Fluthilfe Streit um Meldung über AfD-Abstimmung
Um eine Meldung der tagesschau gibt es Streit, die AfD sprach von irreführender Berichterstattung. Hintergrund ist, dass es in dem betreffenden Abstimmungsprozess im Bundestag mehrere Etappen gab und verschiedene Vorhaben gekoppelt wurden.
Am Dienstag hat der Bundestag über einen Fonds in Höhe von 30 Milliarden Euro für die Opfer der Hochwasser-Katastrophe Mitte Juli in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz abgestimmt. Die tagesschau um 20 Uhr berichtete in einer Wortmeldung über das Abstimmungsergebnis: Alle Parteien außer der AfD stimmten dafür.
Die AfD-Bundestagsfraktion warf der tagesschau daraufhin irreführende Berichterstattung vor. Abgeordnete posteten ein kurzes Video, bei dem AfD-Fraktionsmitglieder ebenso wie andere Abgeordnete zu sehen sind, wie sie zustimmend die Hand heben und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau feststellt: "Die übrigen Teile des Gesetzes sind einstimmig angenommen."
Ablehnung und Enthaltung
Die tagesschau-Wortmeldung bezog sich auf die entscheidende dritte Lesung im Bundestag, in der die Wiederaufbauhilfen verabschiedet wurden. In dieser finalen Abstimmung wurden die Abgeordneten - wie üblich - aufgefordert, ihr Abstimmungsverhalten durch Aufstehen kenntlich zu machen.
Danach stellte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau fest: "Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis90/Die Grünen gegen die Stimmen von zwei Abgeordneten der AfD-Fraktion bei Enthaltung der übrigen Mitglieder der AfD-Fraktion angenommen."
Dies ist dokumentiert in der Aufzeichnung der 239. Sitzung des Bundestages, abrufbar in der Mediathek des Bundestages, die hier verlinkt ist. Die finale Abstimmung nach der dritten Lesung ist am Ende ab Timecode 6:15:50 um 15:16 Uhr in der rechts oben eingeblendeten Uhr zu sehen:
Der Erste Chefredakteur von ARD-aktuell, Marcus Bornheim, erläutert dazu, "dass verschiedene Fraktionen in den vorangegangenen Lesungen unterschiedlich über verschiedene Gesetzesteile abgestimmt haben. Für unsere Meldung war das Schlussvotum maßgeblich, für das sich die einzelnen Fraktionen am Ende entschieden haben."
Bezogen auf das entscheidende Schlussvotum war die Meldung in der tagesschau also nicht falsch - dennoch könnte sie möglicherweise einen nicht ordnungsgemäßen Eindruck entstehen lassen. Hintergrund ist, dass es verschiedene Etappen in dem komplexen Abstimmungsprozess gegeben hatte.
Verknüpfung mit Infektionsschutzgesetz
Auf der Website der AfD-Bundestagsfraktion erklärte Fraktionschefin Alice Weidel am 8. September: "Unsere Fraktion hat während der gestrigen Bundestagssitzung ebenso wie alle anderen Fraktionen geschlossen für die Fluthilfe gestimmt - wir haben uns aber bei der Abstimmung, bei der die Fluthilfe auf skandalöse Weise mit dem Infektionsschutzgesetz vermengt worden war, enthalten."
Ergänzend erklärte dazu Bernd Baumann, erster Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion, die Bundesregierung habe "bewusst die beiden völlig unterschiedlichen Themen Fluthilfe und die Änderung des Infektionsschutzgesetzes in ein Paket gepackt, um die Abgeordneten in Gewissensnot zu bringen." Die AfD-Fraktion sei für die Fluthilfe, aber "entschieden gegen erneute Grundrechtseinschränkungen durch eine weitere Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes".
Omnibusverfahren in der Kritik
Hintergrund ist das sogenannte Omnibusverfahren. Es geht dabei nach Angaben des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages darum, mehrere Änderungsanliegen mit gemeinsamen Zielen einzusammeln und zur Abstimmung zu bringen. In der Konsequenz werde aber eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit verhindert, was bei den Oppositionsfraktionen im Bundestag regelmäßig auf Kritik stoße, heißt es in einem Papier dazu von 2020.
Auch in der Literatur würden Änderungsanträge, "die einen über den bisherigen Inhalt hinausgehenden neuen Sachverhalt regeln und bei denen der Zusammenhang mit der eigentlichen Materie des ursprünglichen Gesetzentwurfs nicht gegeben ist, kritisiert." Der wissenschaftliche Dienst stellt allerdings fest, dass das Omnibusverfahren unter Beachtung von Grenzen verfassungsrechtlich zulässig ist und führt diese aus.
Kritik der Opposition
Auch die Verknüpfung der Fluthilfe mit dem Infektionsschutzgesetz führte zu Kritik der gesamten Opposition. Der FDP-Abgeordnete Wolfgang Kubicki erklärte beispielsweise, dass die FDP die Änderung des Infektionsschutzgesetzes allein nicht zugestimmt hätte. In einer persönlichen Erklärung schrieb er, die Koalition habe die Opposition moralisch unter Druck setzen wollen. Dies zeuge vom Verlust moralischer Maßstäbe. Auf ähnliche Weise äußerten die Linkspartei, die Grünen und die AfD Kritik am Verfahren. Unterschiedlich argumentierten die Oppositionsparteien hinsichtlich der Änderungen am Infektionsschutzgesetz.
Entsprechend votierten die Oppositionsparteien in einer ersten Abstimmung über die Pandemie-Maßnahmen mit Nein.
AfD postet nur Abstimmung zu Fluthilfe
Der Ausschnitt der Bundestagssitzung vom 7. September, der in dem von den AfD-Abgeordneten geposteten Video zu sehen ist, zeigt allerdings nur die Abstimmung über die Gesetzesänderungen zur Fluthilfe, die einstimmig angenommen wurde.
In der Abstimmung nach der finalen dritten Lesung standen hingegen Abgeordnete der Koalition, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis90/Die Grünen zum Zeichen ihrer Zustimmung auf. Zwei AfD-Abgeordnete votierten dagegen, die anderen anwesenden AfD-Abgeordneten enthielten sich.
AfD geht rechtlich gegen tagesschau vor
Die AfD ging rechtlich gegen die Berichterstattung der tagesschau vor. Der NDR gab in der Sache eine Unterlassungsverpflichtung ab, die tagesschau überarbeitete den Beitrag der Sendung und ergänzte einen entsprechenden Hinweis.
Die Angelegenheit zeigt, wie schwierig es sein kann, komplexe Vorgänge in kurzen Nachrichten so zusammenzufassen, dass kein falscher Eindruck entstehen kann. Auch dieser Beitrag wurde überarbeitet, um den gesamten Sachverhalt transparent und umfassend darzustellen.