EU und Bundesregierung zur Türkei Kein EU-Beitritt mit Todesstrafe
Die Bundesregierung und auch die EU-Außenbeauftragte haben ihre Haltung deutlich gemacht: Sollte die Türkei die Todesstrafe wieder einführen, wären die Beitrittsgespräche vorbei. Die türkische Regierung verweist auf die Verfassung - und geht weiter gegen Soldaten und Staatsbedienstete vor.
Die Bundesregierung hat die Türkei vor der Wiedereinführung der Todesstrafe nach dem gescheiterten Putsch gewarnt und für den Fall das Aus der türkischen EU-Beitrittsgespräche angekündigt. "Deutschland und die EU haben eine klare Haltung: Wir lehnen die Todesstrafe kategorisch ab", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. "Die Einführung der Todesstrafe in der Türkei würde folglich das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen bedeuten." Seibert sagte weiter, "einzelne Äußerungen aus der Türkei dazu sind besorgniserregend".
Nach dem Putschversuch hatte Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Möglichkeit einer Wiedereinführung der Todesstrafe angedeutet. Die Regierung werde mit der Opposition darüber beraten und eine Entscheidung treffen, sagte Erdogan. Die Türkei hatte die Todesstrafe im Jahr 2002 im Zuge ihres Strebens nach einer EU-Mitgliedschaft abgeschafft.
Yildirim: Verfassungsänderung notwendig
Wie die Bundesregierung schloss auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini einen EU-Beitritt der Türkei bei Wiedereinführung der Todesstrafe aus. "Kein Land kann Mitglied der EU werden, wenn es die Todesstrafe wieder einführt, lassen Sie mich da ganz klar sein", sagte Mogherini in Brüssel.
Der türkische Regierungschef Binali Yildirim sagte, man könne zwar die Forderungen des Volkes nicht ignorieren. Zur Wiedereinführung der Todesstrafe wäre allerdings eine Verfassungsänderung notwendig. Es wäre nicht richtig, jetzt übereilte Entscheidungen zu treffen. Für eine Verfassungsänderung fehlt der regierenden AKP aber die nötige Mehrheit.
Tausende Festnahmen und Entlassungen
Unterdessen geht die türkische Regierung weiter gegen mutmaßliche Putschisten vor. Insgesamt seien seit Samstag 7543 Menschen festgenommen worden, darunter 6038 Soldaten, sagte Yildirim. Auch sei damit begonnen worden, Staatsbedienstete mit Verbindungen zu den verantwortlichen terroristischen Organisationen "zu entfernen". Die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete unter Berufung auf das türkische Innenministerium, insgesamt seien nach dem fehlgeschlagenen Putsch 8777 Staatsbedienstete ihrer Posten enthoben worden, darunter 30 Gouverneure und 52 Inspekteure.
Nach der Niederschlagung des Umsturzversuchs durch regierungstreue Soldaten und Polizisten hatte Präsident Erdogan ein hartes Vorgehen gegen die Putschisten sowie die "Säuberung" der Armee angekündigt. Er sprach von einem "Krebsgeschwür" im Staat, das es zu bekämpfen gelte. In diesem Zusammenhang erwog er auch die Wiedereinführung der Todesstrafe.
EU-Erweiterungskommissar: "Als sei das geplant gewesen"
EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn äußerte beim EU-Außenministertreffen in Brüssel offen die Vermutung, dass die Reaktion Erdogans auf den versuchten Putsch, insbesondere die Welle der Verhaftungen, alles andere als spontan gewesen sei. "Es sieht jedenfalls so aus, als sei das geplant gewesen. Dass die Liste mit den zu Verhaftenden so schnell nach dem Putsch vorlag, deutet darauf hin, dass sie schon vorbereitet waren und dass ein bestimmter Moment genutzt werden soll." Vor allem die schnelle Verhaftung hunderter Richter und Staatsanwälte stehe nicht im Einklang mit den Grundsätzen der Rechtstaatlichkeit, so Hahn.
Yildirim: 145 Zivilisten starben bei Putschversuch
Eine Gruppe von Militärs hatte in der Nacht zu Samstag vergeblich versucht, die Macht im Land zu übernehmen. Nach den Worten von Regierungschef Yildirim starben bei Kämpfen 208 Menschen. Darunter seien 60 Polizisten, drei Soldaten und 145 Zivilisten, sagt er. Zudem seien 1491 Personen verletzt worden. Yildirim machte keine Angaben zur Zahl der getöteten Putschisten. Zuvor war ihre Zahl mit 104 angegeben worden.
Yildirim sagte, man werde zwar "Rechnungen begleichen", sich dabei aber an die Gesetze halten. Zugleich fordert er die Bürger auf, die Armee oder Soldaten nicht anzugreifen.
ARD-Korrespondent Schramm: Wunsch nach Rache
ARD-Korrespondent Michael Schramm sieht in der Debatte um die Todesstrafe einen Versuch der Regierung, die Bevölkerung noch stärker an sich zu binden und im Wunsch nach Rache zu vereinen. Er glaubt allerdings nicht an eine tatsächliche gesetzlich verankerte Wiedereinführung. Die türkische Regierung würde dadurch nicht die EU-Beitrittsverhandlungen gefährden wollen, so Schramm.