Gerüchte über nordische Staaten Skandinavien als ideologisches Schlachtfeld
Während US-Linke bisweilen Skandinavien idealisieren, vermuten Rechte dort eine sozialistische Vorhölle. Zuletzt verglich Fox News Dänemark mit Venezuela. Nur eine steile These von vielen.
Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder
Trish Regan ist in den vergangenen Tagen zu einer Berühmtheit in Dänemark avanciert: Die Journalistin hatte in ihrer Sendung auf Fox News behauptet, in Dänemark wolle niemand arbeiten. Junge Leute würden keinen Abschluss anstreben, da sie für die Schule bzw. Uni bezahlt würden. Dies sei die Realität des Sozialismus in Dänemark, der Staat habe die Menschen ihrer Möglichkeiten beraubt.
Die Reaktion aus Dänemark ließ nicht lange auf sich warten: Der Sozialdemokrat Dan Jörgensen landete einen Volltreffer mit einem Video, in dem er mit Charme und Fakten Regans Behauptungen entkräftete. Das Video wurde in verschiedene Sprachen übersetzt, millionenfach abgerufen und in vielen internationalen Medien thematisiert.
Sanders schwärmt vom "demokratischen Sozialismus"
Auch der US-Demokrat Bernie Sanders teilte auf Facebook das Video des dänischen Sozialdemokraten. Und hier schließt sich ein Kreis, denn dass Skandinavien zu einem beliebten Feindbild der US-Rechten mutiert ist, hat auch ein bisschen mit Sanders zu tun. Dieser verweist nämlich seit Jahren immer wieder auf die Staaten in Europas Norden als Vorbild für die USA. CNN berichtete im Februar 2016, der Traum von Sanders sei Dänemark.
Diesen Traum verfolgt Sanders weiter: In den vergangenen Tagen veröffentlichte der demokratische Senator beispielsweise aufwändig produzierte Videos über das Gesundheitssystem in Norwegen sowie zu den Bildungschancen in Finnland. Darin wird ein Finne zitiert, der gesagt habe, die Schulen in dem Land seien nicht nur umsonst, sondern die Menschen würden sogar dafür bezahlt. Dies hatte Trish Regan bei Fox News im Bezug auf Dänemark aufgegriffen - und daraus geschlossen, die Menschen wollten deshalb keine Abschlüsse machen. Eine These, für die es allerdings keine Belege gebe, wie Sozialdemokrat Jörgensen ausführte.
In seiner Kampagne idealisiert Sanders die nordischen Staaten - was der US-Demokrat dabei ausklammert, sind reale Probleme in Großstädten und die teilweise erbitterten Debatten über den politischen Kurs, die sich in einem politischen Rechtsruck zeigen. In Dänemark, Finnland und Norwegen sind Rechtspopulisten an der Regierung beteiligt, in Schweden stehen Wahlen an - und die Schwedendemokraten von ganz Rechtsaußen liegen in vielen Umfragen auf dem zweiten Platz.
Flüchtlinge und Kriminalität
Die Themen, die im Norden besonders polarisieren, sind die gleichen wie in Deutschland: Flüchtlinge, Kriminalität und ein vermeintlich wehrloser Staat. Im Netz verbreiten sich zahlreiche Falschmeldungen zu diesen Themen; Journalisten prüfen stark verbreitete Gerüchte und widerlegen sie gegebenenfalls. In Norwegen finanzieren verschiedene öffentlich-rechtliche und private Medien gemeinsam das Portal Faktisk.no, das seit mehr als einem Jahr Fakten prüft.
Wie groß die Reichweite gezielter Falschmeldungen sein kann, zeigt Faktisk.no in einer Analyse zu den Reaktionen auf Artikel in sozialen Netzwerken. Demnach hatten "Lügenfabriken" im Mai die höchsten Social-Media-Interaktionen pro Beitrag in Norwegen generiert.
"Nein, der Islam hat Oslo nicht übernommen"
Zum Nationalfeiertag hatte beispielsweise eine dubiose Netzseite die Falschmeldung verbreitet, es drohe eine Strafe von 4500 Kronen, wenn man am Unabhängigkeitstag mit einer ausländischen Flagge auf die Straße ginge. Hinter solchen Fake News stehen aber offenbar wirtschaftliche Interessen, weniger politische.
Faktisk.no widerlegt aber auch Aussagen von Rechtspopulisten; zum Beispiel die These, dass Norwegens Bevölkerung durch Zuwanderung relativ gesehen stärker gewachsen sei als die von Indien. Oder auch, dass Länder wie die USA, Kanada oder Neuseeland Reisewarnungen für Schweden ausgesprochen hätten - was auch in Deutschland behauptet wurde, aber nicht zutreffend ist. Genauso falsch waren Meldungen, wonach die Polizei Teile von Oslo aufgegeben hätte - und der Islam dort die Kontrolle übernommen habe. Ebenso existiert kein EU-Geheimplan zur Islamisierung Europas, so wie es Rechtsradikale auf Facebook behaupten.
Ähnliches Projekt in Schweden
Nach dem norwegischen Vorbild schlossen sich auch in Schweden mehrere Medien zusammen, um Faktiskt.se zu gründen. Die beteiligten Journalisten widerlegten beispielsweise im Kontext mit den schweren Waldbränden in dem Land eine Falschmeldung aus Polen.
"Poland Daily" hatte behauptet, Schweden habe die Bekämpfung von Waldbränden vernachlässigt und Geld lieber für Flüchtlinge und Gender-Theorien ausgegeben. Auch die Meldung, Schweden habe bei der Brandbekämpfung Hilfe aus Russland abgelehnt, wurde korrigiert.
Im dänischen Kanal TV2 wurde zudem behauptet, die Serie von Autobränden in mehreren schwedischen Städten sei bei einer Fernsehdebatte von schwedischen Parteivorsitzenden einfach ausgespart worden - ebenfalls eine Falschmeldung.
Eine der bekanntesten Fake News hatte US-Präsident Donald Trump fabriziert, als er im Februar 2017 auf schreckliche Ereignisse der vorherigen Nacht in Schweden verwies. Was er genau damit meinte, blieb zunächst unklar; die Schweden reagierten irritiert. Trump erklärte dann, seine Äußerung habe sich auf Berichte über Einwanderer bezogen, die er auf Fox News gesehen habe.
"Sozialismus ist keine Lösung"
Dass die nordischen Länder deswegen aber noch lange nicht mit dem Krisenstaat Venezuela zu vergleichen sind, musste dann auch Trish Regan von Fox News einräumen. In einem Video betonte Regan, sie würde niemals die Lebensverhältnisse in Dänemark mit denen in Venezuela vergleichen. Sie wollte lediglich einen Punkt klar machen: Sozialismus könne keine Lösung sein.
Diese Äußerung zeigt, warum so viele falsche oder zumindest übertriebene Meldungen über Skandinavien kursieren: Das politische Modell der nordischen Staaten wird von links als Vorbild idealisiert und von rechts massiv dämonisiert. Skandinavien ist so zum ideologischen Schlachtfeld geworden.