Schottland-Referendum Ein Ergebnis, das anspornen könnte
Entspannung ist in Brüssel angesagt - zumindest im Augenblick. Doch der Sieg der Abspaltungsgegner in Schottland ist auch ein Gewinn der Befürworter. Sie werden mehr Autonomie bekommen. Gleichgesinnte könnten sich angespornt fühlen.
Erleichterung in Brüssel: Im Falle der schottischen Volksabstimmung ist für viele ein "Nein" besser als ein "Ja". Komissionspräsident José Manuel Barroso bewertet die Entscheidung als "positives Ergebnis für ein vereintes Europa".
Auch für den Vorsitzenden der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, ist heute ein guter Tag: "Die Schotten wollen bei Großbritannien bleiben, und das ist zunächst mal für uns wichtig, weil es Stabilität bedeutet. Wir leben in einer Zeit von Umbrüchen, und deswegen ist nationale Stabilität schon ein Wert für sich."
Harms: Cameron und Co. müssen ihre Versprechen umsetzen
Doch auch, wenn sich die Mehrheit der Schotten für Großbritannien und die EU entschieden hat, muss jetzt dringend etwas hinterher kommen, meint die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms, die derzeit in ihrem Wahlkreis im Wendland unterwegs ist: "Dass die britischen Politiker, die Londoner Cameron und Co., die den Schotten ja große Versprechungen gemacht haben, wenn sie sich nicht für die Unabhängigkeit entscheiden - dass die ihre Versprechen auch umsetzen."
Nationalstaaten droht mehr Druck
Wenn die Schotten nun tatsächlich mehr Autonomie bekämen, dann könnten sich die Regionen, in denen es ebenfalls Unabhänigigkeitsbewegungen gibt, angespornt fühlen - zum Beispiel die Katalanen und Basken in Spanien. Oder die Korsen, Bretonen und Elsässer in Frankreich. Der Druck auf die Nationalstaaten könnten steigen.
Sie müssen ihren Regionen mehr Rechte zugestehen, meint der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen: "Wir brauchen die Anerkennung kultureller Besonderheiten. Im Bildungssystem ist sicherlich einiges notwendig. Dann auch ökonomische Stärke. Es sind nicht immer die ganz reichen Regionen, die unter dem Zentralstaat leiden, manchmal sind es auch die ärmeren. Man braucht einen Territorialplan, der nicht nur die Zentren fördert, sondern auch die Randregionen."
Fingerzeig an London
Das schottische Ergebnis ermahnt alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, regionale Identität und regionales Bewusstsein ernst zu nehmen, sagt der Konservative Manfred Weber. Aber es sei auch ein Fingerzeig an die britische Regierung. Denn Großbritannien will 2017 in einem Referendum darüber entscheiden, ob es aus der EU austreten oder dabei bleiben will.
Weber geht davon aus, "dass Großbritannien jetzt auch viel vorsichtiger mit dieser Frage umgehen soll, weil die Schotten darauf vertrauen, dass Großbritannien eben nicht die EU verlässt. Dass sollte auch London im Hinterkopf behalten."
Fünf Millionen gegen 60 Millionen
Die EU-freundlichen Schotten sind jedoch nur fünf Millionen in einem Großbritannien mit 60 Millionen Einwohnern und könnten beim Referendum 2017 leicht überstimmt werden.
Vor allem die jetzigen Befürworter der schottischen Abspaltung hätten dann doppelt verloren: Sie wären nicht unabhängig von Großbritannien und wären dann auch kein EU-Mitglied mehr, meint Fabian Zuleeg vom European Policy Center in Brüssel: "Ich denke, wenn es in Großbritannien darüber eine Debatte gibt, ob man in der EU bleibt, wird die Debatte über die Unabhängigkeit auf jeden Fall wieder hochkochen."
Und dann könnten die Schotten noch einmal ein Referendum anschieben. Verfassungsmäßig spräche nichts dagegen, meint der Experte. Ob das allerdings politisch durchsetzbar wäre, ist eine ganz andere Frage.