Das türkisch-syrische Verhältnis Premier Erdogan in der Zwickmühle
So eindeutig wie die EU sich nun für Sanktionen gegen Syriens Präsident Assad ausgesprochen hat, will und kann sich die Türkei nicht gegen die Führung in Damaskus stellen. Premier Erdogan steckt in einer Zwickmühle. Er nennt Assad seinen Freund und fürchtet Unruhen im eigenen Land.
Von Ulrich Pick, ARD-Hörfunkstudio Istanbul
"Wir sind hier, um den Staatsterror zu verurteilen, den die Führung um Baschar al Assad ausübt. Das syrische Volk widersetzt sich, es will Demokratie." Eine Demonstration in der Nähe des Istanbuler Taksim-Platzes. Auch wenn es nur mehrere hundert Menschen sind, die gegen das Regime in Damaskus auf die Straße gegangen sind: Sie zeigen, dass die Situation in Syrien in der Türkei intensiv beäugt wird.
Dies gilt vor allem für Ministerpräsident Tayyip Erdogan, der betont: "Wir haben immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass wenn die syrische Führung sich diesen berechtigten Forderungen der Öffentlichkeit positiv und mit reformerischem Geist zuwendet, die Probleme in Syrien viel einfacher bewältigt werden könnten. Es ist unser wohlgemeinter Wunsch, dass es in Syrien nicht so kommt wie beispielsweise in Libyen. Das würde uns sehr besorgen."
Trotz dieser Worte sitzt der türkische Ministerpräsident in einer Zwickmühle, denn seine Gegner werfen ihm vor, mit zweierlei Maß zu messen: Während er nämlich Ägyptens Ex-Premier Hosni Mubarak unmissverständlich aufforderte abzudanken und in Libyen zumindest seine Vermittlung anbot, hält er sich mit öffentlichen Forderungen gegenüber Syriens Präsident Assad, den er übrigens seinen Freund nennt, zurück.
Dennoch betont er: "Ich habe zweimal mit Herrn Assad am Telefon gesprochen. Außerdem haben wir den Leiter des türkischen Nachrichtendienstes nach Syrien gesandt. Wir haben nicht nur eine gemeinsame Grenze von mehr als 800 Kilometern Länge, zwischen beiden Ländern gibt es auch verwandtschaftliche Beziehungen in den Bevölkerungen. Den dortigen Entwicklungen gegenüber können wir also nicht Augen und Ohren versperren."
Angst vor Unruhen im gesamten Nahen Osten
Erdogans ungewöhnliche Zurückhaltung offenbart allem Anschein nach eine gewisse Furcht, nämlich - wie er jüngst in einem Zeitungsinterview sagte -, dass weitere Unruhen in Syrien den gesamten Nahen Osten entflammen könnten. Ob diese Einschätzung eher die Angst vor einem auch auf die Türkei überspringenden Funken ist oder die präzise Analyse eines Kenners, muss offen bleiben.
Mit seiner Äußerung, er sei gegen einen Machtwechsel in Damaskus, offenbare sich ein Dilemma für Ankara, sagt Osman Bahadir Dinçer vom türkischen Zentrum für Nationale Strategische Studien USAK: "Denn wenn demnächst bürgerkriegsähnliche Unruhen auftauchen in Syrien, dann stünde Ankara vor der schwierigen Frage: Wen soll ich jetzt unterstützen - den Freund Assad oder das Volk? Die Türkei will es vermeiden, in dieses Dilemma zu geraten und arbeitet also hinter verschlossenen Türen seit Jahren daran."
So erstaunt es nicht, dass Ankara zur Zeit mit bangem Blick nach Süden blickt. Auch wenn die befürchteten Flüchtlingsströme bislang ausgeblieben sind.