Rede zur Lage der Nation "Eine richtig effektive Wahlkampfrede"
In seiner Rede zur Lage der Nation hat US-Präsident Trump deutlich übertrieben, sagt der Politikberater Julius van der Laar auf tagesschau24. Und dennoch habe Trump eine sehr effektive Wahlkampfrede gehalten.
tagesschau24: Trump nutzt diesen Auftritt, um ein Loblied auf die Erfolge seiner Amtszeit zu singen. Haben wir da so etwas wie den offiziellen Startschuss für den Wahlkampf erlebt?
Julius van de Laar: Donald Trump hat seit dem Tag, an dem er gewählt wurde, wohl nie aufgehört, Wahlkampf zu machen. Aber Sie haben natürlich absolut recht. Es war eine richtige Wahlkampfrede - und ich würde sogar sagen, dass es eine richtig effektive Wahlkampfrede war. Trump hat sich quasi Sektion für Sektion, Wählerschicht für Wählerschicht, vorgenommen und wirklich jeder Wählerschicht genau das gegeben, was sie hören wollte. Ob das jetzt alles auch zu 100 Prozent der Realität entspricht oder die Wahrheit an vielen Stellen weit überdehnt wurde? Ich glaube, das kann sich jeder selber anschauen. Meiner Meinung nach hat Trump viele Aspekte deutlich überzeichnet. Aber richtig ist, dass eine absolut effektive Wahlkampfrede war.
"Für jede Zielgruppe ein Punkt dabei"
tagesschau24: Sie haben bereits Barack Obama bei seinen Kampagnen beraten. Wenn Sie jetzt Berater von Trump gewesen wären - hätten Sie dann gesagt: "Alles super, Donald!"?
Van de Laar: Ich würde dieses Beratungsmandat niemals annehmen. Aber Sie haben natürlich absolut recht. Wie gesagt: Für jede Zielgruppe war genau ein Punkt dabei, um genau diese Menschen zu mobilisieren, und um zu zeigen: Wir haben für Dich gearbeitet - Dein Leben wird besser durch uns.
tagesschau24: Normalerweise nutzen Präsidenten diese jährliche Ansprache dazu, auch neue Initiativen anzukündigen oder neue Gesetze. Uns ist da nicht viel aufgefallen. Haben Sie irgendetwas Neues gehört in der Nacht?
Van de Laar: Ich glaube, das war nicht die Rede, in der Trump wirklich große Würfe ankündigen wollte. Aus strategischer Perspektive wäre das auch nicht sinnvoll gewesen. Er wollte erklären, was er alles gemacht hat und wie gut es für die Menschen läuft. Natürlich wurden noch mal ein paar Dinge angesprochen. Es ging einmal mehr um das Infrastrukturprojekt, das aber auch schon seit drei Jahren immer wieder angesprochen und nie umgesetzt wurde. Trump hat ja angekündigt, dass die USA die ersten sein werden, die einen Mann oder eine Frau auf den Mars schicken, um dort die US-Flagge zu hissen. Aber wirklich Konkretes wurden nicht angesprochen.
"Pelosi zieht Aufmerksamkeit von Rede weg"
tagesschau24: Und dann gab es da noch die Szene, über die alle heute sprechen: Im Hintergrund - nach der Rede - zerreißt die Demokratin Nancy Pelosi demonstrativ Trumps Redemanuskript. Ist das aus Sicht eines Wahlkampfberaters eine kluge Geste?
Van de Laar: Ich stelle mir diese Frage schon den ganzen Morgen. Auf der einen Seite denke ich, was sich dort für ein Frust bei Pelosi über diese anderthalb Stunden angestaut haben muss. Und am Schluss zerreißt sie dieses Manuskript. Die Frage ist, ob sie sich damit rein optisch einen Gefallen getan hat? Gleichzeitig wird genau darüber gesprochen. Auf Twitter ist es wirklich das Hauptthema, das dort diskutiert wird. Und insofern wurde natürlich viel Aufmerksamkeit von Trumps Rede weggezogen. Viele Leute sprechen eben genau über diesen Moment.
tagesschau24: Geht es darum, solche Momente zu schaffen? Oder was würden Sie den Demokraten raten, wenn Sie diese jetzt wieder beraten würden?
Van de Laar: Momente wie dieser werden bestimmt nicht wahlentscheidend sein. Es reicht nicht, die Differenzen zu Trump aufzuzeigen. Man muss auch eigene positive Visionen artikulieren. Jeder mögliche Kandidat der Demokraten muss zwei fundamentale Fragen beantworten. Die erste Frage lautet: Warum kandidiere ich? Die zweite Frage ist: Warum kandidiere ich zu diesem Zeitpunkt? Pete Buttigieg ist wirklich ein kompletter Differenz-Kandidat zu Donald Trump. Aber am Schluss wird es wirklich darum gehen, eine Vision für das Land glaubwürdig zu artikulieren.
Wer erinnert sich im November noch an den Ukraine-Skandal?
tagesschau24: Um Trump wird es erneut am Abend beim Amtsenthebungsverfahren gehen. Da wird es wahrscheinlich für ihn einen Freispruch geben. Bleibt an Trump also nichts "kleben" - der geht Trump dadurch vielleicht doch geschwächter in den Wahlkampf?
Van de Laar: Das Impeachment an sich wird schon an ihm kleben - aber ich bezweifle, dass das seinen Ruf oder seine Glaubwürdigkeit beschädigen wird. Vor allem haben wir jetzt gerade einmal Anfang Februar. Die Wahl wird erst im November stattfinden. Viele haben ein sehr kurzzeitiges Gedächtnis. Ob sich wirklich im November noch jemand daran erinnern kann, was letzten Sommer passiert ist im Ukraine-Konflikt? Ich bezweifle das.