabei theologisch paradox, meint Dödtmann: "Die Juden sollen nur benutzt werden, die endzeitliche Entscheidungsschlacht, die Wiederkehr des christlichen Messias Jesus Christus und den Tag des Jüngsten Gerichts herbeizuführen und dann selbst zum Christentum konvertieren oder vernichtet werden."

Religionsführer warnen

Mehrere hochrangige Religionsführer haben eine Petition gegen das Vorhaben des "Tempel-Insituts" verfasst: Zu den Unterzeichnern gehören der ehemalige Patriarch Erzbischof Michel Sabbah, Jerusalems Weihbischof William Shomali, der frühere Weltkirchenratspräsident Olav Fykse Tweit und der aus Jerusalem stammende Ex-Präsident des Lutherischen Weltbundes, Munib Younan.

"Als Christen aus dem Heiligen Land und anderen Teilen der Welt bringen wir gemeinsam unsere Besorgnis, Bestürzung und Verurteilung über die Bemühungen der christlichen Zionisten zum Ausdruck, noch mehr Leid und Schmerz über Jerusalem zu bringen", heißt es darin. Als religiöse Führer würden sie bedauern, dass in der Beziehung zwischen dem "Tempel-Institut" und seinen christlich-zionistischen Unterstützern zynische Eigeninteressen eine Rolle spielten, so die Unterzeichner. "Wir lehnen jeden Versuch, Jerusalem zu einem apokalyptischen Spielplatz zu machen, aufs Schärfste ab."  

Mit Informationen von Susanne Drost, ARD-Studio Tel Aviv