Homöopathische Mittel in Glasfläschchen und Dosen mit individueller Beschriftung stehen auf einem Tisch.
interview

Kassenleistung Homöopathie "Kostenübernahme ist eine Art Ritterschlag"

Stand: 15.01.2024 10:08 Uhr

Der Wissenschaftler Mukerji beschäftigt sich seit Jahren mit der Homöopathie. Im Interview begrüßt er die Pläne, die Kostenübernahme für Homöopathie zu streichen. Bislang werde der Pseudowissenschaft dadurch der Anschein von Seriosität verliehen.

tagesschau.de: Was haben Sie gegen die Homöopathie, Herr Mukerji?

Nikil Mukerji: In der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) ist die Homöopathie schon lange ein Thema. Dort stufen wir sie als Pseudowissenschaft ein. Sie geriert sich als Wissenschaft. Tatsächlich widerspricht sie aber den bekannten Naturgesetzen und eine Wirkung über Kontexteffekte - insbesondere Placeboeffekte - wurde nie belastbar nachgewiesen.

tagesschau.de: Und doch greifen viele Menschen in Deutschland zu homöopathischen Mitteln, wenn sie krank sind.

Mukerji: Hier hat die bisherige Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen meines Erachtens eine große Rolle gespielt. Für homöopathische Mittel war das eine Art Rittenschlag und gab der Homöopathie-Branche lange Zeit einen Anschein von Seriosität. Im internationalen Vergleich haben wir uns als Land damit aber zur Lachnummer gemacht. Denn kein anderes Land leistet sich noch eine solche Irrationalität.

Nikil Mukerji
Zur Person

Nikil Mukerji ist Vorsitzender des Wissenschaftsrats der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und Fellow des Committee for Skeptical Inquiry (CSI) in Amherst (New York). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören insbesondere die Pseudo- und Parawissenschaften.

tagesschau.de: Befürworter der Homöopathie verweisen auf Studien, denen zufolge eine Wirkung auch über den Placeboeffekt hinaus zu erkennen sei. Auch in einigen Metastudien heißt es, eine Wirkung könne zumindest nicht ausgeschlossen werden.

Mukerji: Streng genommen kann man auch nur logische und mathematische Unmöglichkeiten ausschließen. Ich kann zum Beispiel nicht ausschließen, dass Sie plötzlich verschwinden, wenn ich meine Augen schließe. Dennoch glaube ich nicht daran.

tagesschau.de: Aber wie erklären Sie positive Studienergebnisse für die Homöopathie?

Mukerji: Zum einen ist die Studienqualität entscheidend. Wenn die zu gering ist, sollte man die jeweilige Studie ignorieren. Zudem können auch hochwertige Studien einen Effekt suggerieren, ohne dass er real vorliegt. Denn jede Studie hat eine Fehlerwahrscheinlichkeit, die durch den sogenannten p-Wert gemessen wird. Der darf höchstens bei 0,05 liegen. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass der gemessene Effekt eines homöopathischen Mittels sich nur mit höchstens fünf Prozent durch Zufall erklären lässt. Das Problem: Macht man mit einer wirkungslosen Substanz genug Studien, dann ist praktisch sichergestellt, dass man irgendwann eine vermeintliche Wirkung feststellt.

tagesschau.de: Welche Rolle spielt der sogenannte Publikationsbias in der Wissenschaft?

Mukerji: Studien mit überraschenden oder aufsehenerregenden Ergebnissen werden eher publiziert als Untersuchungen, die nichts finden. Dieser Effekt verzerrt die Studienlage - auch bei der Homöopathie. Bedenkt man all dies, dann zeigen die vorliegenden Studien zusammengenommen nicht, dass Homöopathie über Kontext- und Placeboeffekte hinaus wirkt. Wer nur Arbeiten berücksichtigt, die die eigene Überzeugung stützen, betreibt Rosinenpickerei. Der Glaube an Homöopathie scheint generell auf diesem und ähnlichen Denkfehlern zu beruhen.

tagesschau.de: Oftmals heißt es, es müsse einfach noch mehr zu der Wirksamkeit von Homöopathie geforscht werden. Was halten Sie davon?

Mukerji: Gar nichts. Aus naturwissenschaftlicher Sicht kann Homöopathie nicht wirken. Und wir haben bereits eine enorm umfangreiche empirische Beleglage, die genau das zeigt.

tagesschau.de: Einige Kritiker der Homöopathie sind generell dagegen, überhaupt weitere Studien zur Wirksamkeit durchzuführen. Wieso?

Mukerji: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine methodisch hochwertige Studie irrtümlich einen Effekt findet (Alpha-Fehler), liegt etwa so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, mit zwei Würfeln eine 1 und eine 2 zu werfen. So etwas passiert also ständig.

Je mehr Studien durchgeführt werden, desto wahrscheinlicher wird es, dass zumindest einzelne Studien zufällig positive Ergebnisse erzielen. Diese sehen dann isoliert betrachtet wie stichhaltige Belege aus. Werden sie selektiv zitiert, erzeugt das eventuell den falschen Eindruck, die Homöopathie habe eine wissenschaftliche Grundlage. Solche Forschung ist nicht nur verschwenderisch, sie kann auch gefährlich werden - zumal dann, wenn Patienten Homöopathika wirksamen Medikamenten vorziehen.

Manche halten Homöopathie-Forschung daher insgesamt für unethische Ressourcenverschwendung. Dennoch leben wir in einem freien Land. Jeder darf natürlich private Mittel für Homöopathie-Forschung einsetzen. Daran würde ich selbstverständlich nicht rütteln wollen.

tagesschau.de: Bei homöopathischen Mitteln wird ein Wirkstoff potenziert, das heißt, er wird sehr oft verdünnt. Kann ein Mittel dadurch überhaupt noch wirksam sein?

Mukerji: Ob man das plausibel findet oder nicht, hängt vom Weltbild ab. Nach homöopathischer Lehre ist das eminent plausibel. Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, glaubte ja, die Homöopathie wirke, indem sie - und ich zitiere - "unsre Lebenskraft … auf geistartige (dynamische) Weise" ergreift. Vor 200 Jahren konnte man so eine These noch aufstellen, ohne sich zu blamieren - obwohl es auch schon zu dieser Zeit Kritik an Hahnemann gab.

Aufgeklärte, kritisch denkende Menschen mit einem naturwissenschaftlich geerdeten Verständnis der Welt können darüber aber eigentlich nur schmunzeln. Homöopathie widerspricht gesichertem Wissen: Der Grundsatz, Ähnliches möge mit Ähnlichem geheilt werden, ist medizinisch nicht haltbar. Und das typische Homöopathikum enthält keinen Wirkstoff, weil dieser wegverdünnt wurde. Übrigens demonstrieren Skeptiker wie ich das auch regelmäßig in Form von Selbstversuchen, bei denen wir Globuli fläschchenweise einnehmen. Dabei ist noch nie etwas passiert. Wie auch? Nix drin, nix dran!

tagesschau.de: Auch die gesonderten Zulassungsverfahren für homöopathische Mittel stehen in der Kritik.

Mukerji: Tatsächlich schlägt dieser Punkt dem Fass den Boden aus. Pharmazeutische Medikamente basieren auf echter Forschung, die hohen Ansprüchen genügen muss. Bei homöopathischen Mitteln gibt es das nicht, weil das Arzneimittelgesetz eine Ausnahme vorsieht: Es reicht, wenn nach dem Prinzip des sogenannten "Binnenkonsenses" festgestellt wird, dass die Beleglage nach homöopathischem Erkenntnismaterial ausreicht. Die Homöopathieszene deklariert also - aus wissenschaftlicher Sicht willkürlich -, was wirkt.

Manche homöopathischen Mittel werden auch lediglich registriert. Hier werden gar keine Angaben zur angeblichen Wirksamkeit verlangt. Meiner Erfahrung nach wissen das die meisten Menschen nicht, und viele halten es für einen Scherz, wenn man es ihnen erklärt.

tagesschau.de: Nach Plänen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach sollen gesetzliche Krankenkassen künftig die Kosten für homöopathischen Mittel und Behandlungen nicht mehr übernehmen. Die Ersparnisse sollen Lauterbach zufolge jedoch lediglich zwischen 20 und 50 Millionen Euro liegen. Warum halten Sie es trotzdem für sinnvoll?

Mukerji: Ein Stück weit geht es da auch ums Prinzip, wie Lauterbach sagt. Ich persönlich denke das auch. Eine irrationale Methode sollte man nicht staatlich finanzieren. Dadurch hängt man der Homöopathie den Deckmantel der Rationalität über. Schamanismus oder andere pseudomedizinische Verfahren werden ja auch nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Außerdem sind die genauen Einsparpotenziale für die Kassen schwer zu beziffern. Besonders die Anamnesegespräche bei Homöopathen dürften kostenintensiv sein. Meine Kollegen Udo Endruscheit und Norbert Aust vom Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) gehen davon aus, dass das wirkliche Ersparnispotenzial höher liegen könnte.

tagesschau.de: Einigen geht der Vorstoß von Lauterbach wiederum nicht weit genug, da er die Möglichkeit für gesetzliche Krankenkassen offen lässt, Zusatzversicherungen für Homöopathie abzuschließen. Warum wird das kritisiert?

Mukerji: Es gibt die Ansicht, dass Zusatzversicherungen das zentrale Problem verlängern, das ursprünglich durch die Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenkassen entstand: Es wird weiterhin der Anschein erweckt, dass es sich bei der Homöopathie um anerkannte medizinische Behandlungsmethoden handle. Und damit wird dann Menschen weiterhin das Geld aus der Tasche gezogen, weil sie Homöopathie fälschlich als effektiv ansehen. Ich würde mich da aber entspannen. Am wichtigsten ist es, die Kostenübernahme durch das Solidarsystem zu streichen.

Das Gespräch führte Pascal Siggelkow, tagesschau.de.