Schülerinnen und Schüler sitzen mit Mundschutz im Unterricht.
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Angebliche Studie Kein Beweis für Maskenschäden bei Kindern

Stand: 04.08.2021 07:06 Uhr

Wieder will eine Studie nachgewiesen haben, dass Kinder durch das Tragen von Atemmasken "höchsten gesundheitlichen Gefahren" ausgesetzt sind. Das Papier ist ein Lehrbeispiel für Manipulation und methodische Fehler.

"Wissenschaftliche Studie belegt: Massiv erhöhte CO2-Werte in der Einatemluft maskentragender Kinder", so heißt es in einer Pressemitteilung des Vereins "Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie" (MWGFD). Es ist nicht der erste Versuch, diese Behauptung zu belegen - bisherige Ansätze scheiterten jedoch und wurden aufgrund methodischer Fehler widerlegt. Die Autoren versuchen diesmal offenbar den Eindruck zu erwecken, ihre Studie sei von einen renommierten Fachjournal überprüft und angenommen worden.

Die Ergebnisse einer am 30.06.2021 in der international renommierten pädiatrischen Fachzeitschrift 'JAMA Pediatrics' veröffentlichten Studie mit dem Titel "Experimental Assessment of Carbon Dioxide Content in Inhaled Air With or Without Face Masks in Healthy Children- A Randomized Clinical Trial"' zeigen eindrucksvoll, dass sich schon nach wenigen Minuten des Maskentragens der Kohlendioxidgehalt der Einatemluft um durchschnittlich das 6-fache von dem erhöht, was das Umweltbundesamt als gesundheitsgefährdend einstuft.

Keine überprüfte Studie

Tatsächlich handelt es sich bei der Veröffentlichung nicht um eine Studie, sondern lediglich um einen sogenannten "Research Letter". Dieser unterliegt der Peer-Review-Prozess, kann jedoch nicht nach den gleichen wissenschaftlichen oder methodischen Kriterien wie eine vollständige Forschungsstudie, zum Beispiel in Bezug auf die zugrundeliegenden Daten, überprüft werden.Daran ist auch die juristische Schlussfolgerung zu messen, die in der Mitteilung gezogen wird und den Verantwortlichen in Schulen und anderen Institutionen eine Straftat unterstellt:

Kinder müssen diese Masken in Schulen täglich mehrere Stunden lang tragen. Dies belegt eindeutig, dass sich Kinder beim Maskentragen regelmäßig durch Rückatmung von Kohlendioxid vergiften und höchsten gesundheitlichen Gefahren aussetzen, was juristisch gesehen eindeutig den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt.
Peer Review und Research Letter

Im Peer-Review-Verfahren (Überprüfung durch Gleichgestellte) werden wissenschaftliche Arbeiten, insbesondere Aufsätze für wissenschaftliche Publikationen, durch unabhängige Gutachter des gleichen Fachgebiets überprüft. Äußern diese Kritik an dem Text, müssen die Autoren diese zufriedenstellend widerlegen oder ihre Arbeit korrigieren.

Autoren können alternativ ihre Texte ohne Peer Review auf sogenannten Preprint-Servern der Öffentlichkeit vorstellen. Zudem bieten wissenschaftliche Journale die Möglichkeit, einen "Research Letter" (Forschungsbrief) zu veröffentlichen, der einen kurzen Überblick eines aktuellen Forschungsbericht gibt.

Anfragen des ARD-faktenfinder an die Redaktion des Journals, nach welchen Kriterien der Text zur Veröffentlichung auswählt und überprüft wurde, ist bisher nicht beantwortet worden.

Finanzierung aus einschlägiger Quelle

Finanziert wurde der Forschungsversuch von dem Verein MWGFD, welcher bereits eine ganze Reihe von Fehlinformationen zur Corona-Pandemie verbreitet hat. Pikant: In der englischen Übersetzung des Berichts wird der MWGFD als "public charity" (öffentliche Wohltätigkeitsorganisation) bezeichnet. In der deutschen Version fehlt jedoch diese Zuordnung - wohl aus guten Grund: Dem Verein war nur mehrere Monate nach seiner Gründung der Status der Gemeinnützigkeit entzogen worden.

Der Hauptautor der Studie ("principal investigator"), der Psychologe Harald Walach, sowie drei der insgesamt sieben Mitautoren sind selbst Mitglied in dem Kleinstverein. Die Redaktion des veröffentlichenden Journals kündigte inzwischen an, einen möglichen daraus resultierenden Interessenkonflikt zu überprüfen. Keiner der Beteiligten ist ausgewiesener Fachmann in Bezug auf Atemluftmessungen.

Bereits peinliche Schlappe für Hauptautor

Hauptautor Walach steht aktuell wegen einer weiteren von ihm mit verantworteten Studie in der Kritik, die beweisen soll, dass die Schäden der Impfungen gegen Covid-19 deren Nutzen überwiegen. Mehrere Wissenschaftler hielten daraufhin in einer "Expression of Concern" (Ausdruck der Besorgnis) den Autoren methodische Fehler und die Missinterpretation von Daten vor.

Als Walach und seine Kollegen nicht in der Lage waren, die Kritik zur Zufriedenheit zu entkräften, wurde die Studie wegen "mehrerer Fehler, die die Interpretation der Ergebnisse grundlegend beeinflussen", von dem veröffentlichenden Journal zurückgezogen. Mindestens zwei Mitglieder der Redaktion, die die Impfstudie zunächst angenommen hatten, traten jedoch aus Protest gegen die ursprüngliche Veröffentlichung zurück.

Die Autoren gaben daraufhin zu, "schwache Daten" verwendet zu haben, bleiben aber trotzdem bei ihren Schlussfolgerungen und führten die Zurückziehung des Texts darauf zurück, dass offenbar Druck auf die Redakteure ausgeübt worden sei. Inzwischen erklärte die Universität Poznan, sich aufgrund des "Mangels an wissenschaftlicher Sorgfalt und angemessener Methodik" von der Veröffentlichung zu distanzieren und die Zusammenarbeit mit Walach beendet zu haben.

Ko-Autoren mit esoterischem Hintergrund

Insgesamt waren fünf der sieben Autoren durch, vorsichtig gesagt, fragwürdige Aussagen aufgefallen: So hatte der Arzt und "Quantenheiler" Andreas Diemer auf seiner Homepage empfohlen, gegen "Viren, auch bei Covid-19 und anderen Corona-Viren", Chlordioxid anzuwenden - eine Behandlung, die nicht nur wirkungslos, sondern potenziell lebensgefährlich ist. Inzwischen ist die Seite gelöscht worden.

Mitautor Stefan Hockertz hatte unter anderem Falschinformationen zu der Impfstoffforschung des US-Konzerns Merck verbreitet. Gegen einen weiteren Studienbeteiligten, den MWGFD-Vizevorsitzenden Ronald Weikl, wird wegen des Ausstellens unrichtiger Gesundheitsatteste ermittelt. Weikl hatte zudem in Bezug auf eine von dem Verein geschaltete Anzeige gegenüber tagesschau.de eine Aussage getätigt, die vom MWGFD-Pressesprecher Stefan Homburg als "Lüge" bezeichnet wurde.

Ungeeignetes Messgerät

Der für die Ermittlung der Datenbasis verantwortliche Helmut Traindl hatte bereits im vergangenen Jahr eine ähnliche Untersuchung durchgeführt und dabei ein Gerät verwendet, das nach Angaben des Vertreibers und von Experten hierfür nicht vorgesehen ist.

Dies ist auch bei den aktuell von ihm durchgeführten Messungen der Fall: Das hierfür genutzte System wurde nicht für die Untersuchung von Atemluft, sondern für die Überprüfung medizinischer Inkubatoren entwickelt. Für diese Messung von Atemluft sei es weder geprüft noch zugelassen, erklärte die Vertriebsfirma gegenüber dem ARD-faktenfinder: Die Messung der Atemluft sei zudem ein recht komplexes Thema und könne von mehreren Faktoren der jeweiligen Person beeinflusst werden.

Auftraggeber weisen Vorwurf zurück

Der Verein MWGFD wies die Aussagen des Vertriebsunternehmens und der Experten gegenüber dem ARD-faktenfinder zurück: "Ein CO2-Messgerät unterscheidet nicht bzgl. der Herkunft des Gases CO2, kann also in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden. Die Aussage, das verwendete Gerät sei für Atemwegsmessungen weder zugelassen noch geeignet, ist abwegig." Die Herkunft des Gases aus Umwelt, Deponie, Raumluft oder Atemluft spiele keine Rolle: "Gas ist Gas". Traindl erklärte gegenüber dem ARD-faktenfinder, die im technischen "Datenblatt des Geräts angegebenen Eignungskriterien (Umgebungsbedingungen, Messbereich, etc.)" eingehalten zu haben.

Das System ermittelt allerdings lediglich einen über einen längeren Zeitraum gemittelten Wert und braucht bis zu 20 Sekunden, um einen Messwert mit 90-prozentiger Genauigkeit festzustellen. Zudem detektiert es einen Wechsel zu hoher Konzentration viel schneller als umgekehrt. Die Frage des ARD-faktenfinder, wie er damit trotzdem, wie angegeben, bis zu 15 Einzelmessungen einzelner Atemphasen in drei Minuten durchgeführt haben will, hat Traindl bisher nicht beantwortet.

Zusammengefasst: Die von keinen anderen Wissenschaftlern überprüfte Auftrags-"Studie" basiert auf ungeeigneten Datenerhebungen, die von Beteiligten ohne ausgewiesene Fachkompetenz interpretiert wurden. Die Mehrzahl der Beteiligten hat zudem eine Geschichte von fragwürdigen oder falschen Aussagen in Bezug auf die Corona-Pandemie.

Update vom 16.07.2021: Die Redaktion von "JAMA Pedriatics" hat den Research Letter zur Maskenstudie wegen zahlreicher Bedenken in Bezug auf die Studienmethodik zurückgezogen. Die Autoren hätten grundlegende Bedenken hinsichtlich ihrer Methoden, der Validität ihrer Ergebnisse und Schlussfolgerungen sowie der möglichen Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit nicht zerstreuen können, hieß es in einem Statement gegenüber tagesschau.de.

Update vom 29.07.2021: Die Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/Herdecke hat eine Überprüfung und Bewertung der jüngsten Publikationen von Walach vorgenommen - mit dem Ergebnis, dass sie dessen Gastprofessur ruhen lässt und keine weiteren Lehraufträge an ihn vergeben wird.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 14.06. 2021 um 22:00 Uhr.