Corona-Demonstrationen Mit dem Grundgesetz zum Umsturz?
Radikale Aktivisten berufen sich immer wieder auf das Widerstandsrecht. Auch "Corona-Kritiker" behaupten, man könne legal die Regierung stürzen. Doch was genau steht im Artikel 20 des Grundgesetzes?
"Wir stürzen unsere Regierung legal", verkündet der YouTuber Hagen Grell, und Ken Jebsen ruft auf seiner Internetseite zum Widerstand gegen die Regierung auf. Auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen wird es ebenfalls immer wieder lautstark angeführt: das Widerstandsrecht aus Artikel 20 des Grundgesetzes zum Schutz der Verfassung. Auch "Pegida"-Redner und andere radikale Aktivisten berufen sich regelmäßig auf diesen Artikel.
Die tragenden Säulen des Grundgesetzes
Artikel 20 gehört zweifelsfrei zu den wichtigsten des Grundgesetzes. Er nennt die tragenden Säulen des Staates: Demokratie, Rechtsstaat, Bundesstaat, Gewaltenteilung. Und tatsächlich: Darüber hinaus findet sich in Absatz 4 die Regelung zum "Widerstandsrecht":
Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Jedem Deutschen steht also das Recht zum Widerstand zu. Und zwar gegenüber jedem, der die in Artikel 20 niedergelegte Ordnung beseitigt beziehungsweise dabei ist, sie zu beseitigen - egal, ob diese Beseitigung von "oben" ausgeübt wird, also von der Regierung, oder von "unten", also von einzelnen Gruppen oder Personen.
Allerdings: Eine "Beseitigung" der verfassungsgemäßen Ordnung liegt erst mit dem Wegfall eines ihrer Kernelemente vor, also wenn wirklich eine der tragenden Säulen einzustürzen droht. Selbst dann aber kann man sich auf das Widerstandsrecht nur berufen, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Grundrechtseinschränkungen lösen kein Widerstandsrecht aus
Die Einschränkung von Grundrechten stellt auf jeden Fall keine Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung dar. Denn Grundrechte dürfen eingeschränkt werden. Das sieht das Grundgesetz ausdrücklich so vor. Grundrechtseinschränkungen gibt es immer, also auch in ganz "normalen" Zeiten. So endet zum Beispiel das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung da, wo andere Menschen durch die Meinung in ihrer Ehre verletzt, also beleidigt werden.
Oft schränkt auch die Ausübung des einen Grundrechts eine andere Person in einem anderen Grundrecht ein. So ist der Staat zum Beispiel verpflichtet, Leben und Gesundheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Kann er dies nur tun, indem er andere Grundrechte einschränkt, so ist dies, wenn es verhältnismäßig geschieht, erlaubt.
Rechtsstaat funktioniert
Und selbst bei einer unzulässigen Einschränkung von Grundrechten würde noch kein Fall des Widerstandsrechts bestehen, auch dann nicht, wenn die Regierung bewusst Grundrechte missachten würde. Schließlich können sich alle Menschen vor den Gerichten dagegen wehren.
Auch bei den Corona-Einschränkungen ist vieles von Gerichten überprüft und manches gekippt worden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte nachträglich noch einige Maßnahmen für unzulässig erklären. Dies zeigt: Der Rechtsstaat funktioniert, die verfassungsmäßige Ordnung ist nicht in Gefahr. Andere Abhilfe gibt es auf jeden Fall.
Symbolischer Charakter
Für das Widerstandsrecht aus Artikel 20 Absatz 4 gibt es nur wenig denkbare Anwendungsbereiche. Ein Beispiel wären die Attentatsversuche auf einen Diktator wie Adolf Hitler. Damals gab es die verfassungsmäßige Ordnung nicht mehr, und es war auch keine Abhilfe in Sicht. Allerdings kannte die Weimarer Verfassung kein Widerstandsrecht.
Ziviler Ungehorsam ist möglich, kann aber strafbewehrt sein.
Das Widerstandsrecht steht seit 1968 im Grundgesetz. Seitdem gab es noch keinen einzigen Anwendungsfall. Es hat also eher einen symbolischen Charakter. Außerdem ist es strikt zu trennen vom so genannten zivilen Ungehorsam, bei dem Menschen bewusst etwas Unrechtes tun, wenn auch aus ihrer Sicht für die "gute Sache". Beim zivilen Ungehorsam nimmt man auch bewusst in Kauf, für sein Handeln bestraft zu werden.
Wehren darf man sich auch ohne Widerstandsrecht
Ein Fall des Widerstandsrechts aus Artikel 20 Absatz 4 ist also derzeit keinesfalls in Sichtweite. Das heißt aber nicht, dass Bürgerinnen und Bürger mit allen Verboten einverstanden sein und alle Maßnahmen akzeptieren müssen. Sie können, wenn auch mit Auflagen, demonstrieren und sie können sich vor den Gerichten gegen unrechtmäßige Maßnahmen wehren. Das zeigt: Die verfassungsmäßige Ordnung ist nicht in Gefahr.