Streit um Staatsreform EU-Kommission klagt gegen Ungarn
Die Europäische Kommission hat Ungarn wegen der umstrittenen Staatsreform der rechts-konservativen Regierung verklagt. Brüssel sieht durch die Gesetze die Unabhängigkeit der Justiz und des Datenschutzbeauftragten bedroht. In letzter Konsequenz drohen Geldbußen.
Von Christoph Prössl, NDR-Hörfunkstudio Brüssel
Zuckerbrot und Peitsche: Die Europäische Kommission verklagt Ungarn in zwei Fällen, stellt dem Land trotzdem finanzielle Hilfen in Aussicht. EU-Justizkommissarin Viviane Reding sagt: "Wir haben gesehen, das aufgrund des Drucks der Europäischen Kommission schon sehr viele Mängel behoben wurden, nur reicht das noch nicht aus."
Ein Streitpunkt: Entlassungen im Justizwesen
Vor allem bei den Reformen im Justizwesen reicht es noch nicht aus. Die Regierung um Ministerpräsident Orban will das Renteneintrittsalter der Richter von 70 auf 62 herabsetzen. Die Kommission vermutet, dass die Regierung dadurch unliebsame Richter aus dem Amt schieben will.
"Und dass es da nicht nur um Kleinigkeiten geht, das zeigt die Tatsache, dass Ungarn vorhat von heute auf Morgen 274 Richter frühzeitig zu entlassen, das sind 10 % der ungarischen Richterschaft, das kann so nicht richtig sein", so Reding.
Zweiter Kritikpunkt der Kommission: Die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten, auch hier haben die Kommission und die ungarische Regierung lange verhandelt. Die Kommission bemängelt, dass der Präsident leicht entlassen werden kann und deswegen nicht unabhängig ist.
Doch in diesen beiden Punkten ist Orban uneinsichtig. Deswegen klagt die Kommission nun vor dem EuGH. Begründung: Verstoß gegen geltende EU-Verträge und gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Brüssel befürchtet, dass Orban seine Macht zementieren will. Der ungarische Ministerpräsident versprach, die Gesetze sofort zu verändern, wenn ein EuGH-Urteil es erforderlich mache. Offenbar rechnet Orban damit, dass seine Gesetze einer Prüfung stand halten.
Die Hilfsgelder sind ein Vertrauensvorschuss für Ungarn
In einem dritten Streitpunkt hat Ungarn Zugeständnisse gemacht. Es geht um die Unabhängigkeit der ungarischen Nationalbank. Deswegen hat die Kommission zugesagt, Ungarn mit Hilfsgelder beizuspringen. Kommissarin Viviane Reding: "Wir haben einen Vorschuss an Vertrauen in dem Sinne gegeben, halten das Ganze auf Eis, fangen die finanziellen Verhandlungen mit Ungarn an, werden diese aber nur abschließen, wenn auch die Versprechen der Ungarn sich im ungarischen Gesetz wiederfinden."
Beim Streit um die Nationalbank ging es zuletzt um die Gehälter des Nationalbank-Präsidenten, die während seiner Amtszeit verändert werden können. Vize-Kommissionschefin Reding wehrte sich gegen Kritik, die Kommission gehe hier machtvoll gegen ein kleines Mitgliedsland vor und spare große Staaten grundsätzlich aus: "Ich habe auch schon Luxemburg vor den Kadi gebracht!"
Reding kommt aus Luxemburg - nicht einmal vor ihrem Herkunftsland macht sie halt, das wollte sie unterstreichen.