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Europawahl 2024

Manfred Weber
Europawahl

Spitzenkandidat der CSU Der Königinnenmacher

Stand: 05.06.2024 08:22 Uhr

An Manfred Weber, dem Partei- und Fraktionschef der christdemokratischen EVP im EU-Parlament, kommt in Brüssel auch nach den Europawahlen am 9. Juni niemand vorbei. Aber was sind seine Pläne?

Manfred Weber stammt aus einem kleinen Dorf im Landkreis Landshut. Der 51-jährige CSU-Politiker pendelt immer noch zwischen seiner niederbayerischen Heimat und den Sitzen des Europäischen Parlaments in Brüssel und Straßburg.

Das begründet seinen Ruf als bodenständiger Politiker, als "Bayer für Europa", wie er sich selbst nennt. Dabei zählt Weber als Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) zu den am besten vernetzten und mächtigsten Politikern in Brüssel.

Zu seiner Parteienfamilie gehören zwölf der 27 Staats- und Regierungschefs und -chefinnen der EU. Mit ihnen bespricht Weber sich regelmäßig. Die von ihm geleitete EVP-Fraktion, in der die Europaabgeordneten von CDU und CSU sitzen, ist die größte im Europäischen Parlament.

Bierzelt und Gespräch

Weber kann Bierzelt - wenn er muss: Mitte Februar steht er im Lodenjanker am Rednerpult beim Politischen Aschermittwoch der CSU in Passau und teilt gegen die Ampelkoalition aus. Aber er wirkt dabei nicht so, als sei er in seinem Element. Er ist kein Polterer und Polarisierer.

Bei Wahlkampfauftritten in Bayern und europäischen Hauptstädten versucht Weber vor allem, im direkten Gespräch zu überzeugen. Anfang des Jahres besuchte er auch die Ukraine und kam nach der Unterredung mit Präsident Wolodymyr Selenskyj sichtlich beeindruckt zurück.

Nach Ansicht des Christsozialen hat Russlands Einmarsch in der Ukraine Europa wachgerüttelt. Im Wahlkampf wirbt Weber dafür, "Europa so stark zu machen, dass sich keiner mit uns anlegt" - indem die Mitgliedstaaten mehr für Verteidigung ausgeben und Waffen und Ausrüstung gemeinsam kaufen.

Zwei Arten von Spitzenkandidaten

Der Begriff "Spitzenkandidat" kann verwirrend sein, denn er bedeutet im Kontext der Europawahlen zweierlei: 
Einerseits steht er für die Listenersten der deutschen Parteien, die bei der Europawahl antreten. Entsprechend dieser Listen werden die Spitzenkandidaten bei ausreichender Stimmzahl als erste für ihre Partei ins EU-Parlament gewählt.
Andererseits steht der mittlerweile europaweit verwendete Begriff für jene Person, die von den europäischen Parteizusammenschlüssen im Europaparlament als Kandidat oder Kandidatin für den Chefposten der "EU-Regierung", den Präsidentenposten der Kommission, nominiert wurde.
Manche Europapolitikerinnen sind beides: Spitzenkandidatin ihrer deutschen Partei und für die Kommissionspräsidentschaft.

Mehrheitsbeschaffer

Beim nachhaltigen Umbau Europas will Weber mehr Rücksicht auf die Wirtschaft nehmen. Unter seiner Führung hat die EVP-Fraktion zuletzt wichtige Umweltgesetze blockiert. Mit Blick auf das faktische Aus für Verbrennungsmotoren bei Neufahrzeugen ab 2035 legt Weber den Rückwärtsgang ein.

Das soll konservative Wählerinnen und Wähler beruhigen. Dabei nimmt Weber in Kauf, auf Distanz zum "Green Deal" zu gehen, dem Vorzeigeprojekt der EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Weber nun eine Mehrheit für jene Frau organisieren soll, der er vor fünf Jahren im Rennen um den Kommissions-Spitzenposten den Vortritt lassen musste.

Machtbasis ausgebaut

Bei der Europawahl 2019 war Weber Spitzenkandidat, und die EVP bekam die meisten Stimmen. Trotzdem scheiterte er am Veto des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der ihm wegen fehlender Regierungserfahrung und mangelndem Charisma die Eignung absprach. Weber tauchte wochenlang ab - und mit Bart wieder auf. Wie sehr ihn dies traf thematisierte er nicht öffentlich. Stattdessen baute er seine Machtbasis stetig aus.

Dabei konnte er sich lange nicht dazu durchringen, die Rechtsstaatsverächter der ungarischen Fidesz-Partei aus seiner Fraktion zu werfen. Sie kommen einem Ausschluss schließlich durch Austritt zuvor.

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder kritisierte Weber zudem wegen dessen Kontakten zur rechten italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni. Außerdem geriet Weber in Schwierigkeiten, weil er neben seinen Abgeordetendiäten ein Gehalt als Parteichef bezog.

Brücken bauen - auch nach rechtsaußen?

Das EU-Parlament wählte von der Leyen 2019 nur mit knapper Mehrheit zur Kommissionspräsidentin. Nach der Wahl am 9. Juni könnte es noch enger werden. Weber, der sich gerne als Brückenbauer bezeichnet, sucht deshalb nach neuen Partnern - auch am rechten Rand: Er schließt eine Zusammenarbeit mit Melonis "Fratelli d’Italia", einer Partei mit postfaschistischen Wurzeln, nicht aus: "Für mich stellt sich die Frage, mit wem wir in Europa Mehrheiten organisieren können, um etwas Konstruktives voranzubringen."

Aus seiner Sicht besteht Meloni den "Weber-Test": Kooperation nur mit Kräften, die für Europa, die Ukraine und den Rechtsstaat eintreten. In Webers Umfeld registriert man mit Interesse, dass Söder bei seinem Rom-Besuch Anfang Mai eine engere Zusammenarbeit mit Meloni vereinbart und damit auf die Linie des EVP-Fraktionschefs einschwenkt.

Kurs gehalten

Weber ist einer der Stellvertreter des CSU-Vorsitzenden Söder - dabei verbindet den Sachpolitiker in Brüssel und den Machtpolitiker in München wenig. Zu sehr unterscheiden sie sich im Stil und in den politischen Botschaften. Die Rivalität zwischen beiden reicht zurück bis in die gemeinsamen Zeiten in der Jungen Union vor 20 Jahren.

Kurz danach ging Weber als Abgeordneter nach Straßburg und Brüssel. Seine Glaubwürdigkeit beruht darauf, dass er in der CSU auch in schwierigen Zeiten für ein starkes Europa eintritt - etwa während des Wahlkampfes 2014, als seine Partei auf europakritische Töne setzte und verlor. Weber sah sich bestätigt: "Die Strategie war falsch", sagte er.

Seitdem gibt er in der Europapolitik der CSU den Ton an - und innerhalb der christdemokratischen Parteienfamilie in Europa. Damit könnte der Partei- und Fraktionschef der EVP nach der Wahl zum "Königinnenmacher" werden - wenn diesmal alles nach seinem Plan läuft.