US-Wahl 2024
US-Wahl 2024 "Ermächtigung zu einer radikalen Agenda"
Trumps Wahlsieg geht vor allem auf wirtschaftliche Abwägungen vieler Wähler zurück, sagt die US-Expertin Clüver Ashbrook. Harris habe darauf zu komplexe Antworten gegeben. Die USA und die Welt müssten sich auf einen wie entfesselt regierenden Trump einstellen.
tagesschau.de: Donald Trump hat sich zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt. Was hat in Ihren Augen den Ausschlag gegeben?
Cathryn Clüver Ashbrook: Die Wähler von Donald Trump wird vor allen Dingen die Wahrnehmung der eigenen Situation stark motiviert haben. Umfragen haben schon früh in diesem Jahr gezeigt: Ein großer Teil von Republikanern und ein kleinerer Teil von Demokraten konnte sich mit der Idee anfreunden, einen starken Mann oder sogar das Militär an der Spitze ihres Landes zu sehen.
Und so wird eine Gemengelage aus dem Empfinden, dass das Land einen neuen Weg einschlagen muss und aus der Analyse der eigenen wirtschaftlichen Situation die Wähler bewogen haben, für Trump zu stimmen, vor allem in den Swing States.
Umgekehrt hat das Argument der Demokraten eines "Weiter so mit Stabilität", aber mit einer neuen Führungspersönlichkeit, bei den gemäßigten Republikanern vermutlich nicht verfangen. Die haben zum Schluss wohl doch das Kreuz bei Trump gemacht und sich nicht als Wechselwähler entpuppt.
"Das Gefühl, wirtschaftlich den Anschluss zu verpassen"
tagesschau.de: Warum ist es Kamala Harris nicht gelungen, mehr Wähler anzusprechen, wenn faktisch die wirtschaftliche Lage des Landes gar nicht so schlecht ist?
Clüver Ashbrook: Bei der Wahrnehmung der eigenen wirtschaftlichen Lage und Sicherheit geht es zum Beispiel um die Preise für Konsumgüter. Es geht um die teure Kinderbetreuung oder um die Immobilienpreise, die sich auch nach der Zinssenkung der Fed noch nicht in billige Darlehen für alle festmachen lassen - das wird auch besonders Wähler in Städten motiviert haben, wo er dazugewonnen zu haben scheint.
Das sind immer noch Folgen der Wirtschaftskrise von 2008 und 2009, die auch durch die Pandemie beschleunigt wurden. Für viele Menschen hat das einen Jobverlust oder Arbeitswechsel mit sich gebracht und das Gefühl der eigenen Unsicherheit und der Bevormundung durch den Staat verstärkt.
Nehmen Sie den Swing State Pennsylvania und besonders die Region um Philadelphia - dort sind Konsumgüter nach der Pandemie so teuer wie in fast keinem anderen Teil der USA. Hier konnten die Wähler wohl nicht miteinander in Einklang bringen, dass die amerikanische Wirtschaft insgesamt in einer starken Verfassung ist, sie selber aber das Gefühl haben, wirtschaftlich den Anschluss zu verpassen. Hier geht es auch um den persönlichen Status, der in den USA stark mit der wirtschaftlichen Stellung verbunden ist.
"Das klassische Problem der Demokraten"
tagesschau.de: Hat Harris in dieser Gemengelage Fehler in ihrer Kampagne gemacht und nicht klar genug Antworten auf diese Fragen gegeben?
Clüver Ashbrook: Harris hatte das klassische Problem der Demokraten. Sie hat versucht, mit Fakten Klartext zu schaffen in einer Situation, in der die Amerikaner fast nur noch Bilder, Emotionen und Kurztext wollten. Was sie in ihren 93 Seiten Wirtschaftsprogramm aufgeschrieben hat, brachte eine im Sinne der Demokratischen Partei klassische Komplexität mit sich. Die lässt sich nicht mit einfachen Botschaften erklären. Und wenn Harris gefragt wurde, was ihre Botschaft sei und was sie anders als Joe Biden machen würde, setzte sie zu langen Erklärungen an. Die waren offenbar für viele Wähler schon zu viel - das sehen wir zumindest jetzt am Ergebnis.
Auf der anderen Seite konnte Trump mit ganz einfachen populistischen Botschaften weiterhin punkten: Er werde Amerika wieder groß machen, er werde Amerikas Wirtschaftskraft wiederbeleben. Wie er das machen will, scheint für seine Wähler zweitrangig gewesen zu sein. Harris wollte immer in die Beweisführung gehen und erklären. Da wird sie bestimmte Menschen einfach verloren haben.
Cathryn Clüver Ashbrook ist Leiterin des Future of Diplomacy Projects an der Harvard Universität. Die Deutsch-Amerikanerin ist Expertin für Außenpolitik und hat viele Jahre als Journalistin gearbeitet.
Unvereinbare Dinge doch miteinander vereinbar
tagesschau.de: Wenn die wirtschaftliche Lage gefühlt so schlecht ist, hätte Trump da nicht sogar stärker abschneiden müssen?
Clüver Ashbrook: Dafür waren seine Botschaften zu radikal - und die misogynen, also frauenfeindlichen Äußerungen einfach zu heftig. Wir sehen in dieser Nacht übrigens, dass in vielen Bundesstaaten, wo zusätzlich über das Abtreibungsrecht abgestimmt werden konnte, die Wähler das Recht auf Abtreibung in die Verfassung ihrer Bundesstaaten geschrieben und doch mehrheitlich Trump gewählt haben - obwohl das eine das andere auszuschließen scheint. Aber man muss auch konstatieren, dass der Erfolg Trumps in vielen Bundesstaaten knapp war.
"Fundamentale Abkehr von Politik Reagans"
tagesschau.de: Was geschieht jetzt? Es deutet sich an, dass die Republikaner auch die Mehrheit im Senat und möglicherweise auch im Repräsentantenhaus gewinnen. Was bedeutet das für die Regierungsarbeit?
Clüver Ashbrook: Dieser Erfolg wird zum einen eine Ermächtigung zu einer Agenda sein, die radikaler nicht sein könnte und die sich abhebt von klassischer republikanischer Politik. Es wird eine fundamentale Abkehr von der konservativen Politik eines Ronald Reagan sein.
Wir wissen aus dem Leitfaden "Project 2025", wie jedes Ministerium umgebaut werden soll. Es wird darum gehen, die bürokratische Klasse auszuhebeln, das Justizministerium unter die Kontrolle des Weißen Hauses zu stellen. Im Senat wird interessant werden, wer der Senatssprecher wird und das Erbe von Mitch McConnell antritt. Diese Person wird alles ermöglichen, was Trump über diese Ebene spielen möchte.
Er hat schon gedroht, einen Haushalt abzulehnen, wenn der Kongress die Ukraine weiter stark unterstützen will. Er würde außerdem Gesetzesvorhaben des Kongresses aushebeln, die ihm nicht passen. Das hat es in der Geschichte der USA und in dem Verständnis der Gewaltenteilung nie gegeben. Aber in Trump sehen wir jemanden, der in jeder Weise versucht, die politischen Normen zu brechen und die politischen Traditionen Amerikas zu entwerten.
"Keinen Schranken mehr ausgesetzt"
tagesschau.de: Wird es dann wie in seiner ersten Amtszeit nicht zuletzt auf sein Umfeld, seine Berater ankommen?
Clüver Ashbrook: In seiner ersten Amtszeit hatten die "Erwachsenen im Raum" noch einen regulierenden Einfluss auf das Chaos von Trump. Jetzt könnte er ein völlig unregulierter Mann im Oval Office sein, der erratisch agiert, seine Berater gegeneinander antreten lässt und der vor allen weder von einem republikanischen Senat noch von einem gegebenenfalls auch republikanischen Repräsentantenhaus in die Schranken verwiesen wird.
"Dinge, die auch die Wähler wollen"
tagesschau.de: Sie befürchten, dass Trump nun wie entfesselt regieren wird?
Clüver Ashbrook: Absolut. Das hat er in allen Wahlkampfauftritten angekündigt. Das kündigt auch Kevin Roberts an, der Chef der Heritage Foundation, die hinter dem "Project 2025" steht. Dieser sagt, es komme die zweite amerikanische Revolution, die nur dann unblutig ablaufen werde, wenn die Liberalen es zulassen.
Jeder, der das Manifest gelesen hat, der die Aussagen von Trumps eigenem Think Tank America First Policy Institute und das Parteiprogramm der Republikanischen Partei kennt, wird dort alle diese Punkte finden.
Das sind Dinge, die auch seine Wähler und Unterstützer sehen wollen - wenn Trump zum Beispiel sagt, er werde Diktator für einen Tag sein und werde nach fossilen Brennstoffen bohren, Amerika aus den multilateralen Institutionen herauslösen, die NATO faktisch stilllegen und die Europäer nur dann im Sinne der Beistandsklausel der NATO beschützen, wenn sie zahlen.
Trump wird versuchen, die NATO und Europa zu instrumentalisieren und die Europäer gegeneinander auszuspielen. Das finden Sie alles im Manifest. Darauf hat er sich vorbereiten lassen. Dafür hat er einen Bauplan bekommen. Und wenn er in der Tat so entfesselt agieren wird, wie es zurzeit möglich zu sein scheint, wird dies der Beginn des Umbaus in eine Exekutivdiktatur und damit das funktionale Ende der amerikanischen Verfassungsdemokratie, wie wir sie kennen.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de