Vermeintliche Nachrichtenseite KI-Portal mit skurrilen Wortschöpfungen
Ein Onlineportal erweckt den Eindruck, mit einem großen Redaktionsstab Nachrichten zu produzieren. Bei genauerem Hinsehen fallen jedoch merkwürdige Wortschöpfungen auf. Denn die Autoren existieren gar nicht, dahinter steckt KI.
Sucht man auf Google News nach bestimmten Themen, so findet man immer öfter in den ersten Suchergebnissen Angebote des "Aussiedlerboten". Der "Aussiedlerbote" ist ein Medienprojekt, das von in Deutschland lebenden Russen gegründet wurde. Zeitweise hatte er sogar eine eigene Printausgabe. Das Nachrichtenportal wurde wegen seiner kritischen Berichterstattung über den Ukraine-Krieg in Russland verboten.
Schon seit Jahren gibt es auch eine deutsche Online-Ausgabe des "Aussiedlerboten". Wurde das Angebot anfangs redaktionell betreut, werden dort seit einigen Monaten ausschließlich Beiträge zu aktuellen Themen veröffentlicht, die den Eindruck erwecken, dass sie nicht von einem Menschen geschrieben oder redigiert worden sind.
Groteske Sprache und Illustrationen
Dort finden sich Überschriften wie "Warum die aktuelle Kritik an der DFB-Mannschaft unhinreissig ist" oder "David Schumacher jubilt Vatergas Coming-out - Endlich gefunden jemand".
Als Basis dienen offenbar Beiträge anderer Medien, die vom Aussiedlerboten "nachgebaut" werden. So beginnt ein Artikel über die Komikerin Ilka Blessin auf "stern.de":
Ilka Bessin über ihre Kindheit: "Papa kommt jetzt nach Hause und es gibt Prügel"
Hat Ilka Bessin sich als Kind falsch verhalten, führte das zu harten Reaktionen ihres Vaters. Prügel gehörten zu Bessins Alltag, wie die Komikerin jetzt in einem Interview erzählt.
Im "Aussiedlerboten" heißt es:
Ilka Bessin über ihre Kindheit: 'Vater kommt jetzt heim und da wird geschlagen werden'
Ilka Bessin verhielt sich schlecht als Kind, was zu scharfen Reaktionen ihrer Vater führte. Schlatterhänder waren Bestandteil des täglichen Leben's von Bessin, wie sie jetzt in einem Interview offenbart.
So wird der "stern.de"-Artikels Satz für Satz weiter verhunzt - inklusive der Zwischenüberschriften. Illustriert wird das ganze durch eine groteske KI-Abwandlung des Originalfotos, in dem Ilka Bessin zu einem stoppelbärtigen Bodybuilder mutiert.
23 "Autoren", die acht Sprachen nicht beherrschen
Als "Autor" des Machwerks wird ein Mark Rodriguez aus Leipzig genannt. Insgesamt 23 solcher "Mitarbeiter" konnte der ARD-faktenfinder auf der Seite entdecken. Fast alle von ihnen haben einen X-Account, der im Dezember 2023 angelegt wurde, und auf dem seitdem auch nicht viel Aktivität festzustellen ist. In den meisten Profilbildern ist das Gesicht von der Kamera abgewandt oder verdeckt, andere erscheinen künstlich oder wurden von anderen Websites kopiert.
Bedenkt man, wie schwer sich die angeblichen Autoren mit der deutschen Sprache tun, ist es erstaunlich, wie polyglott sie sich gleichzeitig geben: Sie veröffentlichen parallel auch auf Englisch, Italienisch, Rumänisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch und Türkisch.
IT-Firma betreibt inzwischen Portal
Laut der Homepage wird der "Aussiedlerbote" von der "Stratera Mediengroup" betrieben. Diese besitzt zwar einen YouTube-Kanal sowie eine Telegram- und Facebook-Präsenz, ansonsten ist zu ihr im Netz aber nichts zu finden. Im Impressum findet sich jedoch eine libersave.com GmbH, vertreten durch Lev Aronovich, eine Firma die laut Homepage Gutscheine und Geschenkkarten vertreibt. Sie residiert unter der gleichen Adresse wie die Aussiedlerbote GmbH.
Lev Aronovich war zusammen mit Vitaly Aronovich und den ursprünglichen "Aussiedlerbote"-Gründer Eugen Gebtin Geschäftsführer einer inzwischen liquidierten IT-Firma. Geblin hielt zeitweise Anteile an der libersave.com GmbH.
Gegenüber dem ARD-faktenfinder erklärt Aronovich das Vorgehen des "Aussiedlerboten": "Da sich die Firma libersave in erster Linie mit IT-Entwicklungen, einschließlich neuronaler Netze und dem, was heute als Künstliche Intelligenz bezeichnet wird, beschäftigt, haben wir die Medienressource Aussiedlerbote erworben, um Experimente im Zusammenhang mit der Entwicklung von Sprachmodellen und deren Anwendung im Medienbereich durchzuführen."
Kein Plagiat, sondern "Experiment"
Unter anderem wolle man damit "die Unvollkommenheiten des aktuellen Zustands der Medieninhaltsproduktion und die Mängel der Suchalgorithmen aufzeigen, die auf einem völlig intransparenten System der Traffic-Verteilung zwischen Nachrichtenressourcen basieren", so Aronovich.
Den Vorwurf, andere Medien zu plagiieren, weist er zurück: "Als Quellen für unsere Materialien verwenden wir nur Inhalte von angesehenen Publikationen. Wir bearbeiten und ergänzen diese tiefgreifend, daher kann man dies nicht als Plagiat bezeichnen. Wir sind in erster Linie ein IT-Unternehmen und nehmen die Anforderungen des Urheberrechts sehr ernst" - eine Aussage, die von den als Quellen herangezogenen Medien bezweifelt werden könnte.
Aronovich erklärt zudem, dass absichtlich satirische Bilder anstelle von Fotos verwendet werden. Was zum Beispiel im Fall eines während eines Polizeieinsatzes erschossenen Geflüchteten äußert pietätlos wirkt:
Autoren sind frei erfunden
Aronovich gibt zu, dass es die angegebenen "Autoren" nicht gibt: "Diese sind fiktive Persönlichkeiten, die in Wirklichkeit nicht existieren, aber wir benennen unsere Entwicklungen in den Sprachmodellen nach ihnen." Deren Profile in den sozialen Netzwerken seien erstellt worden, um zu überprüfen, wie deren Vorhandensein die Suchmaschinenergebnisse für Schlüsselanfragen beeinflusst.
Man werde dies nun transparent machen, erklärte Aronovich gegenüber dem ARD-faktenfinder. Dass durch sein Experiment die journalistische Reputation der russischsprachigen Redaktion des "Aussiedlerboten" beschädigt wird, fürchtet er nicht: Man sei ein technisches Unternehmen und erhebe nicht den Anspruch, mit professionellen Journalisten zu konkurrieren. Nach der Anfrage des ARD-faktenfinders wurde das Impressum von "aussiedlerbote.de" geändert. Dort heißt es nun:
Liber Save ist ein Technologieunternehmen. Wir sind kein gewöhnliches Medienunternehmen, unsere Autoren sind virtuell, diese Menschen existieren nicht. Wir entwickeln Software für professionelle Journalisten, und dieses Nachrichtenprojekt ist eines unserer Experimente: Wir wollten die Groteske und die Unvollkommenheit der modernen Welt zeigen. Dies wird in unseren Illustrationen im Stil alter Comics deutlich. Wie alle "normalen Menschen" machen auch unsere "Autoren" Fehler und übertreiben manchmal. Entschuldigen Sie uns dafür. Aber sie "wachsen über sich hinaus" und "lernen schnell". Wenn Sie die Welt aus einem unkonventionellen Blickwinkel sehen möchten, bleiben Sie bei uns! (sic!)