Mehr als 70 Wahlen im Jahr 2024 Welchen Einfluss hat KI auf das Superwahljahr?
Im kommenden Jahr finden weltweit mehr als 70 Wahlen statt - unter anderem die US-Präsidentenwahl und die Europawahl. Eine große Sorge dabei ist der Einsatz von KI zur Desinformation und Wählerbeeinflussung.
Bilder, Videos, Sprachnachrichten: In den vergangenen Monaten machten immer wieder KI-generierte Inhalte die Runde und sorgten für Aufsehen. Einmal wurde beispielsweise Bildmaterial von der angeblichen Verhaftung des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump verbreitet, auch im Krieg in Nahost stellten sich mehrere Bilder im Nachhinein als KI-generiert heraus.
Über die Chancen und Risiken von KI wird daher in der Politik hitzig diskutiert - vor allem mit Blick auf die weltweit mehr als 70 Wahlen im kommenden Jahr - darunter viele wegweisende wie die US-Präsidentenwahl und die Europawahl. Die EU beispielsweise will schärfere Regeln für den Einsatz von KI, einige Verbände hingegen warnen vor Überregulierung. Auch in der deutschen Bevölkerung sieht einer Umfrage zufolge etwa die Hälfte in KI-Anwendungen eine Gefahr für die Demokratie - beispielsweise durch die Verbreitung von Falschmeldungen.
Bereits in diesem Jahr hat es unter anderem vor der Wahl in der Slowakei ein KI-generiertes Audio gegeben, das die Wahlentscheidung einiger Menschen beeinflusst haben könnte. In dem Audio, das unter anderem auf Facebook kursierte, waren die Stimmen einer Parteivorsitzenden und einer Journalistin zu hören, wie sie sich über die Manipulation der anstehenden Wahl unterhielten. Dass das Audio ein sogenannter Deepfake war, war für die Nutzer dabei nicht ersichtlich.
"Risiken für die Meinungsbildung"
"Risiken birgt KI vor allem für die Meinungsbildung vor Wahlen", sagt Christoph Bieber, Politikwissenschaftler am Center for Advanced Internet Studies (CAIS) in Bochum. "Allerdings stehen wir noch ganz am Anfang der Forschung und können daher nur erahnen, in welche Richtung die Entwicklung geht." Neben gezielter Desinformation, die von politischen aber auch anderen Interessengruppen verbreitet werden kann, ist der Einsatz von KI jedoch mit Blick auf Wahlen auch für ganz andere Zwecke denkbar.
In den sozialen Netzwerken sind hinsichtlich einer möglichen Wählerbeeinflussung beispielsweise sogenannte Social Bots eine Gefahr. Social Bots sind Fake-Accounts, die von KI-Systemen betrieben werden und Inhalte beispielsweise durch Likes oder andere Interaktionen für den Algorithmus interessanter machen, um dadurch die Reichweite zu erhöhen. Für Nutzer ist das oftmals nicht ersichtlich, so dass bei ihnen der Eindruck entsteht, bestimmte Positionen seien zumindest im Netz populärer als andere.
Für Politiker wären auch personalisierte Chatbots denkbar, um mit potenziellen Wählern zu interagieren. In Miami im US-Bundesstaat Florida hat der Bürgermeister Francis Suarez einen KI-betriebenen Chatbot erstellen lassen, der Fragen über ihn beantworten soll. Allerdings werden die User-Fragen meist nicht direkt beantwortet, sondern ihnen werden je nach Themengebiet bestimmte Videos von Suarez gezeigt. Dennoch könnten ähnliche Modelle zukünftig für die Wählerbindung aus Sicht von Experten eine größere Rolle spielen.
Auch Parteien in Deutschland nutzen KI
Auch in Deutschland nutzen die großen Parteien KI bereits für politische Kampagnen, sagt Katja Muñoz, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Bereits bei der vergangenen Bundestagswahl nutzten die meisten Parteien demnach beispielsweise KI-basierte Kommunikationssysteme. Die CDU hatte zudem eine Wahlkampf-App, um Daten zu Haustürgesprächen und potenziellen Unterstützern auszuwerten.
Durch solche Maßnahmen soll der Wahlkampf effektiver gestaltet werden. Mithilfe von KI können die Wahlkampfhelfer beispielsweise gezielt die Haushalte ansprechen, die noch unentschlossen sind. Oder eine Partei könnte in engen Rennen zwischen Direktkandidaten gezielt in den Orten mehr für Wahlwerbung investieren. Eine IT-Expertin hatte damals jedoch eine Sicherheitslücke der App öffentlich gemacht, woraufhin die CDU sie offline nahm.
Insgesamt seien die deutschen Parteien im internationalen Vergleich jedoch eher zurückhaltend, was den konzertierten Einsatz von KI angehe, sagt Bieber. "Die Parteien verfügen noch nicht wirklich über gute Daten über die eigene Organisation und ihre Wähler. Und das macht dann den Einsatz von KI-Anwendungen für eigene Zwecke nicht einfacher." Denn erst wenn eine Partei fundierte Daten besitze, könne sie den Wahlkampf gezielt auf einzelne Gruppen zuschneiden. In Deutschland sei das jedoch aufgrund des höheren Datenschutzes ohnehin schwieriger als in anderen Ländern.
Mit Blick auf die Zukunft fordert Bieber, dass die Parteien sich beim Thema KI auf gemeinsame Richtlinien einigten. "Gut wäre es, wenn die Parteien sich auch ein bisschen selbst beschränken würden. Aber das ist bislang nicht passiert." Zudem fordert Bieber mehr Transparenz von den Parteien darüber, für welche Zwecke sie KI einsetzen.
Kann KI bei der Wahlentscheidung helfen?
Neben den Möglichkeiten für politische Parteien sehen Experten jedoch auch Chancen für die Wähler durch den Einsatz von KI. Denn durch KI-basierte Wahlempfehlungs-Apps oder auch Bots könne auch die Bevölkerung von der Entwicklung profitieren. "Bürger und Bürgerinnen können sich natürlich mit KI-Tools vielleicht besser informieren über die politischen Akteure oder ihre eigene Wahlentscheidung besser vorbereiten", sagt Muñoz. "Also diese Formen der Wähler-Selbstinformation sind auf jeden Fall auch gegeben."
Allerdings müssten bis dahin die KI-Systeme noch weiter optimiert werden. Beispielsweise hatte die Nichtregierungsorganisation Algorithmwatch KI-gestützte Chatmodelle vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen getestet. Dabei lieferten die Chatbots teilweise vollkommen falsche Antworten auf die Frage nach den Kandidaten der verschiedenen Parteien. Laut Algorithmwatch ein Problem, das bei Chatbots bekannt ist, da diese lediglich Wahrscheinlichkeiten errechnen, nach denen sie die Wörter aneinanderreihen - ob wahr oder nicht. Fehlerhafte Daten können ebenfalls für falsche Antworten sorgen.
Auch wenn momentan noch nicht genau abzuschätzen sei, wie genau KI bei den vielen anstehenden Wahlen kommendes Jahr genutzt werde - verschwinden werde das Thema so schnell nicht, sagt Muñoz. "Die Transformation ist da, ob wir wollen oder nicht. Die Technologie ist in stetiger Entwicklung." Man müsse sie daher konstant beobachten, um zu sehen, wie KI einen Bereich komplett umkrempeln könnte, um nicht komplett überrascht zu werden.