"Extinction Rebellion" Warum der Protest ins Leere lief
Eine Woche lang hat "Extinction Rebellion" in Deutschland den friedlichen Aufstand geprobt. Der Erfolg war überschaubar. Was braucht es für eine erfolgreiche Protestbewegung?
Eine Woche lang wollte die Umweltbewegung "Extinction Rebellion" mit Blockaden den Alltag in Berlin und anderen europäischen Städten durcheinander bringen. Erklärtes Ziel war es, ihren umweltpolitischen Forderungen Aufmerksamkeit zu verschaffen und diese durchzusetzen. Dazu zählt die Ausrufung des Klimanotstandes durch die Bundesregierung.
Eine Sprecherin der Bewegung zeigte sich nach der Woche enttäuscht darüber, dass die Bundesregierung nicht auf die Forderungen einging. Doch sei es gelungen, viele Bürger für das Thema zu sensibilisieren.
Wenn das Ziel die Durchsetzung politischer Forderungen ist, stellt sich die Frage, ob "Extinction Rebellion" dafür die passenden Methoden nutzt. Soziale Bewegungen können politische Forderungen am ehesten durchsetzen, wenn sie breite Unterstützung in der Bevölkerung finden.
Die Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth gibt einen Richtwert von 3,5 Prozent aktiver Teilnehmer aus der Bevölkerung an. Von ihr ließ sich "Extinction Rebellion" in Großbritannien inspirieren.
Die Forscherin von der Harvard University beschäftigt sich seit Jahren mit Protestbewegungen und kam zu der Erkenntnis, dass gewaltfreie Methoden am ehesten geeignet sind, viele Menschen zur Teilnahme zu motivieren. Ebenso wirbt der serbische Aktivist Srdja Popovic, in den 1990er-Jahren einer der Anführer der Bewegung "Otpor" gegen Slobodan Milosevic, für gewaltfreie Methoden.
Blockieren, aber auf nette Weise
Dem will der deutsche Ableger von "Extinction Rebellion" folgen: Gewaltfreie Methoden werden als "effektivstes Mittel" angeführt, um Veränderungen herbeizuführen. Offen bleibt jedoch, was als gewaltfrei gilt und mit welchen Methoden zugleich aber möglichst viel Aufmerksamkeit und Druck erzeugt werden kann.
Die deutschen Aktivisten von "Extinction Rebellion" versuchen es damit, Protestaktionen mit den Behörden abzustimmen. So blockierten sie am 7. Oktober den Potsdamer Platz in Berlin, kündigten dies aber im Vorfeld an und blieben in Kontakt mit der Polizei. Als diese mit der Räumung der Sitzblockade begann, ließen sich die Demonstranten von den Beamten durch eine Gasse aus applaudierenden Zuschauern wegtragen. Sie gaben bereitwillig ihre Daten heraus und nahmen Ordnungsstrafen in Kauf.
Die Demonstranten ließen sich vom Potsdamer Platz tragen.
Diese Art der Kooperation mit der Polizei brachte "Extinction Rebellion" den Vorwurf ein, sie habe einen "absurden, staatsgläubigen Gewaltbegriff", wie es die Chefin der Partei Ökolinx, Jutta Ditfurth, formulierte. Sie stieß sich auch daran, dass Aktivisten von "Extinction Rebellion" eine Sitzblockade in Hamburg verließen, als andere Teilnehmer "Fuck the Police" riefen.
Die interessantere Frage ist jedoch, was "Extinction Rebellion" mit der Aktionswoche letztlich erreicht hat. Die Teilnehmerzahl in Berlin blieb überschaubar. Viele Menschen in der Stadt waren eher frustriert über die zusätzlichen Umwege, die sie in Kauf nehmen mussten.
Die Bundesregierung, das erklärte Ziel der Aktionen, ließ sich von den Protesten am Bundesumweltministerium unweit des Potsdamer Platzes oder dem Protestcamp neben dem Bundeskanzleramt nicht dazu bewegen, das gerade beschlossene Klimapaket zu erweitern.
Performance in Blutrot
Gelungen ist es, breite Aufmerksamkeit in Medien und Öffentlichkeit zu finden. Manche Aktionen sorgen jedoch für Irritationen. Dazu zählen die "Red Rebel Brigades" in blutroten Kleidern, Kopftüchern und weißgeschminkten Gesichtern mit ihren pantomimischen Darbietungen. Inspiriert werden sie von einer Straßenkunst-Gruppe aus Bristol. Das Rot soll das Blut symbolisieren, das die Menschen mit allen Lebewesen teilten.
Die "Red Rebels"
Daneben schienen Gruppen, die Songs von "Bella Ciao" bis "We are the Champions" umdichteten oder gemeinsam meditierten, Beschreibungen einer spirituellen Vereinigung oder gar einer "esoterischen Sekte" nahe zu kommen.
Allerdings weisen dies Teilnehmer wie Franziska Fletemeyer zurück. Die junge Aktivistin aus Freiburg kann in ihrer Ortsgruppe keine Sektenstrukturen erkennen. Im Gegenteil, sagt sie, es gebe keine Anführer. Zu den Treffen kämen Menschen aus allen Altersgruppen, deren gemeinsame Sorge der Klimawandel und die Zerstörung der Natur sei.
Der offene Austausch über Ängste vor dem "drohenden Klimakollaps" und "dem massiven Massensterben" scheint einen Nerv in der Bevölkerung zu treffen, wie die schnell gewachsene Zahl an Ortsgruppen bundesweit zeigt.
Angreifbar durch Offenheit
Die dezentrale Struktur und die Offenheit für alle, die mit den in zehn Punkten zusammengefassten Werten und Prinzipien übereinstimmen, veranlassen Kritiker auch zu Warnungen. So sieht der CDU-Politiker Ruprecht Polenz bei "Extinction Rebellion" größere Ziele als den Klimaschutz: "Unser System (Demokratie) soll grundlegend verändert werden. Bei ähnlicher Sprache der AfD werden wir hellhörig."
Polenz erhielt jedoch zahlreiche Reaktionen auf seinen Tweet mit dem Verweis auf Punkt 6 in der Liste der Prinzipien und Werte, wo es heißt: "Alle sind willkommen - so wie sie sind". In der Erläuterung werden jedoch alle Formen von Diskriminierung und Gewalt ausgeschlossen. Außerdem ist viel von Achtsamkeit untereinander die Rede. Fraglich, ob sich Rechtsradikale in so einer Atmosphäre wohl fühlen würden.
Radikal in Großbritannien
Der Vorwurf der Demokratiefeindlichkeit entzündet sich allerdings auch an Aussagen eines der Gründer in Großbritannien, Roger Hallam. In einem "Spiegel"-Interview sagte er:
"Umweltschutz ist größer als die Demokratie, oder wie auch immer sie das beschreiben, was derzeit noch davon übrig ist. Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird Demokratie irrelevant. Dann kann es nur noch direkte Aktionen geben, die das stoppen."
Gemünzt war dies offenbar auf den Zustand der Demokratie in Großbritannien, wo allein das politische Vorgehen beim Brexit Schwächen im demokratischen System offenlegt. Der Vater von Premierminister Boris Johnson nannte die Proteste "extrem wichtig". Vor Anhängern der Bewegung sagte der Ex-Abgeordnete des Europaparlaments, Großbritannien gehe beim Thema Klimawandel zu langsam vor.
In London gehen die Protestaktionen in die zweite Woche.
Im Gründungsland von "Extinction Rebellion" finden sich viele Unzufriedene, die zu immer neuen und auch radikaleren Aktionen bereit sind, die Festnahmen nach sich ziehen. Auch nachdem die Polizei ein Verbot von Aktionen in London erklärten, setzten Aktivisten ihren Protest fort.
Wie groß ist die Unzufriedenheit?
Angesprochen auf die Aktionen in Großbritannien und Hallam verweisen Anhänger der Bewegung in Deutschland auf eine Aussage auf der deutschen Website, wonach "Extinction Rebellion Deutschland" lediglich inspiriert sei von der Schwesterbewegung in Großbritannien.
Bleibt die Frage, ob der Name "Extinction Rebellion" zusammen mit der Weltuntergangsrhetorik und den Blockadeaktionen nicht zu radikal sind, um breite Teile der Bevölkerung zum Mitmachen zu animieren. "Fridays for Future" mit seinem optimistischen Motto und den Demonstrationen zog hingegen allein am 20. September in Berlin etwa 100.000 Menschen an.
Weiterer Zulauf zu "Extinction Rebellion" wäre dann denkbar, wenn mehr Menschen zu der Ansicht kämen, dass freitägliche Massendemonstrationen zu wenig bewirken und wenn das Vertrauen in die Politik weiter sinken würde.