Türkische gepanzerte Fahrzeuge patrouillieren während einer gemeinsamen Bodenpatrouille mit amerikanischen Streitkräften.
Analyse

Geplanter Militäreinsatz Erdogan braucht den Erfolg

Stand: 08.10.2019 19:32 Uhr

Der bevorstehende Militäreinsatz der Türkei in Nordsyrien ist lange geplant - und aus Sicht des Präsidenten dringend nötig: Erdogan muss Erfolge im eigenen Land vorweisen.

Seit Monaten droht der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit dem Angriff auf die Kurdenmiliz YPG. Immer wieder gab er sich selbst Ultimaten - und ließ diese verstreichen, weil Washington nicht bereit war, den Kurden den Rücken zu kehren. Immerhin bekämpften die YPG am Boden und die US-Streitkräfte aus der Luft gemeinsam erfolgreich den sogenannten Islamischen Staat (IS).

Die mit der als Terrororganisation eingestuften PKK verbündete YPG wurde so zum Partner des Westens. Doch Erdogan gab sein Ansinnen nie auf, auch weil es inzwischen eine Frage der Glaubwürdigkeit geworden ist.

Der türkische Präsident Erdogan hält eine Rede vor Mitgliedern seiner Partei

Der türkische Präsident Erdogan steht innenpolitisch unter Druck.

Der nationalistische Koalitionspartner im türkischen Parlament, die Partei MHP, macht seit Monaten permanent Druck. MHP-Mitglieder erklärten in der Vergangenheit wiederholt gegenüber der ARD, Erdogan dürfe den Konflikt mit den USA beim Angriff auf die YPG nicht scheuen, und das türkische Militär müsste gegebenenfalls auch gegen den Willen Washingtons eine Offensive starten.

Truppen zusammengezogen

Im Laufe des Jahres zog das türkische Verteidigungsministerium kontinuierlich an der nordsyrischen Grenze Truppen zusammen. Immer wieder sprach Erdogan US-Präsident Donald Trump auf das Thema an und drängte, den Weg gegen die Kurdenmilizen freizumachen. Auch weil ihm klar war, dass Trump sein Wahlversprechen, die US-Soldaten aus den Kriegen im Nahen Osten heimzuholen, unbedingt wahr machen wollte.

Im Dezember 2018 entschied Trump plötzlich, dass die USA den IS besiegt hätten und die etwa 2000 Soldaten umgehend zurückkehren müssten. Letztendlich konnten ihn Vertraute und Berater in Washington davon überzeugen, dass dies den US-Interessen widerspreche.

Spätestens seit diesem Zeitpunkt dürfte Erdogan jedoch klar gewesen sein, dass Trump irgendwann die YPG im Stich lassen könnte. Nun ist der richtige Zeitpunkt aus Sicht des türkischen Staatspräsidenten wohl auch gekommen, weil er dringend in der Türkei selbst Erfolge braucht. Die meisten Türken haben kein Verständnis mehr für die drei bis vier Millionen syrischen Flüchtlinge, die inzwischen seit mehreren Jahren im Land leben, Kinder bekommen, teilweise schwarz arbeiten und in vielen Orten des Landes das Stadt- oder Gemeindebild mitprägen.

Ausschreitungen gegen Syrer

Es gab mehrfach in verschiedenen türkischen Städten pogromartige Ausschreitungen gegen die Syrer. Meinungsforscher sagen, Erdogan habe die wichtigsten Großstädte bei den Kommunalwahlen im Frühjahr auch verloren, weil ihm zahlreiche Wähler bei der Stimmabgabe ihren Missmut über die hohe Zahl an Flüchtlingen deutlich machen wollten.

Gleichzeitig dürfte sich langfristig die Zahl der Syrer, aber auch afghanischer Flüchtlinge aus dem Iran weiter erhöhen. Aufgrund von US-Sanktionen scheint im Iran die Bereitschaft nachzulassen, mehrere Millionen afghanische Flüchtlinge zu beherbergen. Diesen bleibt letztendlich nur der Weg Richtung Türkei.

Langfristig könnte Erdogan also an dem Flüchtlingsthema innenpolitisch scheitern, deshalb scheint der Feldzug gegen die YPG aus seiner Sicht ein Ausweg. Das Risiko, bei einem Feldzug gegen die Kurdenmiliz große Verluste zu verzeichnen, hält sich in Grenzen. Zwar gibt es derzeit keine Koordination zwischen der US-Luftwaffe und der türkischen Luftwaffe, sodass ein Eindringen türkischer Kampfjets tief in den nordsyrischen Luftraum kaum möglich ist. Doch die Raketen der türkischen F-16-Kampfjäger dürften auch Ziele treffen, die 20 Kilometer von der Grenze entfernt sind.

Wähler besänftigen

Das türkische Militär wird versuchen, Konflikte am Boden mit US-Streitkräften zu vermeiden. Lediglich eine Rückkehr der amerikanischen Bodentruppen zum Schutz der Kurden, scheint den Angriff noch verhindern zu können. Erdogans Plan, nach dem Vertreiben der Kurdenmiliz YPG von der nordsyrischen Grenze und der Einrichtung einer 30 Kilometer tiefen Schutzzone, etwa eine Million Syrer in den kurdisch geprägten Gebieten anzusiedeln, soll offenbar die Wähler besänftigen.

Sicherlich versteht er das auch als Angebot für die EU, das Flüchtlingsproblem im größeren Stil zu lösen. Folglich wird bald die Forderung nach Geld aus Brüssel für den Bau von Flüchtlingswohnungen in der Schutzzone kommen. Ein Konzept, das der eine oder andere Politiker in der EU möglicherweise sogar stillschweigend gutheißen könnte.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 08. Oktober 2019 um 18:16 Uhr.