Europaparlament diskutiert Umgang mit Ungarn Zwischen Empörung und Zurückhaltung
Im EU-Parlament ist heftigst über die umstrittenen Verfassungsänderungen der rechtskonservativen Regierung in Ungarn diskutiert worden. Neben möglicher Verfahren ist auch die schärfste Waffe ins Spiel gebracht worden, die die EU gegen undemokratische Tendenzen einsetzen kann: ein Stimmrechtsentzug. Doch die Konservativen zeigen sich zurückhaltend.
Von Christoph Prössl, NDR-Hörfunkstudio Brüssel
Ungarn drohen drei neue Vertragsverletzungsverfahren. Das hat EU-Kommissarin Viviane Reding im EU-Parlament angekündigt. Reding sagte, die Kommission sei gewillt, Verfahren zu eröffnen, wenn die Regierung in Budapest nicht einlenkt. Es geht um die Unabhängigkeit der Gerichte, die Wahlwerbung und um die Bezahlung von Geldbußen.
Die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban plant, dass es umgehend Steuererhöhungen gibt, sobald Ungarn durch die EU eine Geldbuße auferlegt wird. Kritik kommt vom Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten im Europaparlament, Hannes Swoboda: "Und in keinem Rechtsstaat ist es zulässig, den Bürger dafür zu bestrafen, dass seine Regierung das Recht verletzt und vielleicht vor den Europäischen Gerichtshof gebracht werden kann."
Lange Liste der Kritik
Doch die Liste der Kritik ist noch viel länger. "In keinem Rechtsstaat ist es zulässig, einfache Gesetze in den Verfassungsrang zu erheben, um zu verhindern, dass der Verfassungsgerichtshof tätig wird. In keinem Rechtsstaat ist es zulässig, dass Richter einfach frühzeitig pensioniert werden - und der Europäische Gerichtshof hat das festgestellt. Und noch immer hat Ungarn nicht den Urteilen des Gerichtshofs genüge getan."
Debatte über Stimmrechtsentzug
Während die Kommission Vertragsverletzungsverfahren vorantreibt, denken die Parlamentarier bereits über schärfere Maßnahmen nach. Das Stichwort lautet: Artikel 7 des Lissabonner Vertrags. Dazu sagte der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff: "Ein weiteres Problem, dass wir im Europäischen Recht haben, ist die Wahl haben zwischen dem Zahnstocher und der Atombombe. Wir haben auf der einen Seite nur ein Vertragsverletzungsverfahren - also ein kleines technisches Verfahren - und auf der anderen Seite ein Verfahren nach Artikel 7, das mit dem Stimmrechtsentzug für ein Mitgliedsland enden kann."
Christdemokraten zurückhaltend...
Lambsdorff denkt deswegen über neue Instrumente nach. Doch für Ungarn könnte das zu lange dauern - viele Abgeordnete wollen den Druck erhöhen. Derzeit ist ein Bericht in Arbeit, der im Juni oder Juli beschlossen werden könnte. Darin geht es um Rechtsverstöße und das Parlament könnte das Verfahren nach Artikel 7 beschließen. Doch dann müsste die Fraktion der Europäischen Volkspartei EVP mitmachen, der CDU und CSU angehören. Die Christdemokraten sind aber zurückhaltend, weil Orbans Partei Fidesz der Parteienfamilie angehört.
Gestern hatte Orban in Straßburg die Abgeordneten der EVP getroffen. Der Eindruck von CSU-Politiker Manfred Weber: "Viktor Orban war in der EVP-Fraktion und hat sich seiner politischen Familie gestellt. Es gab viele kritische Fragen mit Medienfreiheit und Unabhängigkeit der Gerichte. Orban hat zum einen selbstkritisch eingeräumt, dass er gerne für Hinweise offen ist und wenn es Rechtsverstöße mit Europa gibt, ist er auch bereit, diese abzustellen. Aber er hat auch kämpferisch gesagt, er wird nicht alles schlucken. Er möchte dann auch, das alles rechtlich geklärt ist."
...Grüne empört
Rückendeckung also von CDU und CSU für Viktor Orban. Das empört Rebecca Harms von den Grünen. Sie nimmt die Konservative Viviane Reding in Schutz: "Sie sind diejenige in der Kommission, die versucht, mit dem, was Sie an Instrumenten haben, gegen den Bruch der Rechtsstaatlichkeit vorzugehen. Dafür werden Sie von sogenannten Parteifreunden mit Kübelweise Schmutz übergossen."
Doch die Solidarität bei den Konservativen Abgeordneten für Orban dürfte stärker sein. Reding versucht, den Druck weiter zu erhöhen: In der Kommission drängt sie darauf, ein Verfahren nach Artikel 7 einzuleiten. Wenn das Parlament sich dazu nicht durchringt, kann die Kommission den Stimmrechtsentzug einleiten.