Politologe zu US-Politik "Der Trumpismus ist quicklebendig"
Dass US-Präsident Trump noch abgesetzt wird, hält Politikwissenschaftler Lohmann für unwahrscheinlich. Trump sei das Symptom dafür, dass die Republikaner sich immer weiter nach rechts entwickelten, sagt er im tagesschau24-Interview.
tagesschau24: Wie überraschend war gestern für Sie, dass die Trump-Anhänger soweit gehen und das Kapitol stürmen?
Sascha Lohmann: Es ist nicht überraschend, weil der Präsident ja auf der Kundgebung zuvor seine Anhänger aufgewiegelt hat. Die Planungen in den einschlägigen Foren scheinen auch dazu gelaufen zu sein. Wenn man zurückschaut auf die vergangenen vier Jahre, ist es auch nicht überraschend. Trump hat mit so viel Missinformation und Unwahrheiten seine Anhänger immer wieder dazu aufgerufen, die sogenannte herrschende Klasse anzugreifen. Aber dennoch: Die gestrigen Ereignisse sind natürlich schockierend. Ich habe selbst mal im Kapitol gearbeitet. Und wenn man sieht, wie die "heiligen Hallen" dieser Demokratie dort quasi entweiht wurden, dann ist es natürlich schon sehr schockierend.
tagesschau24: Es gab Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen. Haben Sie sich auch darüber gewundert?
Lohmann: Das Problem ist, dass Washington D.C. kein eigenständiger Staat ist. Das heißt, man ist abhängig von den Sicherheitskräften des Bundes. Man hat ja auch die Sicherheitskräfte der benachbarten Bundesstaaten gerufen, das heißt, man ist hier mit der eigenen Polizei - der Kapitolspolizei und der sogenannten Metropolice des District of Columbia - komplett überfordert gewesen. Aber dennoch ist es erstaunlich, dass nicht ausreichend Sicherheitskräfte vor Ort waren. Es gibt aber auch Bilder, die zeigen, wie deeskalierend die Einsatzkräfte gewirkt haben. Und das trug sicherlich auch dazu bei, dass man nicht aktiv versucht hat, diesen Durchbruch und diese Erstürmung zu verhindern.
Geordnete Übergabe - "nur ein kleiner Teil der Wahrheit"
tagesschau24: Nun hat der Kongress die Wahl Joe Bidens heute ja trotzdem bestätigt wie erwartet. Trump hat seinen Sprecher sagen lassen, dass er für eine geordnete Übergabe sorgen wird. Wie schätzen Sie das ein? Kann man ihm trauen?
Lohmann: Eine geordnete Übergabe bei der weiterhin nicht bestehenden Einsicht, die Wahl verloren zu haben - was übrigens für Trump sehr sinnbildlich ist, er will sich niemals als Verlierer darstellen - da ist keine normale Übergabe zu erwarten. Trump wird formal wahrscheinlich alle möglichen notwendigen Schritte einleiten. Aber es wird sicherlich die symbolische Komponente fehlen, zum Beispiel, dass er bei der Amtseinführung dabei sein wird. Alles, was wir kennen von vorherigen Amtsübergaben, das sehe ich nicht, dass das so sein wird. Aber die Übergabe ist bisher nicht 100 Prozent ordnungsgemäß verlaufen. Man hat relativ lange blockiert - Gelder, die zur Übergabe notwendig sind, bestimmte Informationen. Das heißt, wenn der Präsident sagt, er wird eine geordnete Übergabe ermöglichen, dann ist es natürlich nur ein ganz kleiner Teil der Wahrheit.
"Man wird den Protagonisten nicht vor die Tür setzen"
tagesschau24: Es wird ja auch über eine Absetzung Trumps diskutiert. Wir erinnern uns an das gescheiterte Impeachment-Verfahren. Wie realistisch wäre das jetzt?
Lohmann: Mit dem Verfassungszusatz Nummer 25 könnte man den Präsidenten für unfähig erklären, das Amt auszuüben. Man könnte auch noch mal ein Amtsenthebungsverfahren starten. Zweidrittelmehrheiten in beiden Kammern des Kongresses wären dafür nötig. Ich sehe das allerdings nicht. Auch wenn Sie sich angucken, wie viele Republikaner immer noch bei der sogenannten objection, also dem Widerspruch zu der Zertifizierung des Wahlergebnisses aus zwei Bundesstaaten, gestern Abend für Trumps Linie gestimmt haben, sehe ich das skeptisch. Der Trumpismus ist quicklebendig in der Republikanischen Partei. Das heißt, hier wird man den Hauptprotagonisten nicht vor die Tür setzen.
"Trump ist ein Symptom" der Entwicklung nach rechts
tagesschau24: Warum setzen einige Republikaner immer noch auf Trump?
Lohmann: Sie haben konsequent eine Radikalisierungsentwicklung weitergeführt, die Mitte der 1960er-Jahre an Fahrt aufgenommen hat. Trump ist ein Symptom dieser Entwicklung, dass man sich immer weiter nach rechts bewegt hat, dass man immer weniger versucht hat, seine Wählerklientel auch auf andere Schichten als die klassische weiße Arbeiterschicht auszuweiten. In dieser Sackgasse sind die Republikaner gefangen. Es wird spannend zu sehen, inwiefern sie sich davon befreien können. Weil wir letzten Endes immer noch mit dem Fakt leben müssen, dass fast 80 Millionen Wahlberechtigte in den Vereinigten Staaten Trump die Stimme gegeben haben. Und das wissen auch die republikanischen Abgeordneten. Diese Anhängerschaft wollen sie auch nicht verprellen.
"Es gibt keine gemeinsame Objektivität"
tagesschau24: Schauen wir auf die andere Seite: auf die Demokraten. Wird Biden es schaffen, Amerika etwas wiederzuvereinen?
Lohmann: Der Anspruch ist sicherlich da. Den hatte ja auch US-Präsident Barack Obama vor ihm. Es wird ihm wahrscheinlich ein bisschen so gehen wie Obama, dass er diesem Anspruch nicht gerecht werden wird. Wir haben es ja mit mehreren Problemen zu tun, hauptsächlich mit diesen geteilten Informationswelten: Die Anhänger des Präsidenten, die Biden für eine Vereinigung oder eine Heilung, wie er es immer nennt, gewinnen müsste, leben eigentlich in einem ganz anderen medialen Ökosystem. Die können fast gar nicht mehr erreicht werden, das ist ein riesiges Problem. Es gibt keine gemeinsame Objektivität, und das erschüttert die Grundfesten dieser Demokratie. Dass man sich nicht auf Fakten einigen kann, wie zum Beispiel, wer die Wahl gewonnen hat. Und das sind grundsätzliche Probleme dieser Demokratie. Das sind grundsätzliche Probleme, die dem Anspruch Bidens entgegenstehen, das Land wirklich zu einen.
Das Interview führte Michail Paweletz. Das Gespräch wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.