Debatte über Maskenschutz Was sagt die Cochrane-Studie wirklich?
Eine Studie des Forschungsnetzwerks Cochrane soll angeblich beweisen, dass Masken im Kampf gegen das Coronavirus wenig bis nichts bringen. Doch einen solchen Schluss lässt das Papier nicht zu.
Der Nutzen eines Mund-Nasen-Schutzes gegen die Ausbreitung des Coronavirus ist seit langem Gegenstand hitziger Debatten. Fast gleichzeitig mit dem Wegfall der Maskenpflicht in Bussen und Bahnen sorgt nun eine Überblicksstudie des renommierten Forschungsnetzwerks Cochrane für Zündstoff.
Maskengegner freuen sich, denn sie sehen ihre Argumente durch die Studie wissenschaftlich bestätigt. So heißt es, die Cochrane-Studie beweise, dass Masken kaum oder gar nicht vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützten.
Auf einschlägigen Telegram-Kanälen geht man sogar noch weiter. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hätten eigentlich ganz andere Gründe gehabt. "Nun ist es offiziell... Maskenpflicht... es ging nie um Gesundheit, sondern um Kontrolle und Unterwerfung." Das rechtsextreme Magazin "Compact" schreibt von einem "miesen Spiel" der Politik.
Schlussfolgerung nicht zulässig
Dabei versucht Cochrane Deutschland durch eine Stellungnahme direkt gegen "allzu weitreichende Deutungen" in den sozialen Medien vorzugehen. Die Schlussfolgerung, dass die Ergebnisse der Studie beweisen würden, dass Masken im Kampf gegen Corona wenig bis nichts bringen, ist so nicht zulässig. Denn: "Die meisten Studien sind älteren Datums und beziehen sich auf die Übertragung von Influenza- und anderen Erkältungsviren, Studien aus der Corona-Pandemie bleiben in der Minderzahl."
In dem Cochrane-Papier untersuchten die Autorinnen und Autoren insgesamt 78 Studien, darunter Arbeiten zum Influenza-Virus, zum Covid-Erreger Sars-CoV-2 oder zum schweren akuten respiratorischen Syndrom (Sars). Die Mehrzahl der Erhebungen untersucht klassische Hochsaisons für Atemwegsviren bis ins Jahr 2016, nicht die Corona-Pandemie.
Vielzahl von Maßnahmen untersucht
Dabei beziehen sich die Studienergebnisse auf die Wirksamkeit aller nicht-pharmakologischen Maßnahmen - also nicht nur auf Masken, sondern auch auf Hygiene-, Isolations- oder Abstandsregeln. "Zum Nutzen von Gesichtsmasken kamen zu den neun Studien der letzten Version (November 2020) lediglich drei weitere Studien hinzu", schreibt Cochrane in der Stellungnahme.
Verfasser der Studie räumen "Forschungslücken" ein
Dennoch schreiben die Verfasser, dass das Tragen von Masken in der Bevölkerung wahrscheinlich einen geringen oder gar keinen Einfluss auf das Auftreten von Erkrankungen wie Grippe und Corona hat.
Allerdings grenzen auch sie die Aussagekraft der Ergebnisse ein. "Das hohe Risiko von Verzerrungen, die Unterschiede bei der Messung der Ergebnisse und das relativ geringe Befolgen der Maßnahmen während der Untersuchungszeiträume machen es schwer, eindeutige Schlüsse zu ziehen", betonen sie.
Wie gut Masken tatsächlich vor dem Coronavirus schützen, müsse dringend weiter untersucht werden. Die Autoren sprechen von "Forschungslücken".
Viele Einschränkungen
Auch Cochrane Deutschland erklärt: Zu bedenken seien bei der Interpretation der Ergebnisse auch mögliche "Einschränkungen und Fehlerquellen der zugrundeliegenden Studien". Dazu könnten etwa Mängel im Studiendesign zählen oder die "unzureichende Aussagekraft einiger Studien, weil diese während Zeiten mit einer geringen Viruszirkulation durchgeführt wurden".
Bei den Studien zu Masken sei die "nur schwer überprüfbare und vermutlich oft geringe Adhärenz beim Maskentragen, also die Frage, ob die Studienteilnehmenden ihre Masken wirklich regelmäßig und korrekt trugen," zu berücksichtigen.
Experte: Studie "wenig aussagekräftig"
"Die Cochrane-Studie ist wenig aussagekräftig", erklärt auch Eberhard Bodenschatz, Professor für Physik und Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Ein großes Problem der Studie sei, dass sie verschiedene Atemwegserkrankungen wie etwa Corona und normale Grippe zusammenführe. "Unsere Studien haben eindeutig gezeigt, dass Masken physikalisch ein wunderbarer Schutz sind", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Sie verbesserten den Infektionsschutz mindestens um den Faktor zehn bis hundert. Die verschiedenen Einzelstudien seien nicht vergleichbar.
Bodenschatz äußerte auch Kritik an den Autorinnen und Autoren: "In einem Satz schreiben sie, Masken wirken nicht, und einen Absatz später räumen sie ein, dass sie es eigentlich nicht sagen können." Diese Art der Kommunikation sei unglücklich.
Untersuchung zeige Minderheitenmeinung
Auch Mathias Pletz, Leiter des Instituts für Infektiologie und Krankenhaushygiene an der Uniklinik Jena, sieht die Studie kritisch. "Es gibt einige andere Metastudien, die zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen", etwa in den Fachzeitschriften Frontiers in Public Health oder The BMJ, sagte er tagesschau.de. Die jetzige Cochrane-Untersuchung sei eine Minderheitenmeinung in der Forscher-Community. "Aus Krankenhäusern ist beispielsweise sehr gut belegt, dass Masken dort vor Infektionen schützen." Das Problem sei, das Menschen Masken - vor allem im privaten Umfeld - nicht durchgängig tragen.
Es gebe viele Beweise, dass Masken sehr gut vor Infektionen schützen. Einer sei, dass es während der Pandemie nahezu keine Influenza und RSV-Fälle gegeben habe, weil die meiste Zeit Maskenpflicht geherrscht habe. Allerdings sei der Hauptautor der Cochrane-Studie bekannt dafür, bestimmte Schutzmaßnahmen sehr kritisch zu sehen. "Er hat aus seiner Ablehnung der Masken nie einen Hehl gemacht", so Pletz. Von daher sei das Ergebnis nicht überraschend.
Andere Studien belegen Wirksamkeit
Auch laut Bodenschatz belegen diverse wissenschaftliche Analysen schon lange, dass Masken vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen. So ergibt eine Überblicksstudie von Mitte 2020, die in der renommierten Fachzeitschrift "The Lancet" veröffentlicht wurde, dass Schutzmasken das Infektionsrisiko deutlich senken können.
Aus einer Ende 2021 im Fachblatt "PNAS" veröffentlichten Untersuchung, an der Bodenschatz maßgeblich beteiligt war, geht hervor, dass Masken das Infektionsrisiko erheblich senken können: Tragen eine nicht-infizierte und eine infizierte Person gut sitzende FFP2-Masken, beträgt das maximale Ansteckungsrisiko nach 20 Minuten demnach selbst auf kürzeste Distanz in einem Raum kaum mehr als ein Promille.
Anmerkung der Redaktion: In der ersten Version hieß es "..., dass Masken im Kampf gegen Corona wenig bis nichts bringen, sei so nicht zu lässig." Nachträglich wurde das Wort "sei" korrigiert zu "ist".
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen