Lage in der Ukraine Wie wird Putin reagieren?

Stand: 25.02.2014 15:00 Uhr

Aus Moskau kommt harsche Kritik an den Ereignissen in der Ukraine. Premier Medwedjew sieht die russischen Interessen bedroht, besonders auf der Halbinsel Krim. Dies schürt Sorgen, Präsident Putin könne militärisch intervenieren.

Von Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Folgt auf die Revolution in der Ukraine der Zerfall des Landes? Die Sorge davor ist groß. So mahnten am Wochenende Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Telefongesprächen mit Politikern in der Ukraine, sich für die Einheit des Landes einzusetzen. Die Sicherheitsberaterin von US-Präsident Obama, Susan Rice, wandte sich an Russlands Präsident Wladimir Putin und warnte: Es wäre ein schwerer Fehler, wenn Russland militärisch in die Krise in der Ukraine eingreifen würde.

Eine Befürchtung ist ein offener Konflikt zwischen den westlich orientierten Politikern in Kiew und dem nach Russland ausgerichteten Osten. Russland könnte intervenieren und zumindest einen Teil der Ukraine vor dem Einfluss der EU retten. Im Fokus steht vor allem die Halbinsel Krim, die erst seit 1954 zur Ukraine gehört. 58,5 Prozent der Bevölkerung sind ethnische Russen neben 24,4 Prozent Ukrainern und 12,1 Prozent Krimtataren. Außerdem ist dort die russische Schwarzmeerflotte beheimatet.

Im Moment ist die Lage auf der Krim unübersichtlich. Einerseits erklärten der Regierungschef der Krim und der Stadtratschef von Sewastopol ihre Loyalität zu den Entscheidungen des Parlaments in Kiew. Andererseits demonstrierten am Montag in Sewastopol Tausende pro-russische Demonstranten. In der vergangenen Woche hatte der Präsident des Parlaments der Krim, Wladimir Konstantinow, in Moskau offen von einer Abspaltung der autonomen Republik Krim von der Ukraine und der Aufkündigung der Entscheidung von 1954 gesprochen. Dies könnte die russische Regierung als Aufforderung sehen, den Russen in der Ukraine zur Hilfe zu eilen.

Schutz für die Russen in der Ostukraine

Ein aktives militärisches Eingreifen sieht auch Alexander Rahr nicht. Der Forschungsdirektor des Deutsch-Russischen Forums, der Präsident Putin nahe steht, sagte im Deutschlandfunk: "Das Einzige, was Russland tun wird, ist, in der Tat sich schützend vor die ethnischen Russen in der Ostukraine zu stellen, falls Angriffe, physische Angriffe gegen sie gestartet werden sollten, was ich allerdings heute nicht sehe."

Angesichts der massiven Verteilung russischer Pässe vor allem auf der Krim drängt sich ein Vergleich zur Lage vor dem Krieg 2008 in Georgien auf. Auch in den abtrünnigen Gebieten Südossetien und Abchasien gab Russland damals Pässe aus und begründete dann den Einmarsch in Georgien ebenfalls mit dem Schutz russischer Bürger vor der georgischen Armee. Allerdings hatte die gewaltsame Eskalation bereits Monate, wenn nicht Jahre zuvor begonnen. Russland hatte zudem damals international Ansehen eingebüßt, als die russischen Truppen weit über die abtrünnigen Gebiete hinaus auf georgisches Territorium vorgerückt waren und Putin schließlich Südossetien und Abchasien als unabhängig anerkannt hatte, aber nur vier Staaten überzeugen konnte, diesen Schritt nachzuvollziehen.

Keine militärische Intervention

Rahr spricht denn auch nur von einer möglichen Teilung der Ukraine auf friedlichem Wege: Falls nicht anders möglich, müsse es dort einen "Verteilungsprozess" wie 1992 in der Tschechoslowakei geben. Diese wurde nach dem Willen der Bürger in die Tschechische und die Slowakische Republik geteilt. Russland und der Westen könnten dabei eine Sicherheitsgarantie übernehmen, so Rahr.

Auch der russische Außenpolitik-Experte Dimitri Trenin vom Carnegie-Zentrum in Moskau geht nicht von einer militärischen Intervention im Nachbarland aus: "Es ist unwahrscheinlich, dass Moskau den Zusammenbruch der Ukraine herbeiführt, um dessen südliche und östliche Gebiete einzunehmen. Dies würde Bürgerkrieg vor der eigenen Haustür bedeuten. Russland verabscheut diese Idee", schrieb Trenin in einem Beitrag für die "New York Times".

Der Experte Fjodor Lukjanow, der als anerkannter Interpret der Außenpolitik des Kreml gilt, argumentiert ähnlich: "Putin fürchtet Chaos. Die Hauptantriebskraft hinter seiner Politik gegenüber der Ukraine ist nicht das Begehren nach Expansion sondern das Anliegen, das Risiko für ein Übergreifen von Chaos auf Russland zu verhindern. An diesem Ziel richtet sich alles aus, offensive und defensive Methoden", schreibt Lukjanow auf der Webseite des Magazins "Global Affairs".

Putin gibt sich besonnen

Putin stellt sich seit seiner Rückkehr in das Präsidentenamt verstärkt als besonnener Staatschef einer Weltmacht dar, die sich an internationale Regeln hält und in Konflikten wie in Syrien internationale Militärinterventionen zu verhindern sucht. Putin präsentiert sich als konservative Alternative zum dekadenten, verweichlichten Westen, der an seiner Toleranz und Liberalismus zugrunde gehen werde. Um dieses Image in der Welt zu verbreiten, setzt der Kreml auf Auslandsmedien, Nichtregierungsorganisationen und ihm nahestehende Publizisten.

Zur Verstärkung dieses Bildes dient harsche Kritik an den USA, Europa und auch der Protestbewegung in der Ukraine, die pauschal als rechtsextremistisch und terroristisch bezeichnet wird. Diesen Ton schlugen in den vergangenen Wochen zahlreiche Regierungspolitiker an und erst jetzt wieder Premier Dimitri Medwedjew. Er sprach von einer ernsthaften Bedrohung russischer Interessen, wenn sich Leute mit schwarzen Masken und Kalaschnikow-Sturmgewehren in Kiew als Regierung bezeichneten. Die westlichen Partner erlägen einer Verirrung, wenn sie das Ergebnis einer bewaffneten Revolte für legitim hielten.

Putin hält den Westen nach Einschätzung Lukjanows für destruktiv. Der Westen verstehe die Komplexität in der Ukraine entweder nicht oder zerstöre vorsätzlich unerwünschte Systeme. Putin erwarte, dass die Einmischung des Westens und die einseitige Unterstützung der bisherigen Opposition zu einer Eskalation führen könnte. Wäre dies der Fall, könne sich Russland genötigt sehen, engere Kontakte zu den pro-russischen Regionen im Osten und Süden zu knüpfen, so Lukjanow.

Trenin ist der Meinung, dass Russland eine Ausdehnung seines Einflussgebietes nicht helfen würde: "Moskau sollte nicht mehr Menschen unter seine Herrschaft bringen. Es sollte die Standards für Gesundheit, Bildung und Arbeit seiner eigenen Bürger verbessern." Die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens erwies sich bereits als milliardenschwere Investition. Besonders Südossetien entpuppte sich in den vergangenen Jahren als schwarzes Loch für Gelder aus Moskau. Der Vorteil der Anerkennung der abtrünnigen georgischen Gebiete besteht für Putin einzig darin, dass dort russische Militärbasen errichtet wurden. Auf der Krim gibt es diese schon. Ein Vertrag sichert der russischen Schwarzmeerflotte den Standort bis 2042.