Finanzminister zur Zukunft der Währungsunion Schäuble will die EU umbauen
Deutschland strebt zur dauerhaften Lösung der Euro-Schuldenkrise rasche Vertragsänderungen in der EU an: Finanzminister Wolfgang Schäuble will dem EU-Währungskommissar mehr Befugnisse geben. Ferner solle das Europäische Parlament durch ein flexibles Stimmrecht gestärkt werden.
Von Natalia Bachmayer, ARD Berlin
"Die Nacht ist hin!", stöhnt ein Kollege. Notebooks summen, Köpfe rauchen. Irgendwo über dem Indischen Ozean hat Wolfgang Schäuble spätabends zum Pressegespräch geladen. Und zum Abschluss seiner Asienreise, im höllischen Fluglärm, den mitreisenden Journalisten mal eben erklärt, dass und wie die Bundesregierung Europa umbauen möchte - frei nach dem Motto: "Das können Sie alles senden!" Der Eine oder Andere glaubt, sich verhört zu haben. Aber es stimmt: Schäuble hat soeben erklärt, dass Ende der Woche, auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs zwei dicke Bretter gebohrt werden könnten.
Brett eins: die Kontrolle der nationalen Haushalte. Eigentlich hat ja die Europäische Kommission schon ein Auge auf die Budgets der Mitgliedsstaaten. Der Ist-Zustand reicht Schäuble aber nicht. Zu viel Palaver in der Europäischen Kommission, bevor mal was passiert - im Brüssel-Sprech: "Abstimmung" -, zu wenig Druck auf die betroffenen Regierungen und Parlamente. Dann und wann verschickt die Kommission zwar mal einen blauen Brief und empfiehlt, den Haushalt nochmal zu prüfen. Nach einer Schrecksekunde heißt es dann aber oft: Hinlegen, Weiterschlafen…
Währungskommissar soll durchgreifen können
Wenn es nach Schäuble geht, kann das Problem nur einer kurieren: der Währungskommissar. Der müsse gestärkt werden - und Schäuble weiß auch, wie. Wenn es in Zukunft Probleme mit der Haushaltspolitik eines Staates gibt, soll der Währungskommissar schneller und härter intervenieren können als bisher. Budgetplanung problematisch? Zurück ans nationale Parlament damit, Nachsitzen und Wiedervorlage! Defizit nicht im Griff? Okay, dann wird die Lücke eben mit den Subventionszahlungen verrechnet, die das Land erhält.
Über solche Fragen soll der Währungskommissar übrigens allein entscheiden dürfen. Schäuble hat schließlich so seine Erfahrungen mit europäischen Entscheidungsprozessen gemacht und weiß: Wenn's mal droht richtig wehzutun, ist noch jede unliebsame Maßnahme im großen Kreis wegverhandelt worden.
Nur noch Betroffene sollen abstimmen dürfen
Brett zwei: die Stärkung des Europäischen Parlaments - eine Forderung, die vermutlich so alt ist wie das Parlament selbst und irgendwie nie so richtig gezündet hat. Schäuble plädiert jetzt für einen pragmatischen Ansatz. Warum jeden Antrag, jeden Entwurf in voller Besetzung verhandeln? Also: Abstimmen sollen nur die Abgeordneten, deren Land von dem jeweiligen Vorhaben auch wirklich betroffen ist, alle anderen haben Pause.
Schäuble setzt, verkürzt gesagt, auf das Prinzip "Stärken durch entschlacken." Ganz neu sind solche Ideen sicher nicht - aber nun macht sie sich eben der deutsche Finanzminister zu eigen. Und dass auch international jedes von Schäubles Worten genau gewogen wird, hat gerade diese Asienreise hinlänglich bewiesen.
Auf Konfrontationskurs mit dem IWF ...
Ob freiwillig oder nicht - der Finanzminister hat seit vergangenem Donnerstag zwischen Tokio, Singapur und Bangkok immer wieder für Gesprächsstoff gesorgt. Erst der Zwist mit seiner Freundin - "chère Christine" - Lagarde: Die Chefin des Internationalen Währungsfonds fordert mehr Zeit für Griechenland. Und Schäuble, der seit Wochen genau auf das Gegenteil besteht, hält gebetsmühlenartig dagegen: "Wir warten den Troika-Bericht ab, bevor wir etwas sagen."
Eine komische Situation: Ausgerechnet er, der als glühendster Europäer in Merkels Kabinett gilt, steht beim Thema Griechenland plötzlich als Bremser da, der zum Jagen getragen werden muss.
... und dann wieder doch nicht
Und dann: zwei Pressekonferenzen später, in Singapur, ein denkbar harmloser Termin der Außenhandelskammer. Und plötzlich, nach einer charmant dahingeperlten Kette von Grundsätzlichem und Altbekanntem, kommt auf Nachfrage in astreinem "Denglisch" der eine Satz, der wohl so gar nicht fallen sollte, jedenfalls noch nicht: "It will not happen that there will be a Staatsbankrott in Greece." - "Einen Staatsbankrott in Griechenland wird es nicht geben."
Ja, was denn nun? Tonbänder werden vor- und zurückgespult, Notizen verglichen. Es bleibt dabei: Er hat diesen Satz so gesagt, und nun ist er in der Welt. Mögen die geneigten Zuhörer damit anfangen, was sie wollen. Insofern passen auch diese letzten Aussagen - die vom Rückflug aus Asien - ins Bild. Schäuble zeigt eben gerne, dass er nicht nur Bedenkenträger sein will, sondern auch nach vorne denken kann: ein paar Gedanken zur Weiterentwicklung der Europäischen Union, ganz nebenbei eingestreut, bevor die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel Ende der Woche das Thema diskutieren.
Auf einer Linie mit Merkel?
Die Journalisten an Bord können es immer noch nicht ganz glauben: Ist das auch mit der Chefin abgesprochen? Schäuble wedelt beruhigend mit der Hand: "Die Kanzlerin und der Bundesfinanzminister sind immer auf einer Linie." Fragt sich, wer auf dieser Linie an welchem Punkt steht. Die Interpretation hat Schäuble selbst vielleicht an einem anderen Punkt geliefert. Als es um die Rollenteilung zwischen der Kanzlerin und ihm geht, überlegt er kurz und liefert dann folgende Erklärung: "Die Kanzlerin ist nur ein bisschen vorsichtiger als ich. Und deswegen noch ein bisschen erfolgreicher."