Interview

Interview zur Lage in Südafrika "Zuma kann Mandela nicht ersetzen"

Stand: 04.08.2008 15:11 Uhr

Südafrika braucht dringend einen Präsidenten, der versöhnen kann. Aussichtsreichster Kandidat ist Jacob Zuma - derzeit der Korruption verdächtigt. ARD-Korrespondent Richard Klug im tagesschau.de-Interview über ein gespaltenes Land und den umjubelten Versöhner Nelson Mandela.

Wie explosiv die Lage in Südafrika ist, haben die jüngsten Gewaltexzesse gezeigt. Die gesellschaftlichen Gräben sind ebenso tief wie die Kluft zwischen Arm und Reich. Dringend wird ein Präsident benötigt, der das Land versöhnen kann. Aussichtsreichster Kandidat dafür ist Jacob Zuma - der der Korruption verdächtigt wird. Es sei kaum anzunehmen, dass Zuma die Rolle Nelson Mandelas ausfüllen kann, sagte ARD-Korrespondent Richard Klug im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Lange Zeit wurde Südafrika vor allem positiv gesehen: Ein Land, das aus eigener Kraft ein rassistisches Regime überwunden und Demokratie eingeführt hat. Die Gewaltexzesse im Mai haben viele Menschen schockiert. Was sind die Gründe für diesen Ausbruch?

Richard Klug: Ein Grund für die Gewalttätigkeiten ist sicherlich die global schlechte wirtschaftliche Lage, die auch Südafrika sehr spürt. Die Lebensmittelpreise und die Energiepreise steigen - und dies trifft die Ärmsten der Armen natürlich besonders hart. Und die Ärmsten der Armen sind in Südafrika immer noch vor allem Menschen schwarzer Hautfarbe, die auch heute noch in den Townships leben.

Dort hat sich der Hass gegen die Einwanderer gerichtet, die aus Mosambik, aus Malawi und aus Simbabwe seit dem Ende der Apartheid in großer Zahl ins Land geströmt sind, um Arbeit zu finden. Allein aus Simbabwe sind nach Schätzungen drei bis vier Millionen Menschen, also bis zu einem Viertel der Bevölkerung, nach Südafrika geflohen. Diese Einwanderer konkurrieren jetzt mit den Südafrikanern um die einfachen Jobs.

Die Armut wächst

tagesschau.de: Nach dem Ende der Apartheid haben viele Menschen in Südafrika gehofft, dass es ihnen künftig besser gehen werde. Für wen sind diese Hoffnungen Realität geworden?

Klug: Südafrika musste den Übergang von der Apartheid - also von einem System der staatlichen Unterdrückung - zu einer globalisierten Wirtschaft aus dem Stand schaffen. Jetzt gibt es - so wie sonst in der globalisierten Weltwirtschaft auch - durchaus eine ganze Menge Leute, denen es besser geht. Es enststeht sogar ein schwarzer Mittelstand - wenn auch nur langsam, da sich zunächst einmal die Führungsspitze bereichert hat.

Auf der anderen Seite allerdings steigt auch die Zahl der Armen. Es gibt heute in Südafrika mehr arme Schwarze als zu Zeiten der Apartheid. Ein Beispiel: Damals haben viele Schwarze auf den Farmen der Weißen gearbeitet. Zwar ohne Bezahlung, aber für Kost und Logis. Diese Menschen fallen jetzt komplett durch die Maschen des Systems. Ich glaube, die zunehmende Armut im Land ist die Folge einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, die vor allem dem Kapital nützt, aber kaum Arbeitsplätze schafft.

Aids ist nach wie vor ein gewaltiges Problem

tagesschau.de: Ein großes Problem für Südafrika ist Aids. Was wird getan, um die Krankheit unter Kontrolle zu bringen?

Klug: Die Aids-Politik war jahrelang das wichtigste - und traurigste - innenpolitische Thema Südafrikas, ganz gleich, ob es in anderen Bereichen gut gelaufen ist. Allen voran der jetzige Präsident Thabo Mbeki hat sich jahrelang geweigert anzuerkennen, dass das HI-Virus tatsächlich die Krankheit Aids auslöst. 2006, nach der Aids-Konferenz von Toronto, hat die Regierung allerdings eine Kehrtwende gemacht und plötzlich in großer Anzahl antiretrovirale Medikamente eingesetzt.

Dieser Trend ist vor einigen Monaten aber wieder umgekehrt worden: Weil eines dieser neuen Medikamente offenbar nicht funktionierte, hat die Regierung wieder alle Medikamente vom Markt genommen. Als Folge werden wieder weniger Aids-Kranke behandelt. Die Situation ist also nach wie vor dramatisch - und es sieht nicht so aus, als würde sich in naher Zukunft daran etwas ändern.

Zuma: Traditionalist, Populist und schwer berechenbar

tagesschau.de: Eine tiefe Kluft zwischen arm und reich also, kaum Perspektiven bei der Bekämpfung von Aids - und dazu kommt jetzt noch ein Machtkampf um das Präsidentenamt. Derzeit sieht es so aus, als würde Jacob Zuma nächster Präsident Südafrikas. Ein Mann, der der Korruption verdächtigt wird. Kann Zuma Südafrika führen? 

Klug: Es ist sehr zweifelhaft, dass Jacob Zuma ein guter Führer ist. Allerdings ist das eher die Einschätzung der beobachtenden Medien. Auf dem Land, wo immer noch die Mehrheit der Bevölkerung lebt, kommt Zuma dagegen gut an. Er ist ein Traditionalist, er hat, auf eine sehr altmodische Art und Weise, Charisma. Das schätzen vor allem die traditionell denkenden Menschen auf dem Land. Zuma spielt außerdem die kulturelle Karte – er stammt aus dem Volk der Zulu - aus. Er präsentiert sich, ganz im Gegensatz zu Mbeki, der eher ein kalter Intellektueller ist, als Mann des Volkes.

Zuma ist auf der anderen Seite ein Populist, von dem man nicht so richtig weiß, für welche Inhalte er eigentlich steht: Er ist der Kandidat des Gewerkschaftsbundes, der Jugendliga und Teilen der ANC-Frauenliga: Die erhoffen sich von ihm eine eher linke Wirtschaftspolitik, die mehr Arbeitsplätze schafft und mehr für die Armen tut. Andererseits aber hat Zuma an die Adresse der Industriebosse ganz klar erklärt, dass sich unter seiner Führung an der Wirtschaftspolitik des Landes nichts ändern wird. Die allerdings ist sehr kaptialorientiert. Man kann also nicht so recht sagen, wofür Zuma eigentlich steht.

Im Vergleich mit Mbeki aber ist er für viele Südafrikaner sicher eine Bereicherung. Denn Mbeki ist ein kühler Technokrat, der sehr arrogant regiert hat und der überhaupt keine Bindung zum Volk hatte. Ganz anders übrigens als sein Vorgänger, Nelson Mandela - der aber als Gewissen der Nation hier im Land ohnehin über allen anderen steht.

Nelson Mandela ist kaum zu ersetzen

tagesschau.de: Nelson Mandela allerdings hat zu den aktuellen Problemen vor allem geschwiegen. Kann er die Brüche in der Gesellschaft noch kitten?

Klug: Man sollte Mandela nicht unterschätzen. Er ist zwar jetzt 90 Jahre alt und hat nach seinem Abschied aus der Politik erklärt, er ziehe sich jetzt ins Privatleben zurück. Aber allein die Tatsache, dass es ihn gibt, allein die Tatsache, dass er immer noch öffentlich auftritt, gilt als Bindeglied für die südafrikanische Gesellschaft. Man darf also nicht unterschätzen, welche Rolle er immer noch spielt und wie sehr er von den Menschen hier verehrt wird. Das konnte man zuletzt am Wochenende bei den Geburtstagsfeiern des ANC für ihn beobachten. Selbst Zuma lag ihm geradezu zu Füßen.

Viele Menschen hier fragen sich, was mit Südafrika geschieht, wenn der große Versöhner Mandela einmal nicht mehr da ist. Denn es gibt eigentlich niemanden, der seinen Platz einnehmen könnte. Selbst Erzbischof Desmond Tutu nicht, der sich in die aktuelle Politik so scharf einmischt, dass er nicht als Versöhner der Gesellschaft gesehen wird. Diese Rolle hat wirklich nur Nelson Mandela. Ich bezweifele stark, dass Zuma die Statur hat, um ein Bindeglied für die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu sein.

Konsequenzen für den ganzen Kontinent

tagesschau.de: Was geschieht, wenn es nicht gelingt, die Gräben in der Gesellschaft zuzuschütten?

Klug: Wenn Südafrika den Weg Simbabwes, also den Weg ins Chaos, geht, dann wird es viele seiner Nachbarländer, wenn nicht sogar andere Länder Afrikas, mitreißen. Dann werden sich Länder wie Namibia, Botswana, Mosambik und die kleinen Staaten hier im Süden nicht halten können.

Man kann wirklich nur für den gesamten afrikanischen Kontinent hoffen, dass Südafrika nicht wie Simbabwe im Chaos endet. Denn Südafrika ist der wichtigste Wirtschaftsmotor des Kontinents und außerdem das leuchtende Beispiel für eine funktionierende Demokratie. Wenn das nicht mehr funktioniert, sendet das ein Signal an andere afrikanische Völker, dessen Folgen ich mir gar nicht vorzustellen wage.

Das Gespräch führte Jan Oltmanns, tagesschau.de

Das Interview führte Richard Klug, ARD Johannesburg