Europawahl 2024
Italien "Giorgia" als Europawahl-Strategie
Italiens rechte Regierung sitzt fest im Sattel. Das will Giorgia Meloni für die Europawahl nutzen und sich dabei als Marke inszenieren. Auch wenn sie kaum nach Brüssel gehen wird, könnte das Kalkül aufgehen.
"Giorgia, Giorgia!", jubeln die Anhänger der "Fratelli d'Italia" ihrer Vorsitzenden zu. Es ist Wahlkampf in Italien, die Regierungspartei hat sich zum Auftakt die Adria-Stadt Pescara ausgesucht. Hinter einer durchsichtigen Folie sind das blaue Meer und der Strand zu sehen, auf der Bühne kündigt Meloni ihre Spitzenkandidatur bei der Europawahl an:
Wenn Ihr mir sagen wollt, dass Ihr immer noch an mich glaubt, würde ich mich freuen, wenn Ihr auf den Wahlzettel ganz einfach 'Giorgia' schreibt. Denn ich werde immer nur eine von Euch sein.
Immer, so betont die Regierungschefin, werde sie eine Person sein, die man dutzt - ohne Formalitäten, ohne Distanz. Jahrelang sei sie wegen ihrer einfachen Wurzeln ausgelacht worden. "Sie haben mich Fischweib, Marktfrau, Proletin genannt", ruft Meloni ins Publikum.
Sie seien zwar gebildet, das sehe man an ihrer Kunst, zu argumentieren. "Doch, was sie nie verstanden haben: Ich war immer, bin und werde immer stolz sein, eine Person des Volkes zu sein."
Italien kennt Scheinkandidaturen
Meloni wirkt entspannt und gleichzeitig kämpferisch. Rechtlich ist es möglich, bei der Europawahl für sie zu stimmen - auch mit ihrem Vornamen. Doch sie wird nicht nach Straßburg gehen, davon gehen jedenfalls alle aus. Auch Elly Schlein von der Oppositionspartei, dem Partito Democratico, tritt zwar bei der Europawahl an, wird danach aber höchstwahrscheinlich in Italien bleiben.
Diese Scheinkandidaturen, so meint der Politikwissenschaftler Andrea De Petris vom Centrum für Europäische Politik, seien leider eine schlechte Gewohnheit in Italien. Viele Politiker würden nur kandidieren, um die Partei zu unterstützen.
Die Regierungschefin Meloni wirbt mit sich selbst, mit "Giorgia" als Marke. De Petris sieht das kritisch und hält es für "sehr populistisch": "Es geht nicht mehr um Italien, um die Partei oder um das Programm, sondern es geht um meine Person, sogar mit Vornamen" - das sei das Signal, das von der Strategie ausgehe.
Europas Mehrheiten verschieben
In der Wählergunst liegen die "Brüder Italiens" weit vorne, bei Umfragen erreichen sie über 27 Prozent. Mehr als noch bei der Parlamentswahl vor eineinhalb Jahren. Mit dem Slogan "Italien verändert Europa" will Meloni nun auch die Machtverhältnisse in der EU verschieben - das wäre, so sagt sie wörtlich, eine echte Revolution. Eine Revolution, für die die europäischen Konservativen eine strategische und grundlegende Rolle spielen würden.
Ihren Anhängern verspricht sie: "Wir wollen in Europa genau das tun, was wir am 25. September 2022 in Italien getan haben: eine Mehrheit schaffen, die die Mitte-Rechts-Kräfte vereint und die die Linke endlich auch in Europa in die Opposition schickt."
In diesen Wahlen sieht die 47-Jährige eine Chance, ihre Position zu stärken und auszubauen. Nach Einschätzung des Politikexperten De Petris möchte sie den Eindruck erwecken, dass sie tatsächlich die Lenkerin, die Führerin in Italien ist - und damit diese starke Rolle nach Europa bringen.
Ebenso innerhalb ihrer eigenen Regierungskoalition: Die "Forza Italia" kommt dem Wahlforschungsinstitut YouTrend zufolge auf 8,7 Prozent und liegt damit noch vor der Lega bei aktuell 8,3 Prozent.
Salvini setzt auf ähnliche Strategie
Lega-Chef Matteo Salvini ist unter Druck und versucht es mit Roberto Vannacci als Spitzenkandidaten. Dieser ist in den vergangenen Monaten immer wieder mit homophoben, fremdenfeindlichen und rassistischen Äußerungen aufgefallen. Der 55-Jährige hat im italienischen Heer gedient, ist aber für elf Monate als General suspendiert.
Denn ohne Wissen der Regierung hatte er ein Buch veröffentlicht, in dem er unter anderem Homosexuelle, Feministinnen und Einwanderer verunglimpft. Vannaccis Worten nach besteht kein Zweifel daran, dass eine Welt ohne Identität eine verkehrte Welt sei.
Und genau das sei, "was uns Europa in den letzten Jahren leider geboten hat. Eine Welt, die wir selbst nicht mehr erkennen können und der wir uns nicht zugehörig fühlen."
Auch innerhalb der Lega hat sich heftiger Widerstand gegen Vannacci formiert, doch Salvini hält an ihm fest. Das sei Kalkül, meint Politikexperte De Petris: Salvini habe verstanden, dass jetzt die regulären Konservativen eher in Richtung Meloni gehen.
Er wolle versuchen diejenigen, die kritisch in Bezug auf Europa sind, zu gewinnen. Ein Kalkül, das allerdings riskant ist: Sollte Salvinis Strategie nicht aufgehen, seine eigene Position bei der Europawahl zu stärken, könnte das sein Ende als Chef der Lega bedeuten.