Interview mit Aktivistin "Es gibt ein Interesse, BDS zu delegitimieren"
Man wolle Israel nicht mit dem früheren rassistischen Regime in Südafrika gleichsetzen, sagt Doris Ghannam von BDS-Berlin im Interview mit dem ARD-faktenfinder. Den Medien wirft sie vor, ein verzerrtes Bild von BDS zu transportieren.
ARD-faktenfinder: Was sind die Ziele von BDS?
Doris Ghannam: BDS fordert von Israel, das Völkerrecht zu respektieren und dass es die Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes beendet und die Mauer abreißt; das Grundrecht der arabisch-palästinensischen Bürger Israels auf völlige Gleichheit anerkennt; und die Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren, wie es in der UN Resolution 194 vereinbart wurde, respektiert, schützt und fördert. Dies sind drei Grundrechte, ohne die das palästinensische Volk sein unveräußerliches Recht auf Selbstbestimmung nicht ausüben kann.
BDS-Sprecherin Doris Ghannam bei einer Rede bei der PFLP
Die BDS-Bewegung fordert weder eine "Ein-Staaten-Lösung" noch eine "Zwei-Staaten-Lösung". Stattdessen konzentriert sich BDS auf die Verwirklichung von Grundrechten und die Umsetzung des Völkerrechts.
ARD-faktenfinder: Wie wollen Sie diese Ziele erreichen?
Ghannam: Wir beteiligen uns an der internationalen BDS-Kampagne und rufen dazu auf, alle Firmen und Organisationen, die von der Besatzung und Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung profitieren, solange zu boykottieren, bis Israel seiner Verpflichtung nachkommt, den Palästinenser das unveräußerliche Recht der Selbstbestimmung zuzugestehen, und zur Gänze den Maßstäben internationalen Rechts entspricht. Darüber hinaus rufen wir Anteilseigner, Portfolioverwalter und Aktienbesitzer auf, sich von Beteiligungen an diesen Firmen zu trennen.
Schließlich rufen wir einzelne Staaten, übergeordnete Staatenorganisationen und Regierungen dazu auf, Sanktionen solange gegenüber dem Staat Israel zu verhängen, bis es internationalem Recht und den universellen Prinzipien der Menschenrechte nachkommt.
BDS spricht von "Apartheid" in Israel.
ARD-faktenfinder: BDS vergleicht Israel immer wieder mit dem früheren rassistischen Regime in Südafrika. Viele Experten halten diesen Vergleich für eine Relativierung des Apartheidsregimes. In Südafrika hatten nur weiße, aber keine schwarze Menschen die Bürgerrechte; schwarze Menschen konnten weder hohe Richterposten oder Positionen an Universitäten einnehmen. Das gesamte öffentliche Leben war nach "Rassen" getrennt. Angesichts der gesellschaftlichen Realität in Israel: Halten Sie diesen Vergleich tatsächlich für gerechtfertigt?
Ghannam: Die internationale BDS-Kampagne wurde vom Kampf gegen Apartheid Südafrika inspiriert. Es geht also nicht um einen Vergleich. Wer das Apartheidsystem in Südafrika und in Israel miteinander vergleichen möchte, wird dabei Unterschiede, Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen finden. Eine Gleichsetzung dieser beiden Systeme ignoriert deren unterschiedliche Ausgangslage und geschichtliche Entwicklung. Wenn man das internationale Recht zur Grundlage nimmt, ist es für die Einordnung entscheidend, ob die Verhältnisse und Gesetze in einem Land den Kriterien für Apartheid, wie sie in der "Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid", auch im "Römischen Statut" festgehalten sind, entsprechen oder nicht. Bezogen auf Israel verweisen wir auf Adalah - Legal Center for Arab Minority Rights in Israel und deren Datenbank "Discriminatory Laws in Israel".
"Seit 1967 besetzte arabische Gebiete"
ARD-faktenfinder: BDS spricht in einer Erklärung davon, dass das Ziel das Ende der "Besatzung und Kolonisation allen arabischen Landes" sei. Ist damit das Westjordanland gemeint - oder das gesamte Gebiet des jüdischen Staates? In einer deutschen Erklärung ist von den Grenzen von 1967 die Rede, in einer internationalen Erklärung, die von deutschen BDS-Aktivisten unterzeichnet wurde, nicht. Was gilt?
Ghannam: Ähnlich wie zu der Frage zu Apartheid verhält es sich zu der Frage nach der Bedeutung der Formulierung "besetzte arabische Gebiete". Die Grundlage der BDS-Kampagne ist das internationale Recht. Entsprechend dieser Grundlage werden diese Begrifflichkeiten nicht von der internationalen BDS-Kampagne neu definiert oder gedeutet. Für die Bedeutung der verwendeten Begriffe ist einzig und allein die jeweilige Definition des internationalen Rechts relevant. Gemäß humanitärem Völkerrecht ist ein Besatzungsregime immer ein temporäres Militärregime. Dieses Ziel bezieht sich daher auf alle arabischen Gebiete, die 1967 von Israel militärisch besetzt wurden und bis heute von der UNO als "seit 1967 besetzte arabische Gebiete" bezeichnet werden: das palästinensische Westjordanland (inklusive Ostjerusalem) und der Gazastreifen; sowie die syrischen Golanhöhen.
Rede bei der PFLP
ARD-faktenfinder: Sie betonen, dass BDS stets gewaltfrei ist. Inwieweit kooperieren Sie mit der PFLP? Gibt es gemeinsame Aktionen oder Veranstaltungen?
Ghannam: Eine direkte Kooperation mit palästinensischen Parteien gibt es unseres Wissens nicht. Wie auf der Website von BDS Berlin nachzulesen ist, wurde BDS Berlin in den vergangenen Jahren zu zahlreichen Veranstaltungen und Aktionen eingeladen und hat über jeweils aktuelle BDS-Kampagnen informiert. Diese Veranstaltungen wurden von unterschiedlichen Gruppen, Organisationen oder Bündnissen in Berlin organisiert, darunter auch von palästinensischen Exil-Organisationen, die zu bestimmten Jahrestagen oder Anlässen stattfanden. So wurde BDS Berlin unter anderem zu folgenden Anlässen eingeladen: Gründungstag der PFLP, Gedenkveranstaltung zu Victor Jara, 14. Jahrestag der Ermordung von Abu Ali Mustafa, Gedenken an die "Nakba", internationaler Tag der Solidarität mit den palästinensischen Gefangenen, zu dem in Frankreich inhaftierten Gefangenen Georges Ibrahim Abdallah und zum "Tag des Bodens".
ARD-faktenfinder: Wie bewerten Sie die terroristischen Aktionen der PFLP gegen Israel?
Ghannam: Die BDS-Kampagne ist die erfolgreichste Kampagne für die Rechte der Palästinenser weltweit und wir wünschen uns daher, dass sie auch in Deutschland als eine Möglichkeit wahrgenommen wird, substantielle Veränderungen für die Rechte der Palästinenser voranzubringen.
Kämpfer der PFLP verbrennen in Gaza Flaggen der USA und Israels
ARD-faktenfinder: Selbst wenn BDS solche Bezüge vehement zurückweist: Können Sie nachvollziehen, dass bei Juden speziell in Deutschland Boykottaufrufe und -aktionen gegen den einzigen jüdischen Staat weltweit Assoziationen zur NS-Zeit aufkommen?
Ghannam: Ja, können wir, denn deutsche Medien sind voll von dieser unsäglichen Gleichsetzung. Wer sich nicht näher mit den Zielen der palästinensisch geführten internationalen BDS-Kampagne auseinandersetzt, kann aufgrund der bisherigen Berichterstattung in Deutschland auf die Idee kommen, sie sei mit dem Boykottaufruf der Nazis identisch. So steht es ja in Zeitungen und Berichterstattungen der meisten Medien.
Tatsächlich richtet sich die BDS-Kampagne nicht gegen jüdische Menschen, sondern gegen Firmen und Institutionen, die von der Unterdrückung der Palästinenser profitieren. Eine der aktuellen Kampagnen richtet sich gegen den US-amerikanischen IT-Riesen Hewlett Packard. HP spielt eine Schlüsselrolle bei der Bereitstellung von Technologien, die Israel gegen die palästinensische Bevölkerung einsetzt. Es ist dabei völlig unerheblich, ob die Verantwortlichen von HP Juden, Christen oder Muslime sind. Entscheidend dafür, dass HP zum Ziel der BDS-Kampagne geworden ist, ist die Beteiligung an den Menschenrechtsverletzungen gegen die Palästinenser.
ARD-faktenfinder: Was vermuten Sie steckt hinter dieser vermeintlich verzerrten Darstellung?
Ghannam: Es gibt offensichtlich ein Interesse daran die BDS-Kampagne zu delegitimieren. Wenn es diese Verzerrung nicht gäbe, könnte und müsste über die Gründe der BDS-Kampagne diskutiert werden. Warum wurde sie ins Leben gerufen? Was sind ihre Forderungen? Warum wird Israel als ein Apartheidsystem bezeichnet? Warum unterstützen so viele Menschen in Südafrika die BDS-Kampagne? Das wären doch mal spannende Themen für die Medien in Deutschland.
Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de