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Multimedia-Spezial Die Siedler der Westbank

Stand: 29.09.2016 17:16 Uhr

Von Andrej Reisin.

Die Siedler der Westbank

Wenn der Kampf zwischen Israel und den Palästinensern wirklich das Herz des Nahostkonfliktes ist, dann wird die Zukunft der israelischen Siedlungen im Westjordanland das Schicksal der Region dramatisch beeinflussen. Zwischen 1948 und 1967 lebten keine Juden im historischen Kernland Judäa und Samaria, heute sind es etwa 400.000.

Wer sind diese Siedler, die als eines der entscheidenden Hindernisse für den Frieden in der Region angesehen werden? Der Dokumentarfilm "Die Siedler der Westbank" von Shimon Dotan bietet packende Einblicke in das Phänomen der Siedlerbewegung - von den Ursprüngen kurz vor dem Sechstagekrieg bis heute.

tagesschau.de dokumentiert mithilfe von Elementen aus Dotans Film die Geschichte der israelischen Siedlerbewegung.

Ein Siedler stellt sich vor

Rabbi Yossi Froman lebt mit seiner Familie in der Siedlung Tekoa.

"Was ist ein Siedler?"

Moshe Halbertal ist Professor für jüdische Philosophie an der Hebräischen Universität in Jerusalem.

1947-1967

1947 hatten die Vereinten Nationen einen Teilungsplan für Palästina beschlossen, der die Schaffung eines jüdischen und eines arabischen Staates vorsah, wobei Jerusalem zunächst unter internationaler Hoheit bleiben sollte. Als Israel 1948 seine Unabhängigkeit erklärte, griffen die Armeen der umliegenden arabischen Staaten den jüdischen Staat an. Israel gewann den Krieg, Jordanien besetzte die Westbank und annektierte 1950 das Gebiet. Jerusalem wurde zwischen Israel und Jordanien aufgeteilt.

Mai 1967: Die Prophezeiung

Am 19. Mai 1967 hielt Rabbiner Zvi Yehuda Kook, Leiter der national-religiösen Talmudschule Mercaz HaRav Yeshiva in Jerusalem, vor seinen Anhängern eine aufrüttelnde Rede. Mit einer Mischung aus Bedauern und Wut geißelte er, dass Israel den UN-Teilungsplan von 1947 akzeptiert hatte. Er fragte, ob die Juden die heiligen Städte Hebron, Nablus und Jericho im Westjordanland einfach vergessen hätten.

Sendungsbild

Rabbi Kook (li.)

Juni 1967: Der Sechstagekrieg

Zwischen dem 5. und 10. Juni 1967 eroberte Israel in nur sechs Tagen die ägyptische Sinai-Halbinsel, den Gazastreifen, die Golanhöhen, das Westjordanland und Ost-Jerusalem. Für die Anhänger von Rabbi Kook wurde dieser militärische Sieg kaum drei Wochen nach der Rede des Rabbi zur Erfüllung einer Prophezeiung.

April 1968: Die Siedler kommen nach Hebron

Die ersten Siedlungen

Zunächst war die israelische Regierung gegen eine Besiedlung des besetzten Gebietes, weil dies völkerrechtlich untersagt war. Einzelne Regierungsmitglieder - wie der stellvertretende Ministerpräsident Jigal Allon - verfolgten jedoch den Plan, das Jordantal, Ostjerusalem und Umgebung, sowie das Gebiet vom Toten Meer bis Hebron zu besiedeln.

Der Jom-Kippur-Krieg

Am 6. Oktober 1973, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, starteten Ägypten und Syrien einen Überraschungsangriff und versuchten, die Kontrolle über die besetzten Gebiete zurückzuerlangen. Die israelischen Verteidigungslinien wurden zunächst durchbrochen, nur unter hohen Verlusten und mit amerikanischer Unterstützung gelang es Israel schließlich, den Angriff nach rund drei Wochen abzuwehren.

1973-1977

Für die Siedler, aber auch für Teile der neu erstarkten israelischen Rechten, war der Jom-Kippur-Krieg ein Fanal. Nie wieder sollten die arabischen Staaten die israelische Verteidigung durchbrechen, nie wieder sollte es territoriale Kompromisse geben. Die Siedlungen der Bewegung "Gush Emunim" ("Block der Getreuen") sollten dafür den Grundstein legen.

Benny Katzover und Menachem Felix sind Siedler der ersten Stunde. Sie berichten von ihren Auseinandersetzungen mit dem damaligen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin.

1977-1987

Mit Menachem Begin wurde zum ersten Mal ein Politiker des rechtsgerichteten Likud Ministerpräsident. Seinen Wahlsieg feierte er unter anderem mit Siedlern in der Nähe von Nablus.

Zu seinem Landwirtschaftsminister ernannte Begin den ehemaligen Armeegeneral und Kriegshelden Ariel Sharon. Dieser wurde zu einem der wichtigsten Fürsprecher der Siedler und startete ein gewaltiges Infrastrukturprogramm, um die Siedlungen an das israelische Straßen-, Wasser- und Stromnetz anzuschließen.

Dank der politischen Unterstützung breiteten sich die Siedlungen in den folgenden Jahren immer weiter aus.

"Wo sollen wir hin?"

Doch das Westjordanland war keinesfalls unbewohnt. Wo Siedlungen entstanden, wurde die einheimische arabische Bevölkerung häufig verdrängt.

"Brutale Architektur"

Soziologie-Professor Gideon Aran erklärt das Siedlungsprinzip von Gush Emunim.

1987-1995

Immer wieder kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen - und auch zu terroristischen Angriffen von Siedlern auf Palästinenser und umgekehrt. Ende 1987 brach in den besetzten Gebieten schließlich ein breiter Aufstand ("Intifada" - von "sich erheben" oder "abschütteln") aus.

1993: Das Oslo-Abkommen

Nach Jahren der Gewalt wurde Yitzhak Rabin 1992 zum zweiten Mal zum Ministerpräsidenten gewählt. Er versprach den Siedlungsbau zu stoppen und Frieden mit den Palästinensern zu schließen.

Handschlag von Jitzak Rabin und Jassir Arafat mit Bill Clinton

Bereits im September 1993 wurde in Washington in Anwesenheit von Rabin, Bill Clinton und Jassir Arafat das Osloer Friedensabkommen geschlossen, das den Palästinensern ein gewisses Maß an Selbstverwaltung gewährte - bis zu einer geplanten endgültigen Zwei-Staaten-Lösung.

Doch jüdische Extremisten - unter ihnen viele Siedler - torpedierten den Friedensprozess. Am 25. Februar 1994 erschoss der Siedler Baruch Goldstein in der Höhle des Patriarchen in Hebron auf dem Höhepunkt des Ramadan 29 betende Muslime. Am 4. November 1995 wurde Rabin schließlich selbst von einem jüdischen Extremisten ermordet.

1995-2005: Die Siedlungen breiten sich aus

Das Besiedlungsprojekt erfährt in der Folge noch einmal einen enormen Wachstumsschub. Der Zusammenbruch des Ostblocks beschleunigt diesen Prozess. Hunderttausende neuer Einwanderer strömen ins Land und benötigen Häuser und Gemeinden.

Zu den ursprünglich ideologischen, religiös-nationalistisch motivierten Anhängern von "Gush Emunim" kam nun eine neue Art von Siedlern hinzu: die "Lebensqualität"-Siedler, die vor allem von günstigem Wohnraum angezogen wurden.

2000: Die Zweite Intifada

Der zweite Aufstand der Palästinenser in den besetzten Gebieten verlief deutlich blutiger als der erste. Die Hoffnung auf einen baldigen Frieden starb endgültig.

2002: Der Grenzzaun

Als Antwort auf die anhaltende Gewalt baute Israel ab 2002 eine völkerrechtlich umstrittene Sperranlage, die zum überwiegenden Teil auf dem Territorium des Westjordanlandes verläuft. Große Siedlungen sind mithilfe von geschützten Straßen erreichbar, die nur von Israelis benutzt werden können.

Einige Kritiker und Menschenrechtsgruppen vergleichen dieses Vorgehen Israels in den besetzten Gebieten mit der südafrikanischen "Apartheid".

2005: Abzug aus Gaza

Am 22. August zog Israel sich - ausgerechnet unter Premierminister Ariel Sharon - aus dem Gazastreifen zurück - und evakuierte 21 Siedlungen dort und vier zusätzliche im nördlichen Westjordanland. Die Siedler leisteten erbitterten Widerstand.

2005 bis heute

Im Westjordanland geht der Siedlungsausbau dagegen trotz offiziell verhängter Baustopps unvermindert weiter.

Politischen Hardlinern wie dem national-religiöse Politiker und derzeitigen israelischen Bildungsminister Naftali Bennett reich das noch lange nicht: Er verspricht den Siedlern, dass sie auch in Zukunft immer mehr werden.

Vorerst hat sich damit die Prophezeiung der Siedler erfüllt.

Weitere Informationen

"Ich wollte die Siedler für sich selbst sprechen lassen"

Credits

Autor:
Andrej Reisin

Regisseur:
Shimon Dotan

Redaktion:
Barbara Biemann (für NDR/ARD),
Patrick Gensing (für tagesschau.de)