Klingbeil und Mützenich in Kiew Besuch mit Signalwirkung
In der Ukraine stand SPD-Fraktionschef Mützenich oft in der Kritik. Nun reiste er mit Parteichef Klingbeil nach Kiew - ein "wahnsinnig wichtiges Signal", sagte Bürgermeister Klitschko.
Das Gleis 103 im Bahnhof Przemysl direkt an der polnisch-ukrainischen Grenze ist in ein gelbliches Licht getaucht, als die kleine Reisegruppe um SPD-Chef Lars Klingbeil und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in den Sonderzug nach Kiew steigt: zwei Waggons und zwei Lokomotiven für zwei SPD-Abgeordnete mit besonderer Funktion und besonderer Mission.
"Jetzt geht es auch darum, ein Jahr nach Ausbruch des Krieges, die Aufmerksamkeit weiter hochzuhalten", sagt Klingbeil - "dafür zu sorgen, dass die Unterstützung der Ukraine weitergeht, militärisch, politisch, finanziell. Deswegen das bewusste Signal, jetzt zu diesem Zeitpunkt auch zusammen zu fahren."
"Wunsch nach Gesprächen gewachsen"
Vor allem für Rolf Mützenich ist die Reise etwas Besonderes, wurde er doch nach Kriegsbeginn auf einer ukrainischen "Liste" geführt, auf der Menschen standen, die als zu russlandfreundlich eingestuft wurden. Das Verhältnis zwischen ukrainischer Regierung und dem SPD-Fraktionschef war lange nicht das beste. Vor allem der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, ließ kaum eine Gelegenheit aus, den SPD-Politiker in ein negatives Licht zu rücken - zuletzt bezeichnete er ihn als "größten Hemmschuh für die Zeitenwende und deutsche Waffenlieferungen in die Ukraine".
Bei der Passkontrolle an der ukrainischen Grenze aber kann Mützenich problemlos einreisen. Er habe seit Längerem eine Einladung des ukrainischen Parlamentspräsidenten, sagt er. "Wir hatten auch den Eindruck, dass gerade auch mit dem Wechsel des Botschafters in Deutschland die Kontakte und auch der Wunsch nach Gesprächen gewachsen ist."
Nach zehneinhalb Stunden Zugfahrt werden die beiden am Bahnsteig erstmal vom deutschen Gesandten Bertram von Moltke begrüßt, im Eiltempo geht es dann zu den Klitschkos. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko freut sich - kurz und knapp fasst er zusammen, was er sich vom Besuch der SPD-Politiker erhofft: "Unterstützung." Er präzisiert aber dann doch, was die Anwesenheit von Mützenich und Klingbeil bedeute: Es sei "ein wahnsinnig wichtiges Signal, in die Ukraine und außerhalb der Ukraine".
"Unterstützung geht uneingeschränkt weiter"
Wenig später: Luftalarm. Ein russisches Flugzeug ist an den Landesgrenzen aufgestiegen, noch weiß man nicht, ob es Raketen Richtung Kiew schicken wird, das mit deutscher Luftabwehr geschützt wird. "Wir beide waren in Kontakt, als es um 'Iris-T' ging, ein Raketenabwehrsystem, das dieser Stadt wirklich hilft", sagt Klingbeil. "Deutschland leistet da sehr viel." Auch bei den Gesprächen mit dem Vize-Verteidigungsminister, dem Außenminister, dem Premierminister und dem Parlamentspräsidenten machen Klingbeil und Mützenich klar: "Diese Unterstützung, die wir leisten, geht uneingeschränkt weiter."
Wladimir Klitschko, der Bruder des Kiewer Bürgermeisters, führt Klingbeil noch über den zentralen Platz, den Maidan. Er findet es gut, dass die SPD-Politiker aus ihrer Berliner Komfortzone und nach Kiew gekommen sind und aus ihren Fehlern lernen, wenn auch mit Verspätung. "Dieser 180-Grad-Wechsel des Kurses, was die Russland-freundliche Politik betrifft, findet heute auch statt, hier in Kiew."
Das zielt besonders auf Mützenich. Dem Fraktionschef ist anzusehen, dass ihn die Panzersperren und die am Platz aufgestellten Schwarzweiß-Fotos der Toten der Proteste von 2014 sichtlich mitnehmen. Es sei für ihn bedrückend, sagt er. "Wie Sie vielleicht wissen, bin ich niemand, der sich in die Öffentlichkeit drängt um der Bilder willen, sondern ich bin hier, um mir mit den Gesprächspartnern einen aktuellen Eindruck zu verschaffen."
Treffen mit Selenskyj
Und dann kommt es auch noch fast am Ende des Tags in Kiew zu einem Treffen mit Wolodymyr Selenskyj. Bis zuletzt war nicht klar gewesen, ob die SPD-Politiker vom ukrainischen Präsidenten empfangen werden. Dass das geschieht, beide zu einer Lagebesprechung der ukrainischen Armee gebeten werden und dass das Gespräch fast 40 Minuten dauert, kann durchaus als ein weiteres Zeichen der Entspannung zwischen SPD und Kiew gelesen werden.
Der Luftalarm in Kiew ist auch glimpflich ausgegangen. Auch am heutigen Tag hat es keine Angriffe mit Drohnen oder Raketen auf Kiew gegeben.
Und während Mützenich nach Berlin zurückfährt, reist Klingbeil weiter nach Warschau zur Konferenz der osteuropäischen Sozialdemokraten. Lange hat man deren Ängste und Sorgen Russland betreffend nicht ernst genommen. Es gilt einiges gutzumachen für die SPD.