Offensive in Nordsyrien Türkei verlangt NATO-Solidarität
NATO-Generalsekretär Stoltenberg mahnt die Türkei zur Zurückhaltung in Syrien - die Türkei verlangt Solidarität von der NATO. 70.000 Menschen sind mittlerweile auf der Flucht. Die Sorgen vor einem Wiedererstarken des IS wachsen.
Angesichts ihrer umstrittenen Militäroffensive in Nordsyrien verlangt die Türkei von der NATO ein "klares und deutliches" Bekenntnis der Solidarität. "Im Rahmen des Grundsatzes der Unteilbarkeit der Sicherheit ist es unsere natürlichste und legitimste Erwartung, dass sich unsere Alliierten mit uns solidarisieren", sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu in einer Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. "Es reicht also nicht zu sagen: 'Wir verstehen die legitimen Sorgen der Türkei'. Wir wollen diese Solidarität klar und deutlich sehen."
Wenn jeder einsehe, dass die Sorgen der Türkei "legitim" seien, dann müsse auch der Kampf gegen den Verursacher der Sorgen legitim sein. "Ihr habt diese Terrororganisation mit Waffen ausgestattet und sie ausgebildet. Das ist nicht mein Problem", sagte Cavusoglu. Das sei in Wahrheit eine Doppelmoral. Damit bezog er sich auf die Zusammenarbeit des NATO-Partners USA mit der kurdischen YPG-Miliz im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die Türkei sieht in der YPG einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und behandelt sie daher als Terrororganisation.
Mahnung zur Zurückhaltung
Stoltenberg mahnte die Türkei zur Zurückhaltung bei ihrem Militäreinsatz gegen die kurdischen Kräfte. Er habe "ernste Bedenken hinsichtlich einer Destabilisierung der Region" und habe die türkische Regierung gebeten, "zurückhaltend zu agieren". Er warnte auch davor, mit der Offensive die Erfolge im Kampf gegen den IS zu gefährden. Insbesondere bestehe die Sorge, dass gefangen genommene IS-Kämpfer entkommen, sagte Stoltenberg. Tausende Dschihadisten befinden sich in Haftzentren der kurdischen Kämpfer in Nordsyrien.
Zugleich betonte der NATO-Chef die Bedeutung der Türkei in dem Verteidigungsbündnis. Das Land sei ein starker und wichtiger NATO-Verbündeter. Kein Verbündeter habe mehr unter Terroranschlägen gelitten als die Türkei. Das Bündnis sei der Sicherheit der Türkei stark verpflichtet. "Wir sind hier, um die Türkei zu beschützen und auch, um uns selbst zu beschützen."
Frankreich droht mit EU-Sanktionen
Die EU erwägt unterdessen wegen der Offensive Sanktionen gegen die Türkei. Das Thema Strafmaßnahmen werde beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in der nächsten Woche diskutiert werden, sagte die französische Europa-Staatssekretärin Amelie de Montchalin dem Radiosender France Inter. Man werde nicht untätig bleiben, wenn man mit einer Situation konfrontiert werde, die für Zivilisten, das von der Kurden-Miliz YPG angeführte Rebellenbündnis SDF und die Stabilität der Region "schockierend" sei.
70.000 Menschen auf der Flucht
Der türkische Militäreinsatz begann am Mittwochnachmittag und richtet sich gegen die YPG-Miliz, die auf syrischer Seite der Grenze ein großes Gebiet kontrolliert. International stößt die Offensive auf scharfe Kritik. Nach Angaben humanitärer UN-Organisationen wurden innerhalb von 48 Stunden mehr als 70.000 Menschen vertrieben. Die meisten seien aus den Regionen Ras al-Ain und Tall Abjad geflüchtet, berichtete das UN-Welternährungsprogramm (WFP).
Nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros gibt es "verstörende Berichte" von Bodenangriffen türkischer Truppen oder von Gruppen, die dem türkischen Militär nahestünden. Unter anderem seien die Wasserversorgung, Dämme, Kraftwerke und Ölfelder getroffen worden, sagte ein Sprecher. Nach einem türkischen Luftangriff sei Berichten zufolge die Wasserversorgung in der Region Aluk zusammengebrochen.
Putin warnt vor Erstarken des IS
Mit Blick auf die in der Region inhaftierten IS-Kämpfer äußerte auch der russische Präsident Wladimir Putin Befürchtungen vor einem neuerlichen Erstarken der Terrormiliz. Noch würden die Kämpfer von den Kurden bewacht, sagte er der Agentur Interfax zufolge. Wenn die Armee der Türkei nun einmarschiere, "werden die Kurden diese Lager verlassen". Dann könnten sich die Terroristen zerstreuen. "Ich bin mir nicht sicher, ob die türkische Armee schnell die Kontrolle darüber übernehmen kann", so Putin.