Strafrechtsparagraf 218 Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren?
Noch vor der Neuwahl wollen Hunderte Abgeordnete die Regeln zum Schwangerschaftsabbruch reformieren. Kann das klappen und wäre die Neuregelung verfassungskonform? Worüber heute der Bundestag debattiert.
Es ist wohl der bekannteste Paragraf in Deutschland: § 218 des Strafgesetzbuchs, der die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs regelt. Seit vielen Jahrzehnten wird um ihn gestritten.
Jetzt soll die Regelung in der bisherigen Form aus dem Strafgesetzbuch verschwinden. Jedenfalls, wenn es nach der Vorstellung von bisher 328 Bundestagsabgeordneten geht, die einen entsprechenden "Gruppenantrag" unterschrieben haben. Heute soll über ihn im Bundestag debattiert werden.
Wie sind Schwangerschaftsabbrüche bisher geregelt?
Bislang gilt der Abbruch einer Schwangerschaft nach Paragraf 218 in aller Regel als rechtswidrig. Anders ist es nur, wenn die Schwangerschaft aus einer Sexualstraftat hervorgegangen ist oder Leib und Leben der Schwangeren in Gefahr sind.
Wenn eine Frau eine Schwangerschaft aus anderen Gründen innerhalb der ersten zwölf Wochen durch einen Arzt abbrechen lässt, wird sie ebenfalls nicht bestraft - solange sie sich vorher in einer Beratungsstelle beraten lassen und danach drei Tage bis zum Eingriff abgewartet hat. Aber: Der Abbruch gilt in diesen Fällen dennoch als rechtswidrig.
Was nach einer juristischen Feinheit klingt, hat vor allem zwei Folgen: Für die Schwangeren bleibt der Makel, etwas Rechtswidriges getan zu haben. Und: Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen den Eingriff nicht, die Frauen müssen die Kosten also selbst tragen.
Was sieht die Reform von Paragraf 218 vor?
Im Strafgesetzbuch soll nach der nun angestoßenen Reform nur noch der Schwangerschaftsabbruch geregelt sein, der gegen oder ohne den Willen der Schwangeren durchgeführt wird. Alle anderen Regelungen zum Thema Abtreibung sollen sich dann im "Schwangerschaftskonfliktgesetz" wiederfinden. Und: Abtreibungen bis zur zwölften Woche sollen rechtmäßig sein, wenn sie von einer Ärztin oder einem Arzt nach einer vorherigen Beratung durchgeführt werden.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge ist eine der Hauptinitiatorinnen der Gesetzesinitiative. Im Podcast "Die Justizreporter*innen" der ARD-Rechtsredaktion erklärt sie die Hauptänderungen: "Aus unserer Sicht bringt es einen sehr sehr großen Unterschied, weil 60 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in einer Studie angeben haben, dass sie den Schwangerschaftsabbruch nicht durchführen, weil er eben strafrechtlich bewehrt ist oder im Strafgesetzbuch geregelt ist."
Das führe zu einer dramatischen Versorgungslage bei Frauen, sagt Wegge. "Denn es fällt ihnen immer schwerer, überhaupt einen Arzt oder eine Ärztin zu finden, die den Schwangerschaftsabbruch anbietet."
Nach der zwölften Woche sollen Schwangerschaftsabbrüche in aller Regel rechtswidrig bleiben.
Wie urteilt das Bundesverfassungsgericht?
Es ist mehr als 30 Jahre her, als das Bundesverfassungsgericht sein letztes großes Urteil zu dem Thema gefällt hat. In der Abtreibungsentscheidung von 1993 hatte das Bundesverfassungsgericht klare Worte gefunden: Der Staat sei verpflichtet, "menschliches Leben, auch das ungeborene zu schützen". Der Schwangerschaftsabbruch müsse "für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein". Ohne medizinischen oder kriminologischen Grund dürften die Abbrüche "nicht für gerechtfertigt erklärt werden".
Es sei aber möglich, dass Frauen in den ersten zwölf Wochen nicht bestraft werden. Das Urteil war also die Grundlage für die Gesetzesregelung im Strafgesetzbuch, die bis heute gilt. Die Entscheidung aus Karlsruhe war aber auch damals keineswegs unumstritten. Und: 1993 hatten die Richter ihr Urteil mit fünf zu drei Stimmen gefällt.
Könnte ein Urteil heute anders ausfallen?
Auch den Initiatoren der Reform ist klar: Wenn das Bundesverfassungsgericht dies heute noch genauso sieht, würde die Reform in Karlsruhe sehr schnell wieder gekippt werden.
Dennoch seien sie guter Dinge, erklärt Carmen Wegge: "Der Gesetzgeber muss in der Lage sein, auf veränderte Umstände in der Gesellschaft, aber auch in der Rechtswissenschaft eingehen zu können. Und unserer Meinung nach würde das Bundesverfassungsgericht heute nicht mehr so urteilen wie vor 30 Jahren."
Vor allem das Selbstbestimmungsrecht der Frau habe sich in den vergangenen 30 Jahren in der Rechtsprechung deutlich weiterentwickelt, sagt Wegge. Der Schutz des ungeborenen Lebens werde auch weiterhin gewährleistet, zumal faktisch kein großer Unterschied bestehe zur jetzigen Regelung.
Was sagt die Expertenkommission zu dem Thema?
Gestützt wird die Ansicht des Gruppenantrags von einer Expertenkommission, die im Frühjahr ihren Bericht zu dem Thema vorgelegt hat. Auch die Kommission empfahl eine Entkriminalisierung von Abtreibungen in der Frühphase der Schwangerschaft.
Es ist durchaus möglich, dass die Verfassungshüter mehr als 30 Jahre später dem Gesetzgeber ein bisschen mehr Freiheit geben, wie er die sich gegenüberstehenden Verfassungsgüter in Einklang bringt: den Schutz des ungeborenen Lebens auf der einen Seite und vor allem das Selbstbestimmungsrecht der Frau auf der anderen Seite. Ein gewisses Risiko aber bleibt bei einer Änderung bestehen, dass Karlsruhe auch die neuen Regeln wieder kippt.
Ist eine Mehrheit im Bundestag realistisch?
Für eine Änderung des Abtreibungsrechts braucht es eine einfache Mehrheit im Bundestag. Die Initiative muss also 367 Stimmen hinter sich vereinen. Der Gruppenantrag kommt nicht von bestimmten Fraktionen, bisher haben ihn 328 Abgeordnete unterzeichnet. Es fehlen also noch 39 Stimmen.
Einige davon dürften von SPD, Grünen und den Linken noch dazukommen, auch die Abgeordneten des BSW haben wohl Zustimmung signalisiert. Hinzukommen müssten aber auf jeden Fall auch noch einige Stimmen aus Union oder FDP. Deren Parteispitzen haben sich gegen eine Änderung ausgesprochen.
Carmen Wegge zeigt sich im Podcast "Die Justizreporter*innen" trotzdem zuversichtlich: "Einer Mehrheit im Deutschen Bundestag bin ich mir, um ehrlich zu sein, inzwischen relativ sicher." Die Jungen Liberalen forderten die Abgeordneten der FDP in einem Brief dazu auf, die parlamentarische Debatte jetzt zu eröffnen und sich offen zu zeigen für eine Änderung.
Kommt es überhaupt noch zur Abstimmung?
Tatsächlich haben sich auch einige FDP-Abgeordnete inzwischen für eine Änderung ausgesprochen. Und auch mit Abgeordneten der Union sei man in guten Gesprächen, heißt es.
Ob es aber wirklich noch vor der Neuwahl zu einer Abstimmung kommt, ist noch nicht sicher. Einer Befassung in der zweiten und dritten Lesung muss nämlich der Ältestenrat des Bundestags zustimmen. Eine solche Zustimmung könnten die Fraktionen von Union und FDP verhindern, auch wenn das bei Gruppenanträgen unüblich wäre.
Nach der heutigen Debatte wird das Thema aber zunächst in den Rechtsausschuss des Bundestags verwiesen, in dem dann auch Experten zum Thema öffentlich gehört werden.