Geplante Priorisierung Falsche Behauptungen zu PCR-Tests
Die bevorstehende Priorisierung der PCR-Tests sorgt für Diskussionen: Bei Vergleichen mit Österreich werden zahlreiche Falschbehauptungen aufgestellt. Zudem ist der Nutzen von sehr vielen PCR-Tests umstritten.
Seit die Bund-Länder-Runde beschlossen hat, PCR-Tests in Deutschland zukünftig zu priorisieren, ist ein heftiger Streit entbrannt: Einzelne Gruppen wie zum Beispiel Lehrerinnen und Erzieher fühlen sich übergangen, völlig unklar ist zudem bislang, wie die Regeln umgesetzt werden sollen.
Auch das Bundesgesundheitsministerium konnte dem ARD-faktenfinder dazu bislang keine Auskunft geben. Auf Anfrage hieß es, man könne "zum jetzigen Stand keine Details nennen". Es gehe aber "nicht darum, den Anspruch einzuschränken, sondern die Testdurchführung zu priorisieren, wenn die Kapazitätsgrenzen erreicht werden sollten. Es besteht daher kein Anlass beunruhigt zu sein", so das Ministerium.
Im Ausland wird zum Teil anders getestet
Währenddessen gehen andere Länder einen anderen Weg: Insbesondere Österreich steht dabei im Fokus, denn in der Landeshauptstadt Wien können sich alle Bürgerinnen und Bürger täglich kostenlos mit PCR testen lassen.
Dabei werden die Gurgeltests der Teilnehmer zunächst "gepoolt" - das heißt es werden zunächst zehn Proben zusammengeschüttet, wobei eine Rückstellmenge behalten wird. Dann wird ein PCR-Test durchgeführt. Nur wenn dieser positiv ausfällt, werden die jeweiligen Proben auch noch einmal einzeln untersucht, um festzustellen, wer genau positiv ist.
Zahlreiche Falschbehauptungen aus Deutschland
Die Wiener Publizistin Natascha Strobl sammelte auf Twitter Falschaussagen deutscher Politiker, Behördensprecher und Medienvertreter:
So behauptete Hamburgs Erster Bürgermeister, Peter Tschentscher, im NDR, in Wien würde "PCR-Diagnostik nicht über die professionellen Labore, sondern über Drogerien und ähnliche Anbieter" organisiert. Dies sei aufgrund der strengen deutschen Regulierung nicht möglich. Doch diese Aussage ist falsch: Zwar können die PCR-Tests unter anderem in Supermärkten und Drogerien abgegeben werden, sie werden aber genauso professionell in einem Labor untersucht wie hierzulande. Das niedrigschwellige Angebot gilt als vorbildlich.
Auch im öffentlich-rechtlichen Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix berichtete Moderator Erhard Scherfer, die Wiener PCR-Tests würden "nicht in Laboren, sondern auf andere, etwas einfachere Art untersucht" und seien "eine Mischung zwischen Schnelltest und PCR-Test". Auch diese Behauptung ist nachweislich falsch. Scherfer bedankte sich auf Twitter für den Hinweis und sagte, er werde zukünftig immer zwei Quellen nutzen, es sei ihm "eine Lehre".
Scherfers Quelle allerdings war seriös, irrte aber trotzdem: Denn der Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Laborärzte, Andreas Bobrowski, hatte dem "Tagesspiegel" gesagt, es handle sich "in Wien lediglich um sogenannte Point-Of-Care-Tests (POC), die nicht in Laboren, sondern gleich vor Ort maschinell ausgewertet" würden. "Die damit erzielten Ergebnisse seien deutlich unzuverlässiger, ihre Genauigkeit irgendwo zwischen Schnelltests und echten PCR-Tests", zitierte die Zeitung Bobrowski. Doch die Gurgeltests sind keine POC-Tests, sondern gehen ins Labor.
Als der Freie Journalist Tilo Jung auf der Bundespressekonferenz den Sprecher des Gesundheitsministeriums Oliver Ewald zum Thema befragte, antwortete dieser, die "PCR-Lollitests in Österreich" hätten "keine ausreichende Aussagekraft" und seien daher "für Deutschland nicht vorgesehen". Auch diese Aussage ist wissenschaftlich nicht haltbar. Zwar ist die Sensitivität von Pool-Tests laut Studien geringfügig vermindert, die Ergebnisse aber durchaus zuverlässig verwertbar. Zudem handelt es sich in Wien nicht um Lolli-, sondern Gurgeltests.
Äpfel und Birnen-Vergleiche?
Umgekehrt ist es allerdings auch fragwürdig, die Anzahl gepoolter PCR-Tests einfach mit der Anzahl individueller Tests zu vergleichen. So gab beispielsweise das Magazin "Katapult" auf Twitter die tägliche Testkapazität von Wien mit 800.000 an, während es in Deutschland nur 394.000 seien. Zudem seien die Tests in Wien kostenlos, während sie in Deutschland 49 bis 69 Euro kosteten.
Dieser Vergleich hinkt allerdings insofern, als dass in Wien eben nicht 800.000 einzelne PCR-Tests durchgeführt werden, sondern immer zehn Proben gleichzeitig. Auf diese Weise können zwar theoretisch bis zu 800.000 Menschen getestet werden - allerdings nur, solange die Positivquote nicht zu stark hochschnellt. Denn wenn zu viele der Pools positiv sind, müssen entsprechend viele Einzel-Nachtestungen gemacht werden. So wurden laut dem Wiener Magazin "Falter", das im Dezember ausführlich über die Auswertung der Gurgel-Tests berichtet hatte, die Pools zeitweise auf fünf verkleinert, um nicht zu oft nachtesten zu müssen. Das wiederum begrenzt aber die Kapazität.
Auch was die Kosten angeht, werden zum Teil falsche Zahlen verglichen. So zahlen die Wiener zwar nicht individuell für ihren Test, sehr wohl aber der Staat - und damit die Steuerzahler. Wer einen positiven Schnelltest oder Symptome hat, wird auch in Deutschland kostenlos PCR-getestet.
Der Wiener Anbieter "Lead Horizon" berechnet sechs Euro pro Probe. Das heißt, jeder Pool mit zehn Proben kostet 60 Euro. In Deutschland erhalten die Labore von den Krankenkassen für jeden PCR-Test 35 Euro. Der labortechnische Aufwand für einen Pooltest ist allerdings auch etwas höher. Aus Sicht des Labors rechnen sich die Pooltests also ebenfalls vor allem dann, wenn es nicht zu massenhafter Nachtestung positiver Pools kommt.
Labore verteidigen deutsches Modell
Der Vorsitzende der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) in Deutschland, Michael Müller, weist im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder darauf hin, dass die deutschen Labore ihre Kapazitäten im Sommer aufrechterhalten hätten, als sie kaum genutzt wurden. Wenn die Politik höhere Kapazitäten wolle, müsse sie bei der Finanzierung mit ins Risiko gehen für den Fall, dass die dann aufgebauten Kapazitäten nicht genutzt werden. Zudem seien die für den Ausbau notwendigen Fachkräfte schlicht "nicht so leicht verfügbar".
Müller bemerkt zudem, dass der Nutzen fragwürdig sei: "Die gemessenen Inzidenzen in Österreich liegen im Bereich von Deutschland oder höher und verlaufen in Wien parallel zum Rest des Landes - aktuell sogar deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Ich sollte mich also fragen, was erreiche ich also durch die kostenintensiven Kapazitäten und brauchen wir diese in Deutschland wirklich", so Müller.
Ähnlich wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hält auch Müller die in Deutschland weit verbreiteten Antigen-Schnelltests für ein durchaus geeignetes Mittel - vor allem in Zeiten hoher Inzidenz. "Wir bestätigen zurzeit etwa 85 Prozent aller positiven Schnelltests mit PCR, was aufgrund des Infektionsgeschehens mit vielen infizierten Personen auch zu erwarten ist", so Müller. Im Sommer, bei geringer Verbreitung des Virus, habe diese Zahl deutlich niedriger gelegen. "Das heißt, wer sich derzeit mit einem Schnelltest positiv testet, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich positiv." Das hatte auch Lauterbach vertreten.
Wie aussagekräftig ist die Inzidenz in Zukunft?
Sorge bereitet indes, wie aussagekräftig die Inzidenz zukünftig gemessen werden kann. Der Datenjournalist Claus Hesseling, der für den NDR Corona-Zahlen auswertet, machte darauf am Dienstag aufmerksam: "Wenn nur noch bestimmte Gruppen einen PCR-Test bekommen, bedeutet das, dass die Inzidenzkurven den Verlauf der Pandemie sehr stark unterschätzen werden", so Hesseling.
Das Bundesgesundheitsministerium konnte auch zu der Frage, wie die Inzidenz in Zukunft genau bestimmt werden solle, dem ARD-faktenfinder bislang keine Auskunft erteilen.