Fragwürdiges Angebot "Schwerhörigenausweise" gegen Maskenpflicht?
Das Infektionsschutzgesetz sieht für den Herbst die Möglichkeit vor, Maskenpflichten einzuführen. Im Internet bestellbare Ausweise sollen es ermöglichen, diese zu umgehen - sind dafür aber laut Gesundheitsministerium nutzlos.
"Befrei Dich von der Maskenpflicht", das verspricht ein Internetportal. Der angebliche Trick: Laut Infektionsschutzgesetz sind gehörlose und schwerhörige Menschen und Personen, die mit ihnen kommunizieren, sowie ihre Begleitpersonen von der bundesweit geltenden Maskenpflicht ausgenommen.
Die Kunden des Webportals bräuchten lediglich selbst eine Schwerhörigkeit attestiert bekommen, die laut dem Anbieter "faktisch bei fast jedem Jugendlichen und Erwachsenen vorliege". Dann erhalten sie gegen Bezahlung einen offiziell aussehenden "Schwerhörigenausweis" mit einem Logo, das dem der Bundesministerien nachempfunden ist und Kontrolleuren die Entbindung von der Maskenpflicht nachweisen soll. Laut der Website sei jemand schon bei einem Prozent der Reduzierung der Hörleistung schwerhörig.
Ministerium widerspricht
Dies ist jedoch laut Bundesgesundheitsministerium nicht der Fall: "Die Ausnahme dient dazu, die Verhältnismäßigkeit von grundrechtseinschränkenden Regelungen zu wahren, da den eingeschränkten Personen das Tragen einer Maske nicht zugemutet werden kann", teilt ein Sprecher gegenüber dem ARD-faktenfinder mit. "Darunter fallen Personen nicht, die nur eine geringfügige Beeinträchtigung des Gehörs haben, da diesen das Tragen einer Maske zugemutet werden kann." Ein von einem privaten Unternehmen ausgestellter Ausweis sei daher rechtlich nicht maßgeblich für die Freistellung von der Maskenpflicht, so der Sprecher.
Markus Bönig, Geschäftsführer der Stiftung, dem das Unternehmen hinter dem Angebot gehört, widerspricht dem: "Welche Meinungen die Exekutiven oder Ministerien zur Gesetzesauslegung oder -anwendung haben, ist interessant, aber nicht unbedingt maßgeblich", teilt er dem ARD-Faktenfinder mit. "Ein Grad der Schwerhörigkeit wird im Gesetzestext nicht festgelegt. Auch wird ein ärztliches Attest hierüber nicht verlangt. Es bleibt jedem selbst überlassen, diesen Umstand bei sich zu prüfen und festzustellen." Die Frage, ob der Anbieter gegebenenfalls die möglichen zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen sowie Kosten übernehme, die aus der Verwendung eines solchen Ausweises resultieren könnten, beantwortet Bönig nicht.
Schwerhörigenverbände protestieren
Kritik gibt es von den Vertretern der tatsächlich von Schwerhörigkeit Betroffenen: "Die Befreiung von der Maskenpflicht für den relevanten Personenkreis sei ein großer Erfolg der Verbände für Menschen mit Hörbehinderungen, da diesen ansonsten keine Kommunikation in der Öffentlichkeit mehr möglich war", sagt Jens Handler von der Deutschen Gesellschaft der Hörbehinderten dem ARD-Faktenfinder.
Dieser werde nun jedoch durch solche Angebote nachhaltig gefährdet: "Als die ersten Diskussionen um gefälschte Maskenbefreiungen, später um gefälschte Impfausweise publik wurden, wurde ein starker Anstieg an Diskriminierungserfahrungen für tatsächlich betroffene Personengruppen schnell sichtbar", so Handler. Dass durch Fälschungen gewachsene Misstrauen führte dazu, dass vielen selbst mit Zertifikat kein Glauben mehr geschenkt worden sei. "Vielen Menschen wurde daher der Zugang beim Einkauf verwehrt oder sie wurden in der Öffentlichkeit verbal oder körperlich attackiert."
Weitere Diskriminierung befürchtet
Das Online-Angebot habe das Potential, spezifisch Menschen mit Hörbeeinträchtigungen gegenüber Misstrauen zu schüren und ihnen eine berechtigte Befreiung der Maskenpflicht zu erschweren oder abzusprechen, sagt Handler. "Wir hoffen, dass die Ausweise bei möglichen Kontrollen keine Wirkung zeigen und damit auch kaum Auswirkung auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von Menschen mit Hörbehinderungen haben werden."
Ähnlich äußert sich Annalea Schröder von der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft gegenüber dem ARD-Faktenfinder. Das Angebot torpediere "unsere Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit, in dem sie unseriöse 'Ausweise' verkaufen, die das Blatt Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen." Kämen solche Ausweise vermehrt zum Einsatz, könne in der Gesellschaft schnell der Eindruck entstehen, dass eine Hörbehinderung einfach als "Ausrede" verwendet werde, selbst keine Maske zu tragen, so Schröder. "Dies ist für Menschen, die darauf angewiesen sind, dass in der Kommunikation mit ihnen die Maske abgenommen wird, fatal."
Nicht das erste problematische Angebot
Der Macher der Internet-Seite ist kein Unbekannter: Er bot bereits obskure Corona-Test- und Impfunfähigkeitsbescheinigungen an. Die Werbung für die angeblichen Impfunfähigkeitsbescheinigungen wurde ihm nun durch ein Urteil des Landgerichts Stade untersagt. Da gegen das Urteil Berufung eingelegt wurde, ist es noch nicht rechtskräftig.
Denjenigen, die eine solche Impfunfähigkeitsbescheinigung bezogen haben, drohen indes mögliche juristische Probleme, sofern sie diese ihrem Arbeitgeber vorgelegt haben. In einem ersten Fall entschied das Arbeitsgericht Lübeck, dass ein solches Vorgehen eine fristlose Kündigung rechtfertigt.
Dort hatte eine Krankenschwester geklagt, die so ihren Arbeitsplatz verloren hatte. Das Gericht gab dem Arbeitgeber Recht: Die Klägerin habe die angebliche Impfunfähigkeitsbescheinigung aus dem Internet heruntergeladen und gewusst, dass die darin enthaltenen Eintragungen tatsächlich nicht auf einer ärztlichen Begutachtung, weder persönlich noch virtuell, beruhen. Somit habe sie ihren Arbeitgeber über ihre Impfunfähigkeit getäuscht, hieß es in der Begründung. Eine Anfrage des ARD-faktenfinders über das Amtsgericht an die Anwälte der Klägerin blieb unbeantwortet.
In drei weiteren Verfahren vor anderen Kammern hätten drei Klägerinnen gewonnen, in einem weiteren der Kläger sich "auskömmlich verglichen", so Bönig. In den streitig entschiedenen Verfahren sei Berufung eingelegt worden.
Unternehmen operiert aus dem Ausland
Bönig betont zwar, dass seine Angebote legal seien - allerdings hat er in den vergangenen Monaten immer wieder die Namen seiner Firmen und Webangebote geändert. Der Verkauf der "Impfunfähigkeitsbescheinigungen" und der "Schwerhörigenausweise" erfolgen nunmehr über eine niederländische Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Alleiniger Besitzer des Unternehmerns ist eine Stiftung, deren Direktor Bönig ist. In einem Interview mit den Internet-Sender "AUF1" sagt er, dass dies geschehe, um eine seiner Ansicht nach ungerechtfertigte, aber mögliche Strafverfolgung zu erschweren.