Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen im April 2018

Gerüchte über Grüne Im Fokus der Fakes

Stand: 29.10.2018 13:15 Uhr

Politiker und Experten diskutieren derzeit über den Höhenflug der Grünen. In sozialen Netzwerken wird die Partei von Rechtsaußen scharf attackiert: durch Falschmeldungen und Gerüchte.

Von Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder

Der ehemalige Freiburger Stadtrat Sebastian Müller sieht sich derzeit mit einer Welle des Hasses konfrontiert. Der Grund: Er hat zu einer Kundgebung aufgerufen. Müller ist "es leid, dass in Freiburg und anderswo immer wieder Gruppen versuchen, unsere Trauer und unser Entsetzen über schreckliche Verbrechen politisch auszuschlachten".

Müller wirft der AfD vor, das Opfer einer Gruppenvergewaltigung politisch zu instrumentalisieren. Er verurteile das Verbrechen und seine Gedanken und sein Mitgefühl sei bei dem Opfer. "Aber mein Entsetzen ist keine Rechtfertigung für euren Hass."

Dieser Aufruf sorgte auf rechten Internet-Seiten für Empörung. Dort prangt auf einem Bild von Müller aus einem YouTube-Video die Schlagzeile: "Nach Gruppenvergewaltigung von Freiburg: Grünenpolitiker ruft zu Demo gegen Rechts auf". Und weiter meldet das Blog "philosophia-perennis":

Kaum hat die Polizei Näheres zu den Tätern der brutalen Gruppenvergewaltigung in Freiburg bekannt gegeben, ruft der erste Grünenpolitiker zu einer Demonstration gegen die AfD auf. Jeder normale Mensch würde jetzt denken, dass die Täter AfD-Politiker waren. 

Damit reagiere "der Ex-Stadtrat auf die brutale Vergewaltigung einer 18-Jährigen durch eine größere Gruppe von Männern". Erst später wird in dem Beitrag erwähnt, dass Müller auf einen Aufruf der AfD reagiert.

Zehntausende Mal geteilt

Der Artikel über Müller wurde tausende Male geteilt; in sozialen Netzwerken wird er wüst beleidigt. Die Entrüstung konzentriert sich dabei auf zwei Behauptungen: Müller wolle sexualisierte Gewalt von Flüchtlingen relativieren - und dies sei typisch für Grüne.

Müller weist das zurück: Er habe zu einer Kundgebung "gegen sexualisierte Gewalt gegen Frauen und gegen die Instrumentalisierung des Opfers" aufgerufen. Weiterhin sei er gar nicht Mitglied der Grünen. Tatsächlich saß Müller für "Junges Freiburg" im Stadtrat - und die Wählervereinigung hatte zeitweise eine Fraktionsgemeinschaft mit den Grünen und einer Satire-Partei gebildet. Dennoch bezeichnet auch eine AfD-Bundestagsabgeordnete ihn als einen "Politiker der Grünen" und twittert von der "grünen Pest".

Falscher Account

"Grüner" ist in einigen politischen Milieus ein Signalwort, mit dem bestimmte negative Eigenschaften verbunden werden. Immer wieder im Visier steht beispielsweise Claudia Roth. Ein gefälschtes Twitter-Profil gab sich im Sommer als Roth aus und postete unter diesem Namen höchst kontroverse Tweets. Der Account sei kurz darauf von Twitter gelöscht worden, berichtete "Mimikama", Screenshots kursieren aber weiter in den Netzwerken. Beispielsweise soll Roth zur Fußball-WM gesagt haben:

Ihr Deutschen habt doch sowieso keine Kultur und Identität mehr, also wofür Jubeln? Wir grünen werden schon dafür sorgen das alles Deutsche verschwindet und endlich der Islam einzieht.

Das Zitat stammt aber nicht von Roth, dennoch wird es ihr im Netz weiter zugeschrieben.

70 Millionen Flüchtlinge

Im Juli wurde Roth zudem vorgeworfen, sie wolle 70 Millionen Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen. Hintergrund war ein ironischer Zwischenruf im Bundestag, wie das ZDF vermerkte. Dennoch verbreitete sich die gezielte Falschmeldung über Roth auch in Journalisten-Kreisen - und landete schließlich sogar wieder im Bundestag. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt behauptete am 4. Juli in der Generaldebatte, die Grünen "wollen alle Flüchtlinge aufnehmen, die auf der Welt unterwegs sind".

Im Mai wurden Roth Nazi-Methoden vorgeworfen, weil sie sich sich während einer AfD-Rede im Bundestag dauerhaft und demonstrativ weggedreht habe - ebenfalls eine irreführende Behauptung. Im Mai wurde behauptet, Roth wolle während des Fastenmonats Ramadan ein Alkoholverbot einführen. Ex-CDU-Politikerin Erika Steinbach forderte daraufhin, Roth solle eine Burka tragen und zum Islam konvertieren. Bereits zuvor hatte Steinbach ein falsches Zitat von Roth verbreitet.

Gefälschtes Profil

Seit Mitte 2016 zitierten rechte Kommentatoren immer wieder einen Grünen-Politiker namens Tobias Weihrauch aus Rheinland-Pfalz, weil dieser "so viele Afrikaner und Syrer wie möglich in unser Land holen" wolle. Weiter soll Weihrauch gesagt haben:

Leider werden immer mehr Gewalttaten von Flüchtlingen publiziert, da die Medien nicht mehr mit uns zusammenarbeiten. Daher fordere ich alle Grünen dazu auf, Flüchtlinge zu unterstützen, egal wie integrationswillig oder kriminell sie sind.

Das Problem: Es existiert gar kein Grünen-Politiker mit diesem Namen, die Profile und Zitate waren gefälscht, um die Grünen zu diskreditieren. Doch im Netz kursieren die Zitate von "Tobias Weihrauch" bis heute. Noch vor der Wahl in Bayern führte ein bekannter rechtsradikaler Blogger das Zitat auf, um zu belegen, dass die Grünen "die Abschaffung Deutschlands" anstrebten.

"Organisierte Hasskampagnen"

Die Wissenschaftlerin Julia Ebner forscht am Londoner Institute for Strategic Dialogue zu Hass im Netz und gezielten Falschmeldungen. Im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder stellt sie fest, man habe in den vergangenen Monaten "immer wieder organisierte rechte Hasskampagnen gegen die Grünen" beobachtet.

Sendungsbild

Ebner beobachtet immer wieder organisierte rechte Kampagnen" gegen Grüne.

Ebner meint, die Grünen seien zum Hauptfeind geworden, da sie all das verkörpern, "wogegen rechtsextreme Akteure kämpfen: Diversität, Multi-Kulturalismus, Feminismus und gesellschaftlicher Liberalismus". Oft gebe es zusätzlich Überschneidungen zu Klimawandelleugnern, die häufig Verschwörungstheorien und Falschmeldungen über die Grünen teilten.

Die Publizistin Ingrid Brodnig, die seit Jahren Hassrede im Netz analysiert, sagte dem ARD-faktenfinder, Grünen Politikerinnen und Politikern würden "oft absurde Dinge in den Mund gelegt, weil es für einen Teil der rechten Zielgruppe glaubhaft scheint, dass sie so etwas sagen könnten".